Klagenfurt. Hamburger verlieren ELF-Finale gegen Wien. Nicht nur der Superstar, auch der Quarterback könnte gehen. Liga wird aufgestockt.

Bloß schnell weg hier, dachten sich manche Spieler der Hamburg Sea Devils, als sie noch vor der Siegerehrung im Bauch der „28Black Arena“ im österreichischen Klagenfurt verschwanden. Sie konnten schlicht nicht ertragen, wie die Spieler der Vienna Vikings am Sonntag um 17.50 Uhr den Champagner durch den Konfettiregen sprühten – exakt so, wie es die Spieler der Frankfurt Galaxy vor einem Jahr getan hatten.

Wie beim 30:32 in der Premierensaison 2021 verlor das Hamburger American-Football-Team auch in Jahr zwei das Finale der European League of Football (ELF). Nach dem 15:27 (6:7, 0:10, 6:7, 3:3) flossen Tränen. „Man kann es nicht in Worte fassen. Ich werde ein paar Tage brauchen, um das zu verarbeiten“, sagte Hamburgs Defensive Coordinator Kendral Ellison.

Verwunderungen bei den Sea Devils um Toonga

Mit besonders viel Wut im Bauch war Sea-Devils-Runningback Glen Toonga im Stadion angekommen. „Sie werden mich morgen hassen“, twitterte der 27 Jahre alte Brite, nachdem er am Vorabend erfahren hatte, weder als wertvollster ELF-Spieler noch als wertvollster Offensivakteur der Liga (OMVP) ausgezeichnet worden zu sein – eine Entscheidung, die nicht nur Toonga überraschte.

Über Auszeichnungen freuen durften sich bei den Hamburgern vor dem Spiel immerhin Kicker Eric Schlomm (wertvollster Special-Teams-Spieler) und Offensive Lineman Dennis Kenzler (Ehrenpreis wegen seiner Hilfe für ukrainische Geflüchtete).

Es waren keine zwei Minuten gespielt, da stieg die Gefahr eines Toonga‘schen Tobsuchtanfalls bereits an. Er hatte mit seiner Offense noch nicht einmal das Feld betreten, da lagen die Hamburger bereits mit 0:7 zurück. Ausgerechnet Adria Botella Moreno sorgte unter dem Jubel der vor allem lila-gelb gekleideten Anhänger für den ersten Touchdown. Erst vor dieser Saison war der Spanier von den Sea Devils in die österreichische Hauptstadt gewechselt.

Vikings attackieren Sea Devil Toonga hart

Toonga, der mit Abstand beste Runningback dieses Jahres, hatte große Probleme, überhaupt ein paar Yards Raumgewinn zu erlaufen. Wiens Verteidiger waren – um einen kulinarischen Vergleich zu bemühen – keine Speckknödel, sondern krosse (und extrem schnelle) Haxn. Zeitweise wurde Toonga derart brutal durchgeschüttelt, dass man befürchten musste, unter dem Haufen weißer Trikots würde nur noch ein matschiger Topfenstrudel hervorkriechen.

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So war es auch wenig überraschend, dass die Sea Devils zunächst nicht über Toonga, sondern mit einem Pass auf Widereceiver Lamar Jordan zum ersten Touchdown kamen. Doch es lief insgesamt irgendwie nicht – wie auch der geblockte Extrapunktversuch von Kicker Schlomm beispielhaft zeigte (6:7). „Es war überraschend, dass sehr viele grundlegende Dinge nicht funktioniert haben“, sagte Headcoach Charles Jones.

Bei jedem Spielzug der Sea Devils machten die meisten der rund 14.500 Fans besonders viel Lärm, Quarterback Salieu Ceesay hatte einen schweren Stand. Den deutlich stabileren Eindruck machte sein Wiener Pendant Jackson Erdmann, der US-Passgeber verschaffte den Vikings mit präzisen, weiten Pässen immer wieder entscheidende Raumgewinne, die im zweiten Viertel Exavier Edwards per 2-Yards-Run zum Touchdown nutzte.

Die Gesichter der Sea-Devils-Akteure verrieten eine Mischung aus Verärgerung und Ratlosigkeit, als sie nach einem weiteren Vikings-Fieldgoal mit einem 6:17-Rückstand zur Halbzeit in die Kabine stapften.

