Hamburg. Marc Evermann glaubt weiter an die Zukunft des Bundesliga-Handballs in Hamburg. Im Abendblatt-Interview sagt er, warum.
Gleich im ersten Heimspiel des Jahres (Sa., 18.30 Uhr, Sporthalle Hamburg) muss der Handballsportverein Hamburg gegen den Oranienburger HC antreten. In der Hinrunde gab es eine krachende 21:33-Niederlage. Im Interview erklärt Präsident Marc Evermann (45), warum der Aufstieg diese Saison keine Pflicht ist.
Herr Evermann, der Aufstieg in die Zweite Liga ist nach fünf Auswärtsniederlagen sportlich kaum noch zu schaffen. Wie enttäuscht sind Sie?
Marc Evermann: Überhaupt nicht. Wir sind ein Leistungssportverein und wollen natürlich den bestmöglichen Job liefern. Dass wir den Ehrgeiz haben, nach ganz oben zu kommen, haben wir immer gesagt. Dennoch sind wir zufrieden mit der aktuellen Tabellenposition vier. Man darf nicht außer Acht lassen, dass unser neu zusammengestelltes, mit einem Durchschnittsalter von unter 23 Jahren sehr junges Team erst zusammenwachsen muss. Das funktioniert bislang schon ganz gut.
Ist Ihre Zielsetzung nicht zu bescheiden? Der HSV soll mit Abstand den höchsten Etat der Dritten Liga aufweisen.
Was wir da vorhaben, ist kein kurzfristiges Projekt. Auch in der Wirtschaft sieht man, dass Dinge, die mit einer zu heißen Nadel genäht werden, in Form von zu schnellem Wachstum und zu schneller Expansion oft nicht zur Nachhaltigkeit der Qualität führen. Wir möchten uns Zeit geben, haben einen Plan und ein Gefühl dafür, bis wann gewisse Schritte erreicht sein sollten. Aber im Moment sind wir für unser eigenes Empfinden absolut im Plan.
Linsen Sie nach einem Aufstieg durch die Hintertür, wenn andere Clubs verzichten?
Theoretisch schon. Wobei wir solch einen Aufstieg nicht mögen. Wir wollen glaubhaft und sympathisch aufsteigen. Genauso wie wir als Erster in die Dritte Liga aufgestiegen sind, möchten wir es auch jetzt aus eigener Kraft schaffen.
Mit der HSG Nord HU könnte im Aufstiegsfall ein Konkurrent auf den Hamburger Markt drängen. Ist das eine Gefahr ?
Wir werden uns weiter auf uns konzentrieren, denn damit haben wir genug zu tun. Das Thema Handball-Sport-Verein Hamburg basiert auf einem langfristigen Konzept, das eine Mehrstufigkeit in allen Bereichen beinhaltet, sowohl sportlich als auch betriebswirtschaftlich. Wir wollen uns nicht ausschließlich auf die erste Mannschaft konzentrieren. Unser Leistungsjugendbereich präsentiert sich sehr erfolgreich, insbesondere die A-Jugend, die um die deutsche Meisterschaft mitspielt.
Denken Sie an kurzfristige Transfers?
Wir werden am 1. Februar mit dem sportlichen Bereich zusammensitzen, um über die Kaderplanung und langfristige Perspektiven zu reden. Zum jetzigen Zeitpunkt der Saison schon Verstärkungen vorzunehmen, ist nicht vorgesehen. Zur neuen Saison müssen wir nachrüsten, um den Sprung in die Zweite Bundesliga mittelfristig zu schaffen.
Wie viele Jahre Dritte Liga sind Ihren Fans zuzumuten?
Das ist eine Gratwanderung zwischen der Euphorie in der Stadt, dem Aufrechterhalten dieser Begeisterung und des Sponsoreninteresses. Es ist sicherlich nicht gut, ewig in der Dritten Liga zu bleiben. Aber noch ein weiteres Jahr wäre kein Problem.
Der Zuschauerzuspruch....
...hat uns sowas von überrascht. Der Schnitt liegt bei mehr als 2700 Besuchern. Dass sich nach Weihnachten 8500 Fans aufmachen, um Drittligahandball in der Barclaycard-Arena zu sehen, damit war nicht zu rechnen. Aber das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir offenbar authentisch und sympathisch rüberkommen. Wir hoffen natürlich, dass wir diese Euphorie in der Stadt und bei allen Beteiligten möglichst lange aufrechterhalten können. Auch wenn wir vielleicht noch ein, zwei Jahre in der Dritten Liga spielen. Das Ziel bleibt die Bundesliga. Wir haben dazu eine gewisse Zeitschiene im Kopf, die wir aber immer mal wieder nachjustieren.
