Der Bundestrainer geht skeptisch in ein Turnier voller Unwägbarkeiten. Nur noch sieben Weltmeister von 2007 stehen ihm zur Verfügung.
Innsbruck. Heiner Brand scheint nichts Böses zu ahnen, er sieht aus, als schweife er ein wenig ab mit seinen Gedanken, als jemand die Tür aufreißt. Hannibal, das längst eingemottet geglaubte Maskottchen der WM 2007, hampelt in den Raum und wirft sich albern in Siegerpose. Heiner Brand, der Handball-Bundestrainer, lächelt ein Lächeln, das ein bisschen gequält wirkt. Aber vielleicht ist es auch nur die normale Anspannung am Tag vor Beginn einer Europameisterschaft.
Mitten in Innsbruck, im Mannschaftshotel mit dem herrlichen Namen "Grauer Bär", werden die deutschen Handballer an diesem Montagmittag noch einmal von ihrer ruhmreichen Vergangenheit eingeholt. Nur sieben Spieler des goldenen WM-Jahrgangs 2007 sind beim Turnier in Österreich noch dabei, und nicht alle von ihnen machen einen derart unbeschwerten Eindruck wie Hörnchen Hannibal.
Es ist ein Unternehmen voller Unwägbarkeiten, das heute mit dem Spiel gegen den WM-Dritten Polen (18.30 Uhr/ZDF) beginnt. Wichtige Stützen wie Pascal Hens und Sebastian Preiß haben ihre Teilnahme abgesagt, weil sie sich von langwierigen Verletzungen erholen wollen. Andere Leistungsträger wie Michael Kraus und Holger Glandorf können zwar spielen, jedoch offenbar nicht mehr so gut, wie sie es noch vor drei Jahren konnten. Den Torhütern fehlt es an Selbstvertrauen, der Abwehr an Stabilität. Kurzum: Es fiel selten so schwer, einer deutschen Handballnationalmannschaft einen Turniererfolg zuzutrauen, zumal in einer Vorrundengruppe, von der selbst Brand glaubt, dass "jeder Gegner in der Lage ist, uns zu schlagen".
Aber selten würde ein Turniererfolg auch so gut tun. Im Jahr eins nach der Affäre um mögliche Schiedsrichtermanipulationen des THW Kiel sucht der Handball noch nach einem geräuschlosen Weg zurück zur Normalität. Mittlerweile scheint der Sturm über der Förde abgezogen zu sein. Doch im Grunde weiß jeder, dass er könnte jederzeit wieder losbrechen, ausgehend von den Akten der Kieler Staatsanwaltschaft, die noch immer gegen den früheren THW-Manager Uwe Schwenker und Ex-Trainer Zvonimir Serdarusic ermittelt. "2010 sollte der Sport wieder im Mittelpunkt stehen", fordert Bundesliga-Präsident Reiner Witte. Eine EM-Medaille der Nationalmannschaft als des mit Abstand wichtigsten Werbeträgers könnte den Neuanfang gleichsam einläuten, auch wenn Witte findet, dass es diesen Neuanfang im Grunde gar nicht braucht. Die vollen Hallen in Deutschland und die Tatsache, dass die Bundesliga 80 der 256 EM-Akteure stellt, seien Ausweis genug. "Grundsätzlich würde ein Erfolg der Nationalmannschaft der Liga gut tun", sagt Kiels neuer Geschäftsführer Uli Derad, "aber wir sind nicht davon abhängig."
Anders als Brand kann er davon ausgehen, dass mehrere seiner Spieler mit Medaillen aus Österreich zurückkehren werden. Torhüter Thierry Omeyer und Rückraumstar Daniel Narcisse laufen für Topfavorit Frankreich auf. In der deutschen Mannschaft ist nur ein Spieler des Meisters, Christian Sprenger, vertreten. Linksaußen Dominik Klein, einer der WM-Helden von 2007, hatte den Sprung in den EM-Kader verpasst.
Früher hätte sich Brand wohl schwerer getan, auf ein bewährtes Schlachtross wie Klein zu verzichten. Jetzt will er die EM nutzen, um Nachwuchskräften wie dem Flügelspieler Uwe Gensheimer (23, Mannheim) oder den Kreisläufern Manuel Späth (24, Göppingen) und Christoph Theuerkauf (25, Magdeburg) das Grüne hinter den Ohren wegzuwaschen.
Niemand könne erwarten, dass man ins Halbfinale komme, findet der Hamburger Torsten Jansen, mit 33 Jahren Ältester im Team: "Wir sind hoch motiviert, aber wir haben keine Angst auszuscheiden." Für den Fall des Scheiterns ist diese Mannschaft offenbar gewappnet.