Hamburg. Spielbetrieb soll vorerst fortgesetzt werden. Verein sucht Partner für Neustart. Mäzen Rudolph lehnte Auszahlung der Sicherheit ab.
Dass die HSV-Handballer am Mittwoch nicht in der heimischen Volksbank-Arena trainieren konnten, hatte nichts zu bedeuten. Das Immobilienunternehmen ECE von Stifter Alexander Otto hat die Halle für zwei Tage in Beschlag genommen, am Donnerstag findet hier eine große Firmenfeier statt. Motto: „Weiße Weihnacht“. Die Profis wichen deshalb in die Sporthalle Hamburg aus. Eine kurze Lagebesprechung, dann begann das normale Aufwärmen. Trainer Michael Biegler hatte dem Mannschaftsrat zuvor aus dem fernen Polen das Programm übermittelt.
In der Zentrale der Handball-Bundesliga in Dortmund und der Hamburger Agentur Konstruktiv-PR wurden zur gleichen Zeit letzte Details zweier Presseerklärungen abgestimmt. Deren zentrale Botschaft: Die Insolvenz ist angemeldet – aber der Spielbetrieb soll weitergehen. Am Dienstag um 12.31 Uhr hatte das Amtsgericht Hamburg die HSV Handball Betriebsgesellschaft mbH & Co. KG unter vorläufige Insolvenzverwaltung gestellt, um das Vermögen zu sichern. HSV-Geschäftsführer Christian Fitzek hatte dies aufgrund einer Finanzierungslücke in Höhe von mehreren Millionen Euro beantragt. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde Gideon Böhm von der Kanzlei Münzel & Böhm bestellt. Der promovierte Hamburger Fachanwalt war bereits mit der Insolvenz der Vorgängergesellschaft Omni Sport vor zehn Jahren betraut gewesen.
Kommentar: Bleibt Hamburg nur noch der Fußball?
Böhms erste Maßnahmen galten der Sicherung des Spielbetriebs. Bevor die Bundesliga wegen der EM für sechs Wochen pausiert, hat der HSV noch drei Punktspiele zu bestreiten: am Sonntag (15 Uhr, Barclaycard-Arena) gegen Magdeburg, kommenden Mittwoch in Lübbecke und am 27. Dezember gegen Göppingen. Sollte der Tabellenfünfte jeweils nicht antreten, wäre der Zwangsabstieg die Folge.
HSV kann sogar auf Klassenerhalt hoffen
So weit darf es nicht kommen, darauf haben sich Böhm, Fitzek und Gläubiger in ersten Gesprächen verständigt. Arena-Chef Uwe Frommhold sicherte trotz hoher HSV-Mietschulden zu, die Tore für die beiden Heimspiele zu öffnen. Böhm zeigte sich „zuversichtlich, dass die Saison trotz der komplexen Situation erfolgreich beendet werden kann“. Gemeinsam mit Fitzek werde nun „unter Hochdruck“ an einem Sanierungskonzept gearbeitet.
Ist es bis April umgesetzt, könnte der HSV sogar auf den Klassenerhalt hoffen – selbst wenn es zur Einleitung des Insolvenzverfahrens kommt. Diese freilich hätte den Abzug von bis zu zwölf Punkten zu Saisonende zur Folge: acht aufgrund der Eröffnung des Verfahrens, weitere vier, weil das negative Eigenkapital zum Jahresende gegenüber 2012 nicht verbessert wurde.
Rudolph lehnte Auszahlung der Sicherheit ab
Gelingt die Sanierung nicht, wäre auf Antrag ein Abstieg in die Zweite Bundesliga, andernfalls in die Dritte Liga die Folge. Entscheidend könnte sein, ob HSV-Mäzen und Hauptsponsor Andreas Rudolph auf Darlehensforderungen in Höhe von mehreren Millionen Euro verzichtet oder nicht.