Ist die Fanliebe nicht etwas überraschend, weil doch immer noch viele Menschen den Verein mit dem HSV verbinden, der im Dezember 2015 Insolvenz anmelden musste?
Der Großraum Hamburg ist nach wie vor ein sehr guter Markt für Handball. Ich glaube, dass die Menschen gerade nach den ganzen schlechten Nachrichten um den HSV Handball, um die Freezers, um das VT Aurubis und um die Olympiabewerbung sehr stark interessiert daran sind, dass es sportlich in der Stadt wieder aufwärts geht. Toll, wie das neue Projekt der Crocodiles unterstützt wird. Beeindruckend, was sich rund um die Towers abspielt. Dies sind alles gute Zeichen für die Sportstadt Hamburg.
Ein Jahr nachdem sich der „alte“ HSV vom Spielbetrieb der Bundesliga abmeldete: Wie viel Wehmut verspüren sie noch?
Immer weniger. Für uns ist die Vergangenheit bis auf ein paar Lehren, die wir auf der wirtschaftlichen Seite gezogen haben, abgeschlossen. Wir schauen nach vorne und stellen uns viel eher die Frage, wie wir noch besser werden können und welche neuen Ideen es gibt, sei es bezüglich der Vermarktung oder der sportlichen Ausbildung. Uns spricht auch so gut wie keiner mehr auf die Vergangenheit an, was ich als sehr positiv empfinde.
Der Insolvenzverwalter Gideon Böhm hat bekanntlich Klage gegen den ehemaligen Präsidenten Andreas Rudolph eingereicht. Wie viel Geld bekommt der HSV noch?
Der e. V. steht genauso wie alle anderen Gläubiger im Rahmen dieser Insolvenz mit einer anerkannten, angemeldeten Forderung in Höhe von rund 200.000 Euro auf der Gläubigerliste. Herr Dr. Böhm hat uns da auch ein Stück weit überrascht, dass er eine Zivilklage gegen Herrn Rudolph anstrebt. Das war vorher anders kommuniziert von ihm. Wir rechnen weder damit, dass wir den Betrag irgendwann in voller Höhe erhalten, noch haben wir einen anderen reduzierten Betrag für uns in die Planung mit aufgenommen.
Wie tragfähig ist das neue Gebilde?
Es ist stabil und wird in dieser Saison gut funktionieren. Darauf liegt der Fokus, das wird gerade von der wirtschaftlichen Seite von mir sehr eng begleitet. Die Altlasten, die uns noch aus der Vergangenheit beschäftigen, sind fast komplett abgearbeitet. Zu allen Themen ist eine Regelung getroffen worden.
In den Gremien sitzen immer noch Vertreter der Rudolph-Ära: Martin Schwalb, Christoph Strenger, Sven Hielscher, Torsten Lucht. Hätte es für einen glaubwürdigen Neuanfang nicht eines radikalen Schnitts bedurft?
Es sind ja nur wenige geblieben. Und diejenigen haben sich um den Neuaufbau maßgeblich verdient gemacht. Martin Schwalb zum Beispiel hat die Endphase des HSV Hamburg ja gar nicht aktiv begleitet. Und ich sage es ganz deutlich: Ohne Martin Schwalb wäre ich nicht angetreten. Wir vertrauen uns.
Ist Handball wirtschaftlich gesehen überhaupt ein Sport für die Zukunft? Das Konsumverhalten der Menschen hat sich zuletzt stark geändert, Events sind immer mehr auf dem Vormarsch.
Auf jeden Fall. Handball wird perspektivisch immer eine erfolgreiche Sportart sein, weil sie Action hat. Kraft, Schnelligkeit, Intelligenz und Konsequenz sind für junge Menschen beeindruckend. Auch eine gewisse Art von Härte, Robustheit. Wir tun alle gut daran, Alternativen zum Fußball anzubieten.
Wie können Sie das forcieren?
Wir haben alle zusammen noch etwas zu tun, was Marketing und Modernität angeht. Deswegen sagte ich, dass wir uns Gedanken darüber machen sollten, was wir an zukunftsorientierten Themen noch alles auf die Beine stellen können. Sportdeutschland.tv ist natürlich toll, das nutzen eher die Jüngeren. Auch die WM-Couch von Martin Schwalb und Stefan Schröder während des Turniers fand wahnsinnigen Anklang. Das freche, junge Trikot und die Artikel, die wir im Merchandising machen, locken auch viele junge Leute.
Wird es weitere Spiele in der Barclaycard-Arena geben?
Konkret ist kein zweiter Termin in dieser Saison geplant. Nach der Euphorie haben wir das Thema natürlich im Kopf und die Idee, es zu wiederholen.
Die Satzung trägt noch die Unterschrift von Rudolph. Wann ändert sich das?
Das liegt nur noch am dem entsprechenden Amtsgericht. Ist alles bereits auf den Weg gebracht.