Edebali reiste alleine im Flugzeug an

Das Hamburger Prunkstück dieser Saison war die Defense, sie hatte den größten Anteil am erneuten Erreichen des Finales. Dummerweise funktionierte ebendieses Prunkstück im wichtigsten Spiel der Saison nicht. Mit Cornerback Louis Müller hatten die Vikings einen Schwachpunkt ausgemacht, immer wieder kam der 28-Jährige entscheidend zu spät, Wien erhöhte auf 9:24.

Auch Hamburgs Starverteidiger, Ex-NFL-Profi Kasim Edebali, war aufgrund seiner Rückenprobleme kein großer Faktor. Zwar stand der 33-Jährige bei jeder Defensivaktion auf dem Feld, griff sich nach jedem Spielzug aber an die schmerzenden Bandscheiben. Schon die zweitägige Anreise im Mannschaftsbus hätte ihm zu große Probleme bereitet, anders als seine Mitspieler reiste der Defensive Tackle mit dem Flugzeug nach Österreich. „Als ich gebraucht wurde, habe ich versucht, mein Bestes zu geben“, sagte Edebali. „Es ist aber nie ein Spieler, der den Unterschied macht.“

Obwohl nach zwei Fieldgoals von Schlomm (15:24) Ende des dritten Viertels kurz Hoffnung aufkeimte, ging es für Hamburg danach weiter wie in den österreichischen Alpen: steil bergab. Offensiv fehlte das Vertrauen in tiefe Pässe, die Spielzugauswahl blieb deutlich zu konservativ. Die starke Vikings-Defense freute es, teilweise dürfte sich Toonga wie in einem Elektrofachmarkt vorgekommen sein: Vor ihm standen eine Reihe weißer Kühlschränke, es war kein Durchkommen. Nach einem Wiener Fieldgoal (15:27) unterlief Lamar Jordan zu allem Überfluss noch ein Fumble in der eigenen Hälfte.

Suchen Sea Devils neuen Quarterback?

Auch wenn wenige Minuten im American Football eine Ewigkeit sein können, schwand bei den Hamburger Fans im vierten Viertel die Zuversicht von Spielzug zu Spielzug. Headcoach Jones stand mit verschränkten Armen an der Seitenlinie, versuchte zwischen Vernunft und Risikoerhöhung abzuwägen. Es gelang ihm nicht – auch weil offenbar das Vertrauen in Quarterback Ceesay fehlte. Ersatzspielmacher Moritz Maack stand mit verletzter Schulter und finsterer Mine an der Seitenlinie, musste machtlos zusehen.

Obwohl mit Jordan und Jéan Constant zwei hochkarätige US-Receiver als Passempfänger für Ceesay bereitstanden, war der Lübecker nicht in der Lage, sie präzise genug zu bedienen. Spätestens als er zwei Minuten vor Schluss bei einem seiner wenigen tiefen Pässe eine Interception warf, war das Spiel verloren. Ob Ceesay in der neuen Saison erneut das Vertrauen geschenkt bekommt oder ein US-amerikanischer Quarterback verpflichtet wird, ist vollkommen offen.

Hört Sea-Devils-Star Edebali auf?

Auch ob Kasim Edebali zurückkehren wird, blieb unbeantwortet. Erst werde er zu seiner Familie nach Arizona (USA) fliegen, sagte Edebali, danach „die nächsten sieben Tage die Augen schließen und hart darüber nachdenken, wie es weitergeht.“

Auch Hamburgs Generalmanager Max Paatz muss also abwarten: „Es ist eine Wundertüte“, sagte Paatz. Fest steht aber: Im kommenden Sommer will die Familie Edebali von Arizona nach Hamburg ziehen. „Meine Frau Steffanie hat mir grünes Licht gegeben“, sagte Edebali. „Egal, wie es mit mir weitergeht: Ich werde Football-Deutschland also auf jeden Fall erhalten bleiben, die Leidenschaft der Fans ist hier so groß. Ich will einfach wieder so nah wie möglich an meinem Zuhause sein.“

Ob die Sea Devils in der kommenden Saison erneut die Chance auf den Finaleinzug erhalten, bleibt abzuwarten, die Liga wächst auf 18 Teams aus zehn Nationen an. Mit den Milano Seamen, den Helvetic Guards aus Zürich, den Fehérvár Enthroners (Ungarn) sowie den Prag Lions und einem Team aus Paris (Name steht noch nicht fest) wartet neue Konkurrenz.