Hamburg. Anton Gavel hat ratiopharm Ulm sensationell zur Meisterschaft geführt. Dabei macht er nichts anderes als Zeit seiner Karriere.

„„Zu erwarten, dass wir jetzt Titelhamster werden, ist utopisch, so ehrlich muss man sein. Dafür kam unsere Meisterschaft auch einfach viel zu überraschend.“ Es kommt selten genug vor, dass ein Meistertrainer unrecht hat.

Bei Anton Gavel, nichts anderes lässt seine sportliche Vita vermuten, passiert dies nahezu nie. Und doch liegt der Cheftrainer von ratiopharm Ulm, das an diesem Sonnabend (18.30 Uhr/Dyn) in der edel-optics.de Arena bei den Veolia Towers Hamburg gastiert, in einem Punkt falsch: Niemand erwartet mehr, dass er zum Titelhamster wird – in Hamsterjahren wäre Gavel inzwischen schätzungsweise 125 Jahre.

Anton Gavel gewinnt alles - selbst mit Ulm die Meisterschaft

Fünf deutsche Meisterschaften, vier Pokalsiege, zwei Auszeichnungen als bester Verteidiger der Bundesliga, dazu diverse weitere individuelle Ehren als Spieler; wer Gavel beschäftigte, bekam Erfolge geliefert. Doch dieser Titel mit Ulm in seiner ersten Saison als Chefcoach einer Erstligamannschaft sticht selbst im Lebenslauf des in Menschenjahren 38-Jährigen heraus. Zu imaginär.

Denn Vereine wie Ulm gewinnen in der Basketball-Bundesliga eigentlich keine Meisterschaften mehr. Geld wirft Körbe, und das haben die EuroLeague-Clubs FC Bayern München und Alba Berlin exklusiv. Der Ulmer Triumph steht in einer Reihe mit dem von Leicester City 2016 in der Premier League.

Meistertrainer über Titel: "Das ist Geschichte"

„Ich kannte das Gefühl, Meister zu werden, ja schon und hatte als Trainer nur einen geringen Anteil daran. Der Titel war für die Spieler, Organisation und Fans“, sagt Gavel, einer der angenehmsten Zeitgenossen im deutschen Basketball. Als Hauptrundensiebter waren die Baden-Württemberger in die Play-offs gegangen, räumten dann nacheinander Berlin, München und die Telekom Baskets Bonn aus dem Weg. „Aber das ist Geschichte“, sagt Gavel, der mit 15 Jahren aus dem slowakischen Kosice nach Karlsruhe kam.

Für ihn geändert hat sich sowieso nichts. „Ich dachte, diese Saison wird nach dem Titelgewinn entspannter. Aber du bleibst automatisch in dem Karussell drin. Ich brauche den Druck, sonst spüre ich nichts“, sagt der 89-fache slowakische und zwölfmalige deutsche Nationalspieler.

Viele Meisterschaftshelden wanderten ab

Ohne Spannung kann Gavel sowieso nicht, war schon als Aktiver enorm intensiv. Als Trainer verlässt er die Einheiten mitunter schweißgebadet, weil er für seine Spieler bei Wurfübungen die Rebounds einsammelt.

Lediglich mit einem nahezu runderneuerten Personal muss „Tono“ nun auskommen. Der Großteil der Leistungsträger verließ den Club in Richtung finanziell wärmerer Gefilde. Geld wirft eben Körbe.

Spanier Nunez ein Toptalent im Team des Titelverteidigers

„Es war leider zu erwarten, ist für uns aber gar nicht schlimm. Umso mehr können wir uns auf unser Ausbildungskonzept fokussieren“, sagt Gavel. Die Ulmer haben mit dem Orange Campus eine der besten Jugendakademien Europas.

Nicht grundlos wechseln regelmäßig internationale Ausnahmetalente nach Süddeutschland. Im Spanier Juan Nunez (19) und Franzosen Pacôme Dadiet (18) schleift Gavel derzeit zwei Diamanten.

Warum verpflichtet Ulm so viele Brasilianer?

Ebenso zum Markenzeichen des Champions sind die jährlichen Verpflichtungen von Brasilianern geworden. Aufbauspieler Georginho de Paula (27) ist der vierte in drei Jahren. In der Vorsaison waren Yago dos Santos (24/jetzt Roter Stern Belgrad/Serbien) und Bruno Caboclo (28/Reyer Venedig/Italien) Titelgaranten.

Ulm sucht diese Akteure inzwischen gezielt und mit Hintergrund. „Ihre Mentalität gibt dem Team etwas. Südamerikaner scheinen wenig Druck zu verspüren, stecken die anderen damit an. Das habe ich persönlich so noch nie gesehen. Die geben sich in einem Auswärtsspiel in den Finals wie bei einer Heimpartie am zehnten Spieltag“, sagt Gavel, der nun wirklich schon fast alles im Basketball gesehen hat.

Eine Chance für die Veolia Towers Hamburg?

Mit dem guten Saisonstart seiner Mannschaft, die sämtliche drei Bundesligapartien, beide im Pokal und zwei der drei im EuroCup gewonnen hat, hätte der Familienvater dennoch nicht gerechnet. „Die Mannschaft kam wegen der WM erst spät zusammen. Unseren besten Basketball wollen und werden wir erst zum Saisonende spielen“, sagt Gavel.

Also eine Chance für die Towers? Wohl kaum. Angesichts der aktuellen Verfassung ließe sich mit ein wenig Sarkasmus darüber sinnieren, welche Überraschung die größere wäre: die Ulmer Meisterschaft vergangene Saison oder ein Erfolg der seit sechs Begegnungen sieglosen Hamburger gegen den Titelverteidiger?

Stimmung trotz sechs Niederlagen in Serie noch gut

An solchen, etwas herablassenden Überlegungen möchte sich der stets höfliche Gavel nicht beteiligen. „Es wäre nicht korrekt, über einen anderen Verein zu reden. In der Vorbereitung hat Hamburg ein Superspiel gegen uns gemacht und nur knapp mit 96:100 verloren“, sagt er.

Ob das seinem Trainerkollegen Benka Barloschky Hoffnung darauf machen sollte, im achten Aufeinandertreffen mit Ulm den ersten Towers-Sieg einzufahren, ist allerdings fraglich. Immerhin: Die Wilhelmsburger bäumen sich mental auf, trainieren fokussiert, die Stimmung im Team sei gut, wie zu hören ist.

Topscorer Hughes: "Wir wollen respektiert werden"

„In gewisser Weise ist es ein Vorteil, in der Underdogrolle zu stecken. Allerdings denke ich nicht, dass es eine Rolle ist, in der wir uns selbst sehen wollen. Wir wollen respektiert werden“, sagt Topscorer Mark Hughes.

Dafür wäre es zunächst notwendig, ein paar Siege zu hamstern. Für die Titel ist sowieso Gavel zuständig.