Im Land des EM-Gastgebers bleibt Wintersport die Nummer eins. Doch mit Hilfe des Großturniers soll der Handball aufholen.
Innsbruck. Gerhard Friedle war begeistert: „Handball ist ein Liveerlebnis. Sensationell, welche Emotionen da frei werden.“ Friedle (39) war am Dienstag einer von 5500 Zuschauern in der Linzer Tips-Arena, die den ersten Auftritt der Österreicher bei der Europameisterschaft im eigenen Land gegen Dänemark miterlebten. Besser bekannt ist er unter dem Namen DJ Ötzi, unter dem er auch die Hymne dieser EM einstudiert hat: „Magic Moments“, eine Adaption des Neil-Diamond-Klassikers „Sweet Caroline“.
„Magic Moments“ ist das offizielle Motto. Es schwingt darin auch die Hoffnung mit, dem Gastgeber den Zauber des Spiels wieder zu vermitteln, der zuletzt ein wenig verflogen zu sein scheint. „Ich hoffe, wir können den Schwung dieses Turniers mitnehmen“, sagt Andreas Dittert. Sechs Jahre nach seinem Rücktritt ist er noch immer der bekannteste und mit 1089 Toren erfolgreichste Nationalspieler, den Österreich je hervorgebracht hat. „Aber ich hoffe, dass ich endlich abgelöst werde.“
Dittert (42) wirkte bei der B-Weltmeisterschaft 1992 mit, dem letzten großen Handballturnier, das sein Land ausgerichtet hat. Zum Finale kamen damals 11 000 Menschen in die Wiener Stadthalle und erlebten den Aufstieg in die A-Gruppe mit, die Zeitungen schwärmten auf den Titelseiten. „Aber es wurde nichts getan, um den Handball in seinen Grundstrukturen zu festigen“, klagt Dittert. Der Männerhandball verschwand in der Bedeutungslosigkeit, die Nationalmannschaft nahm seit 1993 an keinem großen Turnier mehr teil.
Vor allem die Vereine hätten es versäumt, international den Anschluss zu halten. Zehn Klubs gibt es in der ersten Liga, nur selten kommen mehr als 1000 Zuschauer in die Hallen. Die besten Spieler sind im Ausland aktiv, acht allein in der Ersten und Zweiten Bundesliga. Konrad Wilczynski, der Linksaußen der Füchse Berlin, war vor zwei Jahren Torschützenkönig in der vermeintlich stärksten Liga der Welt. In seiner Heimat hat es kaum jemand bemerkt.
Wilczynski und drei weiteren Spielern, den Rückraumschützen Viktor Szilagyi und Vytautas Ziura sowie Rechtsaußen Robert Weber, attestiert Dittert EM-Format, „danach hört’s schon auf“. Immerhin: Gegen Titelverteidiger Dänemark schlugen sich die Alpenrepublikaner beim 29:33 achtbar. Von einem „Sieg für die Moral“ sprach die „Kronen-Zeitung“. Der seriöse „Kurier“ bescheinigte einen „tollen Kampf“, nicht ohne seinen Lesern auf einer Viertelseite noch einmal die Grundregeln des Spiels näherzubringen.
„Jetzt wissen alle, wie eine EM läuft“, glaubt Dagur Sigurdsson (36). Der Isländer, im Hauptberuf Trainer der Füchse Berlin, ist der wichtigste Entwicklungshelfer des österreichischen Handballs. Zwei Jahre lang hat er die Nationalmannschaft auf das Turnier vorbereitet. Sollte sie trotzdem ihrer Außenseiterrolle gerecht werden und in der Vorrunde scheitern, werden die Handballer bald wieder vom Skisport auf die hinteren Seiten der Zeitungen verdrängt werden. Am Wochenende findet in Kitzbühel die 70. Auflage des Hahnenkammrennens statt, ein nationales Ereignis.
„Wintersport ist in Österreich neben Fußball die unumstrittene Nummer eins“, musste auch Martin Hausleitner erkennen, „die anderen nehmen, was übrig bleibt.“ Für den Chef des Organisationskomitees ist diese EM nur Etappenziel einer Aufbauarbeit, die vor sieben Jahren mit der Entwicklung eines Nachwuchskonzepts begonnen habe. Die Kandidatur um eine Jugend-EM ist bereits eingereicht. Kooperationen mit Schulen sind geplant, landesweit sollen Leistungszentren entstehen.
Einen Rekordetat von acht Millionen Euro hat der österreichische Verband für das Turnier veranschlagt. Es wurde so konsequent auch in den Nachbarländern beworben, dass die Hallenauslastung schon jetzt jenseits der 80 Prozent liegt. Das staatliche Fernsehen ORF überträgt live. Bei der Vorbereitung habe man laut Hausleitner viel von der Handball-WM in Deutschland lernen können: „Vor allem die perfekte Organisation und die Liebe zum Detail.“ Der Heimsieg aber wird wohl ein Traum bleiben.