Hamburg. Nach dem Desaster: Welche Optionen bleiben den Veolia Towers Hamburg? Jobgarantie für Trainer Barloschky.

Am Tag nach dem Desaster war Marvin Willoughby reif für die Insel. Zunächst einmal physisch. Der Geschäftsführer Sport begleitete die Veolia Towers Hamburg nach Großbritannien, wo sie an diesem Mittwoch (20.30 Uhr/MagentaSport) bei den London Lions in der Vorrunde des EuroCups antreten. Aber auch mental hätte der Vereinsgründer eine Auszeit dringend nötig gehabt. Die fassungslos machende 56:90-Niederlage bei den Würzburg Baskets am Montagabend, inklusive eines 4:31-Schlussviertels, hat ihre tiefen Spuren hinterlassen. Und sie hat verdeutlicht, wie nah der Basketball-Bundesligist am Abgrund wandelt.

Der Suche nach Lösungen hat Wil­loughby eine Analyse vorangestellt. „Wir können nicht mehr übers Papier reden, auf dem wir theoretisch besser sind, wenn wir so komplett auseinanderbrechen. Leider haben wir keine Führung auf dem Spielfeld. Die Spieler nehmen das nicht genug an, das kritisieren wir intern deutlich“, sagt der Sportchef.

Hamburg Towers: Zerrissen, zerfallen, zweitligareif

Auch Cheftrainer Benka Barloschky, der die Mannschaft von viereinhalb Wochen übernommen hat, gibt keine umfassend glückliche Figur ab. Im Training wurden zwar neue Elemente erarbeitet, die sich im Herausspielen freier Würfe und phasenweise aktiverer Verteidigung offenbaren. In den neun Begegnungen, von denen die Towers acht verloren haben, ist dem 35-Jährigen jedoch auch deutlich die fehlende Erfahrung als Headcoach anzumerken, um flexibel auf veränderte Gegebenheiten zu reagieren.

Eine Debatte über ihn führt Willoughby allerdings nicht: „Wir haben Benka in eine superschwierige Situation geworfen, durch die wir nun gemeinsam durchmüssen. Wir stehen zu 100 Prozent zu ihm. Punkt.“ Barloschky einen weiteren Assistenten – Co-Trainer Stefan Grassegger ist auch erst 33 Jahre alt – mit viel Erfahrung zur Seite zu stellen scheint ausgeschlossen. Trainer dieses Kalibers arbeiten nicht in der zweiten Reihe, sondern sehen sich als Cheftrainer.

Kündigungen drohen, wenn Spieler beleidigt im Selbstmitleid versinken

Innerhalb des Teams ist die Gemütslage nach Abendblatt-Informationen zerrissen. Sie soll von tiefen Selbstzweifeln und Ratlosigkeit mehrheitlich aufseiten der Importakteure bis zu massiver Angefressenheit bei den Routiniers reichen. Vor allem in zweitgenannter Gruppe soll die Einsicht gewachsen sein, dass die Trennung von theoretischen Leistungsträgern, die der Situation nicht gewachsen zu sein scheinen, eine valide Option sei. Namen werden nicht genannt, aber beim Blick auf die vergangenen Partien ist offensichtlich, dass vor allem der zu Saisonbeginn noch überragende Aufbauspieler Kendale McCullum verloren wirkt und Center Yoeli Childs mehr mit sich selbst als mit dem Spiel beschäftigt ist. Der eigentlich verlässliche James Woodard wiederum scheint von chronischer Inkonstanz befallen zu sein, gegen die er sich bislang erfolglos aufs Heftigste wehrt. Droht zumindest einem Teil dieses Trios die Kündigung?

So weit möchte Willoughby noch nicht gehen. „Wir konzentrieren uns darauf, die Mannschaft zu verstärken. Jemanden abzugeben ist momentan kein Thema. Allerdings werde ich alles hinterfragen, und sollte mir auffallen, dass jemand nicht mitzieht, sondern beleidigt im Selbstmitleid versinkt, wird das Konsequenzen haben“, sagt der 45-Jährige.

Drei weitere Lizenzen kann Willoughby maximal bei der Liga beantragen

Ein weiterer Grund zur Zögerlichkeit könnte finanzieller Natur entspringen. Um das restliche Gehalt zu sparen, müssten die Towers warten, bis sich ein Abnehmer für einen der in der Kritik stehenden Akteure findet, ehe sie nachlegen. Bis Ende März besteht in der Bundesliga die Möglichkeit dazu, für den EuroCup ist das Transferfenster bereits seit Anfang Februar geschlossen. Drei weitere Lizenzen kann Willoughby maximal bei der Liga beantragen. Bei der Suche konzentriert sich der Sportchef auf ausländische Akteure, deutsche Qualitätsspieler sind längst unter Vertrag und viel zu kostspielig. „Wir sind seit Wochen auf dem Markt aktiv, aber bis auf Anthony Polite, der eingeschlagen hat, wie wir uns das versprochen haben, hätte alles keinen Sinn ergeben, nicht in unser Konzept gepasst“, sagt Willoughby. Nach Abendblatt-Informationen haben die Towers bislang auf allen Positionen gesucht, der Fokus liegt auf einem Spielmacher sowie einem Center mit Ringbeschützer- und Reboundqualitäten.

Um Willoughbys Möglichkeiten auf dem Transfermarkt zu verbessern, könnte der Umweltdienstleister Veolia, der vor Saisonbeginn für rund eine Million Euro die Namensrechte des Vereins erwarb, kurzfristig aushelfen. Deutschland-Chef Matthias Harms hatte in einem Interview mit dem Abendblatt im vergangenen Herbst diese punktuelle finanzielle Unterstützung nicht ausgeschlossen. Eine konkrete offizielle Stellungnahme wollte das französische Unternehmen am Dienstag nicht abgeben. Nur so viel: „Wir stehen in sehr engem Austausch mit der sportlichen und kaufmännischen Leitung der Towers, da wir emotional am Club hängen“, sagt Marketing- und Kommunikationsleiter Andreas Montag. Der bis 2025 gültige Vertrag zwischen Veolia und den Towers gilt auch für die 2. Bundesliga.

Hamburg Towers: Die Insel der Glückseligen verlassen

Ein Strohhalm im Fall eines Super-GAU scheint nicht verfügbar. Die Frankfurt Skyliners retteten sich im Vorjahr durch den Kauf einer 700.000 Euro teuren Wildcard, weil aus dem Unterhaus nur die Rostock Seawolves die sportlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen Aufstieg erfüllten. In dieser Saison ist dies voraussichtlich anders. Zweitligaspitzenreiter Rasta Vechta kann und will hoch, die Verfolger aus Tübingen und Quakenbrück nach Abendblatt-Informationen ebenfalls.

Aber so weit will Willoughby noch nicht denken. „Wir müssen beeinflussen, was in unserer Hand liegt. Körbe lassen sich nicht erzwingen, Aggressivität und intensive Verteidigung kann ich aber voraussetzen. Allen hier ist bewusst, dass es in den nächsten Spielen um alles geht“, sagte er vor dem Abflug auf die Insel. Zumindest die Insel der naiven Glückseligen haben die Towers bereits verlassen.