Der Ahrensburger Medizintechnik-Unternehmer (GHD), dessen Bruder Matthias die Mehrheitsanteile an der Betriebsgesellschaft hält, wollte nicht ein drittes Mal als Retter einspringen. Seine Patronatserklärung hatte dem HSV wie schon in den vergangenen Jahren die Bundesligalizenz gesichert. Sie dürfte sich auf eine Summe zwischen zwei und drei Millionen Euro belaufen.
Doch als Fitzek angesichts der Misere die Sicherheit in Anspruch nehmen wollte, lehnte Rudolph die Auszahlung offenbar ab und schaltete seine Anwälte ein. Ob Fitzek seinerseits rechtliche Schritte eingeleitet hat, ist nicht bekannt.
Stationen der Krise beim HSV Handball
Rudolph verlor die Lust an seinem Spielzeug
Bei der Bundesliga wird die Bürgschaft weiter für ausreichend erachtet. Sie würde die Probleme des deutschen Meisters von 2011 und Champions-League-Siegers von 2013 vollständig lösen, heißt es. Da es sich um eine Verpflichtungserklärung mit persönlicher Haftung handeln soll, dürfte Böhm Rudolph nun zur Auszahlung drängen. Warum der Mäzen sich weigerte, darüber lässt sich nur spekulieren. Er soll, so berichten Vertraute, seit dem Ende seiner ersten Amtszeit als Präsident 2011 nach und nach die Lust am HSV verloren haben, den er immer als eine Art Spielzeug betrachtet habe.
Wie sich die anderen großen Gläubiger verhalten, ist noch nicht absehbar. Zumindest bei Arena, Finanzamt und Berufsgenossenschaft könnte die Sanierung der Betriebsgesellschaft im Entschuldungsverfahren Vorrang vor eigenen Forderungen haben. Mitarbeiter und Spieler, denen der HSV ein und zwei Monatsgehälter schuldet, können einen Antrag auf Insolvenzgeld stellen, sobald das Verfahren eröffnet ist. Diese Ersatzleistung wird für bis zu drei Monate gezahlt und darf die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, aktuell 6050 Euro brutto, nicht überschreiten.
Welche Profis nach dem Ende der Wechselfrist am 15. Februar noch im Kader verblieben sind, ist derzeit nicht absehbar. Der Handball-Sport-Verein Hamburg e. V., der die Bundesligalizenz hält, bereitet sich unabhängig vom Ausgang des Insolvenzverfahrens auf einen Neustart in der Zweiten oder Dritten Liga vor – ohne Rudolph, dessen Ära nach elf Jahren und einem Engagement von geschätzt 40 Millionen Euro für den Handball nun zu Ende gehen dürfte.
Hunke will HSV unterstützen – auch Otto?
Klar ist: Die Basis des HSV Hamburg – das U-23-Oberligateam und fünf Jugendmannschaften – soll erhalten bleiben, die sportlich hohen Ansprüche nicht zurückgeschraubt werden. Der e. V. hat selbst noch Außenstände in Höhe von mindestens 100.000 Euro. Die Vereinsführung um Präsident Karl Gladeck und den neuen Geschäftsführer Gunnar Sadewater kann aber auf namhafte Hilfe hoffen.
So kündigte Jürgen Hunke im Gespräch mit dem Abendblatt an, den HSV „als einer von vielen“ gern unterstützen zu wollen. Der 72 Jahre alte Unternehmer, Sport- und Kulturförderer verhalf dem HSV schon 2003/04 zur Lizenz – mit einem Darlehen in Höhe von etwa 400.000 Euro, das nach eigenen Angaben nie zurückgezahlt worden ist.
Auch Sponsoren sollen angesprochen werden, die dem HSV in den vergangenen Jahren aus Enttäuschung den Rücken gekehrt haben oder vor einem Einstieg unter Rudolph zurückgeschreckt sind. Denkbar ist zudem, dass sich Alexander Otto engagiert. Der Unternehmer und Sportmäzen war erst 2014 mit 200.000 Euro als Kommanditist bei den Handballern eingestiegen. Er dürfte auch daran interessiert sein, den HSV als Mieter in der von ihm gestifteten Arena zu behalten.