Crailsheim. In Crailsheim zeigen sich die Wilhelmsburger in besorgniserregender Form. Sie stehen vor systematischen wie personellen Veränderungen.
Die Krise bei den Veolia Towers Hamburg lässt sich nicht länger negieren. Auch bei den Hakro Merlins Crailsheim, die selbst im Tief steckten, waren die Wilhelmsburger Bundesliga-Basketballer beim 84:92 (17:22, 16:31, 27:27, 24:12) bis ins Schlussviertel hinein chancenlos. Damit haben sie wettbewerbsübergreifend nun fünf Spiele in Serie verloren und stehen vor systematischen wie personellen Veränderungen.
Bei den kriselnden Teams – die Merlins hatten zuvor erst zwei von sieben Bundesligaspielen gewonnen – glichen die Baustellen denen der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Katar. Was bedeutet: Die Abwehr wackelt, und zwar gewaltig. Hamburgs Cheftrainer Raoul Korner hatte zwar im Vorweg der Begegnung betont, „seine emotionale Mitte“ trotz der Krise zu wahren, zugleich beschied er es, freundlich ausgedrückt, als unnötig, zweimal in Folge „mit 30 auf den Sack gekriegt“ zu haben.
Clark hält die Towers Hamburg in Schlagdistanz
Zumindest das blieb ihm diesmal erspart. Punkte wiederum blieben, was beiden Übungsleiter gefallen haben dürfte, zunächst auch Mangelware. Was jedoch primär am offensiven Unvermögen lag, beidseitig wurden theoretisch hochwertige Korbleger vergeben. Die Gäste hatten offenbar genau hingehört, was Crailsheims von 2012 bis 2014 in Wedel arbeitender Coach Sebastian Gleim in der Vorwoche kritisierte.
Nachdem seine Mannschaft in Chemnitz 106 Zähler kassiert hatte, antwortete dieser auf die Frage, was defensiv besser werden müsse, sarkastisch damit, dass „in die Verteidigung zurücklaufen“ ein guter Anfang wäre. Dementsprechend schnell griffen die Wilhelmsburger an. Oder besser gesagt: Sie versuchten es.
Die Abschlussquote bewegte sich auf dem Niveau des deutschen Sturms, nur 33,3 Prozent der Versuche im ersten Viertel fand ihr Ziel. Zum Ende stieg die Quote auf akzeptable 42,9 Prozent. Immerhin: Im Gegensatz zum Nationalteam verfügen die Hamburger über einen Knipser. Marvin Clark hielt sein Team mit zwei erfolgreichen Dreiern in Schlagdistanz.
Spielmacher McCullum von Messi inspiriert?
Spielmacher Kendale McCullum fand hingegen überhaupt nicht ins Spiel. Er dribbelte zwar unentwegt den Ball nach vorn, als hätte er sich vom gleichzeitig in Lusail spielenden Lionel Messi inspirieren lassen – allerdings weitaus erfolgloser als der Argentinier beim 2:0-Sieg gegen Mexiko. Nur einen seiner sieben Würfe traf McCullum, leistete sich dazu drei Ballverluste. Ohne funktionsfähigen Anführer war der Angriff der Towers ideenlos und ohne jeglichen Punch. Ein Alternativregisseur fand sich nicht.
Der junge Slowene Žiga Samar (21) durfte sich ein „stets bemüht“ ins Zeugnis schreiben lassen. Wie James Woodard gewinnbringend eingesetzt werden kann, bleibt ein Fragezeichen. Allerdings bestätigte der Flügelspieler seine Aufwärtstendenz, überzeugte statistisch als einziger Gästespieler. Dafür kamen Kollegen wie Seth Hinrichs kaum zur Geltung oder wurden selten in Szene gesetzt, so wie Len Schoormann.
Probleme in der Offensive, Schwierigkeiten in der Defensive nicht gelöst – ein giftiger Cocktail für Korners Team. Der Österreicher versuchte, seine Mannschaft zu beruhigen, wieder zum strukturierteren Spiel zu veranlassen. Es half nichts. Bereits zur Halbzeit war der Rückstand gegen die Baden-Württemberger, bei denen der langjährige Towers-Guard René Kindzeka nicht zum Einsatz kam, deutlich auf 33:53 angewachsen.
Art und Weise der Niederlagen ist besorgniserregend
Von der geforderten Reaktion auf die Pleiten der Vorwochen war wenig zu sehen. Beim nüchternen Blick auf den bisherigen Spielplan der Norddeutschen lässt sich sogar festhalten, dass sie mit einer 4:4-Bilanz angesichts ihrer Gegner im zu erwartenden Bereich liegen. Die Art und Weise der Niederlagen ist allerdings besorgniserregend. Zumal Crailsheim bei Weitem kein Überteam, sondern auf dem Papier mit viel Wohlwollen maximal gleichwertig besetzt ist.
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Was auffällt: In den vergangenen Spielzeiten waren die Towers in der Spitze stets mit mindestens zwei Leistungsträgern gut besetzt. Im aktuellen Kader soll McCullum dieser Topspieler sein. Zur Erinnerung: Der US-Amerikaner, obwohl ein charakterlich einwandfreier und beliebter Mitspieler, stieg im Vorjahr mit seinem Ex-Club Gießen ab, hat noch nie international gespielt.
Hinter ihm reihen sich allesamt gute Rollenspieler ein, keiner davon kann jedoch als singulärer Star eine Offensive tragen. Auch die softeren Faktoren – Einsatz, Aggressivität, Physis – ließen sich defensiv erst viel zu spät ausmachen.
Veolia Towers Hamburg kämpfen sich zurück
Positiv anzurechnen ist Hamburg, dass es nach dem Seitenwechsel mithielt, die Mannschaft nicht komplett auseinander fiel, sondern in der letzten Minute sogar noch bis auf sechs Punkte herankam (82:88). Das allein ist jedoch nicht der Anspruch des Clubs, der die dritte Play-off-Teilnahme in Serie avisiert.
„Die erste Halbzeit war hart, wir sind einfach nicht bereit gewesen. Dafür haben wir in den zweiten 20 Minuten viel Herz gezeigt, das macht mich stolz“, sagte Woodard. Bei den Towers scheint eine personelle Verstärkung, vorrangig auf der Flügelposition, unerlässlich zu sein. Die Gemeinsamkeit mit der WM in Katar: Auch Neuzugänge kann man kaufen.
Veolia Towers Hamburg: Meisner (24), Woodard (20), Samar (10), Childs (8), Wohlfarth-Bottermann (8), McCullum (6), Clark (6), Hinrichs (4), Philipps, Schoormann.