Nach dem 26:32 gegen Kiel muss Hamburgs Trainer Martin Schwalb schon um seinen Job bangen. Unterstützung kommt nur von Geschäftsführer Christoph Wendt.
Hamburg. Selten kommt es in der Arena der HSV-Handballer vor, dass das Publikum vorzeitig geht. Erst vor zwei Wochen bescherten die Hamburger ihren Fans gegen die Füchse Berlin nicht nur einen Handballkrimi, sondern beschenkten sich und ihre Anhänger mit dem Einzug in die Champions League. Seitdem hat sich das Blatt gewendet. Dass es beim HSV kriselt, empfanden nicht zuletzt jene Zuschauer, die in Scharen die O2 World Minuten vor dem Ende verließen. Die zum Schluss deutliche 26:32-(14:16)-Niederlage gegen den Meister THW Kiel war da längst besiegelt. „Ich bin sehr enttäuscht. Als Trainer und als kampfbereiter Mensch. Wir hatten die Chance, dieses Spiel zu gewinnen“, sagte ein nachdenklicher Martin Schwalb nach dem Abpfiff.
Zwar zeigten die Hamburger in der erstmals seit sieben Jahren gegen Kiel nicht ausverkauften Halle eine weit stärkere Leistung als am vergangenen Mittwoch bei der 27:34-Pleite in Solingen gegen den Bergischen HC, doch Fakt ist, dass der Champions-League-Sieger in der Liga bislang blank dasteht. „0:4 Punkte sind schon eine Hypothek“, konstatierte ein ratloser Kapitän Pascal Hens. Und Torhüter Johannes Bitter beklagte: „Wir haben uns immer wieder rangekämpft, holen immer wieder größere Rückstände auf, schaffen nach 46 Minuten das 22:22, aber dann schmeißen wir die Bälle einfach weg. Das ist schlicht unbegreiflich für mich.“
Nach nur zwei Bundesligaspielen taumelt der HSV zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Lage ist ernst, die Stimmung in der Vereinsführung angespannt. Präsident Matthias Rudolph hatte zuletzt mehrfach auf den breiten und mit hochkarätigen Neuverpflichtungen bestückten Kader verwiesen, dessen Pflicht es sei, Titel einzufahren. „Nach so einem Spiel muss ich mir keine Gedanken über die Meisterschaft machen“, sagte Schwalb, der nach dem verpatzten Saisonauftakt wohl um seinen Job bangen muss. Noch am Sonnabendabend kam das Vereinspräsidium auf einer eilig einberufenen Sitzung zusammen. Um die Absetzung Schwalbs soll es dabei allerdings nicht gegangen sein. Dennoch besteht bei den Verantwortlichen offenbar Redebedarf.
„Ich kann mir selbst keine Rückendeckung geben“, antwortete der Trainer harsch auf die Frage, wie es um das Vertrauen aus der Vereinsführung aussehe. Angefressen reagierte er darauf, dass das Thema Rücktritt zu diesem Zeitpunkt überhaupt öffentlich diskutiert werde. „Andere Trainer dürfen auch drei Spiele verlieren. Wenn ich das nicht darf, muss man sich darüber auch Gedanken machen“, sagte der 50-Jährige. Während sich Präsident Matthias Rudolph ungewohnt still gab und sich zu Schwalb nicht äußern wollte, kam von Geschäftsführer Christoph Wendt die gewünschte Unterstützung für den Coach: „Gegen den Bergischen HC haben wir eine schreckliche Leistung gezeigt, und dann haben wir gegen einen starken THW Kiel verloren. Deswegen muss man noch nicht gleich alles infrage stellen. Die Mannschaft hat sich heute den Arsch aufgerissen.“
Kein Geheimnis ist hingegen, dass Talant Dujshebaev, 45, der derzeit arbeitslose, ehemalige Trainer von Atlético Madrid, engen Kontakt zu Matthias und dessen Bruder Andreas Rudolph hält und seit Langem als möglicher Nachfolger Schwalbs gehandelt wird. Vor anderthalb Jahren scheiterten die Verhandlungen an Dujshebaevs finanziellen Forderungen. Er soll 40.000 Euro brutto pro Monat verlangt haben. „Jeder Trainer möchte in diesem Verein anfangen und mit dieser Mannschaft arbeiten“, sagte Schwalb, „da ist es doch klar, dass sich jeder positionieren will.“ Beim HSV Trainer zu sein bedeute nun mal maximalen Druck. Daran habe er sich aber mittlerweile gewöhnt.
Die entscheidende Frage bleibt, wie viel Zeit ihm und der neu formierten Mannschaft gewährt wird, um sich den geforderten Erfolgen zu nähern. Denn klar ist auch: Die neun Neuzugänge zu integrieren ist ein längerer Entwicklungsprozess. Eine Platzierung im Niemandsland der Tabelle darf hingegen ebenso wenig der Anspruch sein. „Uns stehen schwierige Spiele bevor. Wir haben nicht viel Zeit, uns zu schütteln“, sagt Schwalb. Sollte der HSV am Mittwoch (20.15 Uhr; O2 World) gegen die HSG Wetzlar auch das dritte Saisonspiel verlieren, würde der Druck auf ihn ungleich höher. Auch wenn Geschäftsführer Wendt abwiegelt: „Wir sind nicht zum Sprint angetreten, sondern zum Marathon.“ Er sei „felsenfest“ von einem Sieg über Wetzlar überzeugt.
Mit den ersten zwei Punkten dürfte bei den Hamburgern zumindest kurzfristig Ruhe einkehren und Schwalb wichtige Zeit gewinnen, seinen Kader einzuspielen. Wenn nicht, droht dem ersten deutschen Trainer, der ein Team zum Champions-League-Sieg führen konnte, wohl die Rückkehr auf den Posten des HSV-Geschäftsführers.
Tore, HSV: Lindberg 8 (4 Siebenmeter), Djordjic 3, Hens 3, Cañellas 2, Jansen 2, Markovic 2, Nilsson 2, Duvnjak 1, Flohr 1, Mahé 1, H. Toft Hansen 1; Kiel: Vujin 10 (4), Jicha 7, Sigurdsson 3, R. Toft Hansen 3, Wiencek 3, Zeitz 3, Lauge Schmidt 2, Ekberg 1. Schiedsrichter: Fleisch/Rieber (Ostfildern/Nürtingen). Zuschauer: 11.569. Zeitstrafen: 1; 5.