Hamburg. Der Gegner der Veolia Towers Hamburg gastiert als erster israelischer Club seit Kriegsbeginn in Deutschland.
Wirklich freuen kann sich Arale Weisberg nicht auf diesen Dienstagabend. Weil sich der 42-Jährige momentan über gar nichts freuen kann. Aber zumindest kann er durchatmen, wenn Hapoel Tel Aviv in der edel-optics.de Arena zum Vorrundenspiel im Basketball-EuroCup (19.30 Uhr/MagentaSport) bei den Veolia Towers Hamburg gastiert. „Basketball gibt uns eine zweistündige Auszeit von dieser Tragödie, ehe wir fünf Minuten nach Spielende wieder auf dem harten Boden der Realität aufkommen“, sagt Weisberg.
Dem Journalisten, der für „Walla Sport“ schreibt und die Partien von Hapoel live im Fernsehen kommentiert, und seiner fünfköpfigen Familie geht es auch nach Kriegsbeginn gut. Physisch zumindest. In seiner Heimatstadt Modi’in zwischen Tel Aviv und Jerusalem sei es ruhig.
Hapoel Tel Aviv nach Kriegsbeginn in Israel in Hamburg
Innerlich dagegen schreit alles in Weisberg, seit die Hamas-Terroristen seine Landsleute niedergemetzelt haben. „Ich kenne niemanden, der nicht auf irgendeine Weise jemanden kennt, der gestorben ist“, sagt Weisberg. Auch einer seiner Freunde, ein glühender Hapoel-Fan, wurde ermordet.
Von dem, was folgte, war Weisberg zutiefst ergriffen. Zur Beerdigung kamen selbst Anhänger von Maccabi-Clubs in roten Hapoel-Shirts. Beide Lager gelten als bitter verfeindet.
Selbst Maccabi und Hapoel-Fans verbünden sich
Doch an diesem Beispiel zeigt sich, dass das, was gerade in Israel geschieht, weit über Sieg und Niederlage hinausgeht. „Es ist verrückt, so ein Krieg bringt das Hässlichste, aber auch Schönste im Menschen heraus“, sagt Weisberg.
Man versuche sich so, dem Chaos zum Trotz, täglich über Wasser zu halten, Normalität vorzugaukeln. Daher soll auch die israelische Basketballliga bald fortgesetzt werden. Den ausländischen Spielern wurde freigestellt, das Land verlassen zu dürfen.
Ex-Towers-Spieler McCullum flieht aus Israel
Der ehemalige Towers-Spielmacher Kendale McCullum ist einer davon. Er hatte die Saison bei Maccabi Ironi Ramat Gan begonnen, kehrte kurz nach Kriegsbeginn in die USA zurück und sucht nun einen neuen Club. „Ich habe es geliebt, dort zu spielen. Als Spieler kannst du nicht glücklicher sein als in Israel. Wäre es möglich gewesen, hätte ich locker die nächsten vier, fünf Jahre dort gespielt. Es ist ein großes Unglück“, sagt McCullum.
Die größeren Clubs, die international spielen, suchen nach Möglichkeiten, ihre Heimspiele in den europäischen Wettbewerben im Ausland auszutragen. Griechenland, Zypern und Serbien sind Optionen. Bis eine Entscheidung gefallen ist, wird das Heimrecht getauscht, was zu langen Reisen führt. Hapoel Tel Aviv ist seit Mittwoch in Hamburg, hatte einen Abend zuvor im italienischen Venedig gespielt.
Towers und FC St. Pauli nehmen Hapoel gastlich auf
Die Towers ermöglichten es dem Team unkompliziert, in Wilhelmsburg zu trainieren, stellten unter anderem auch einen Physiotherapeuten zur Verfügung. „Als die Anfrage von Tel Aviv kam, war für uns selbstverständlich, ihnen in dieser Notsituation unsere Hilfe anzubieten. Insgesamt bringt uns die Situation allerdings an die Grenze des Leistbaren“, sagt Towers-Geschäftsführer Marvin Willoughby.
Der FC St. Pauli, dessen Anhänger eine Freundschaft mit den Hapoel-Vereinen pflegen, hatte die Basketballer ins Millerntor-Stadion geladen. „Wir sind froh, dass wir unter Sportlerinnen und Sportlern Solidarität zeigen können und für ein bisschen Abwechslung inmitten dieses Wahnsinns sorgen konnten, dem alle Angestellten und Fans von Hapoel täglich ausgesetzt sind“, sagt Präsident Oke Göttlich.
Weisberg: "Deutschland ist unser stärkster Partner"
„Deutschland steht an unserer Seite wie kein anderer Partner, ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar wir dafür sind“, sagt Weisberg. Der Enkel zweier Holocaust-Überlebender, den zuvor eine massive Abneigung gegenüber Deutschland geprägt hatte, habe ihm geschrieben, bei der Fußball-EM 2024 DFB-Fan zu sein.
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Es sind, sofern sich angesichts der dramatischen Lage davon sprechen lässt, gastliche Bedingungen für Hapoel. Ein atmosphärisches Gastspiel wie in der vergangenen Saison am 7. Dezember 2022, als gut 1000 Fans aus Israel zum EuroCup-Duell angereist waren und – sehr zum Ärger der Gastgeber – Pyros in der Halle abfackelten, wird sich allerdings nicht wiederholen.
Keine Wiederholung des Pyro-Spiels
Linienflüge aus und nach Israel sind größtenteils ausgesetzt, 250 Eintrittskarten hat Hapoel bereits zurückgegeben, insgesamt hatten die Towers am Montagabend erst 1300 Tickets verkauft. Weisberg glaubt, dass nur gut 50 israelische Anhänger vor Ort sein werden.
Feuerwerkskörper dürften sie nicht versuchen, in die Arena zu schmuggeln. „Ich denke nicht, dass es der passende Zeitpunkt ist, um Raketen zu zünden“, sagt Weisberg.
Wenig Fans aus Israel und von St. Pauli vor Ort
Auch, dass wie im Dezember Hunderte Unterstützer des FC St. Pauli in den Inselpark kommen, um die Israelis zu unterstützen, ist nicht zu erwarten. Rund 100 St. Paulianer werden kommen.
Sie dürfen sich wie alle Zuschauer auf verschärfte Sicherheitsvorkehrungen einstellen. Die Partie wird als Hochrisikospiel eingestuft. Fanutensilien müssen ebenso draußen bleiben wie Taschen. Es gilt ein Vermummungsverbot.
Verstärkte Polizeipräsenz in Wilhelmsburg
Die Polizei plant verstärkte Präsenz vor Ort: „Wir werden die Veranstaltung mit einer angemessenen Anzahl von Einsatzkräften begleiten und alles rund um das Spiel im Blick behalten“, sagt Polizeipressesprecherin Nina Kaluza.
Weitere Details müssten aus taktischen Gründen geheim bleiben. Fest steht aber: „Anmeldungen für Demos oder Versammlungen im Umfeld des Spielorts liegen nicht vor“, sagt Kaluza.
Weisberg wird am Abend wieder am Mikrofon sein, bereitet sich wie immer gewissenhaft vor. Beim Telefonat mit dem Abendblatt am Montag fragt er noch, was bei den seit sieben Partien sieglosen Towers los sei. Dann verabschiedet er sich: „Danke, dass ich 20 Minuten auf andere Gedanken kommen durfte.“