Hamburg. Die Footballer stehen im Endspiel der Europaliga ELF gegen Wien – müssen dort aber auf ihren Starting Quarterback verzichten.

Die ersten hopfenhaltigen Kaltgetränke wurden bereits verzehrt auf dem Kunstrasen im Stadion Hoheluft, als eine Geste unterstrich, dass die Arbeit noch längst nicht beendet ist für die Hamburg Sea Devils. Defensive Back Daniel Brown jr. (23) zeigte immer wieder auf den Ringfinger seiner linken Hand, wo viel nackte Haut zu sehen war. Seht her, wollte der US-Amerikaner damit sagen, hier ist noch Platz!

Platz, der gefüllt werden soll in zwei Wochen. Am 25. September treten Brown und seine Teamkollegen in Klagenfurt (Österreich) an, um den Titel in der American-Football-Europaliga ELF zu gewinnen, den sie in der Premierensaison 2021 gegen Frankfurt Galaxy verpasst hatten.

Die Berechtigung, erneut um den Meisterring zu kämpfen, hatte die Auswahl von Cheftrainer Charles Jones am Sonnabendnachmittag erworben. Mit 19:7 (10:0, 0:7, 6:0, 3:0) gewannen die Sea Devils gegen die Raiders Tirol ein Match, das eines Halbfinales würdig war. Einen Abnutzungskampf zweier auf Augenhöhe agierender Teams, deren Defensivreihen nachwiesen, warum sie unter den zwölf Franchises der ELF die beiden besten sind. „Auf unsere Defense können wir uns einfach verlassen. Die Jungs haben uns auch heute wieder die Chance gegeben, dieses Spiel zu gewinnen“, lobte Jones.

Sea-Devils-Kicker Schlomm wird gegen Raiders Tirol zum Matchwinner

Den Unterschied machte vor der etwas enttäuschenden Kulisse von 3158 Zuschauern, die dafür allerdings Lärm für die doppelte Menge erzeugten, ein Mann, der zwar oft im Fokus, aber doch selten im Mittelpunkt steht. Kicker Eric Schlomm war als Nutznießer der Tatsache, dass die starke Abwehr der Österreicher die Offensive der Sea Devils meist weit von der eigenen Endzone fernhielt, als Fieldgoal-Schütze öfter gefragt als gewohnt.

Und der 30-Jährige erledigte diese Aufgabe mit Bravour. Alle vier seiner vier Versuche für drei Punkte fanden den Weg zwischen die Torstangen, in der zweiten Halbzeit war der Ex-Fußballtorwart des VfB Lübeck der einzige Spieler, der Punkte zustande brachte. „Es war das erste Play-off-Spiel meiner Footballkarriere. In so einer Partie, zu Hause mit der Chance, das Finale zu erreichen, möchte jeder zeigen, was er kann. Deshalb bin ich sehr glücklich“, sagte er.

Sea-Devils-Quarterback Maack fällt für ELF-Finale aus

Begonnen hatte das Halbfinale mit einem Schreckmoment. Keine fünf Minuten waren gespielt, als der als Starting Quarterback auserwählte Moritz Maack (25) nach einem Tackle zu Boden ging. Eine noch nicht näher diagnostizierte Schulterblessur zwang den Spielmacher zur Aufgabe, auch in Klagenfurt wird er fehlen. Für ihn kam Salieu Ceesay, der sich mit Maack in dieser Saison die Spielzeit teilt, und der 24-Jährige war sofort im Spiel. Mit einer hübschen Körpertäuschung schaffte er sich den notwendigen Freiraum, um den in der Endzone wartenden Glen Toonga zu bedienen.

Sea-Devils-Quarterback Salieu Ceesay (l.) entwischt seinem österreichischen Gegenspieler Niklas Gustav und setzt zum Lauf an.
Sea-Devils-Quarterback Salieu Ceesay (l., gegen Tirols Niklas Gustav) musste gegen die Raiders Tirol früh eingewechselt werden. © WITTERS | TimGroothuis

Für den Briten, der ansonsten als Runningback eher im Laufspiel punktet, war es der 22. Touchdown der Saison, mit insgesamt 178 Rushing Yards steigerte er seinen Saisonwert auf mehr als 1500. „MVP, MVP“, schallte es von den Tribünen – die Fans wollen den 27-Jährigen als wertvollsten Spieler der Saison ausgezeichnet sehen.

Raiders-Quarterback Shelton wird zum Freiwild für Hamburgs Defense

Verdient hätte Toonga diese Ehre zweifelsohne. Dennoch dürfte, wenn in Klagenfurt der letzte Schritt zum Titel gelingt, die Erfolgsgeschichte vor allem an der Defensive Line erzählt werden. Hatte der als ligabester Quarterback geltende Raiders-Spielmacher Sean Shelton (31) vor allem im zweiten Viertel mit fein justiertem Wurfarm und hoher Beinmobilität andeuten können, was in ihm steckt, so war der US-Amerikaner in der zweiten Halbzeit regelrecht Freiwild für die Hamburger Abwehrgiganten. Die Tiroler Offensive Line konnte dem Druck nicht mehr standhalten. Sechs Quarterback-Sacks standen nach Spielende in der Statistik, drei davon erzielte NFL-Veteran Kasim Edebali (33).

„Wir haben das getan, was wir die gesamte Saison über schon tun. Gegen ein so starkes Team drei Viertel zu null zu spielen ist eine Ansage“, sagte Abwehrchef Miguel Boock (30). Eine ebensolche gab es, sozusagen als Wort zum Sonntag, von Spielmacher Ceesay. „Jetzt gilt die 24-Stunden-Regel, wir haben 24 Stunden Zeit, um diesen Sieg zu feiern“, sagte er, „danach muss die Konzentration auf Klagenfurt gerichtet werden, denn nach dem verlorenen Finale der vergangenen Saison gibt es nun keine andere Erwartung als einen Sieg.“

Cheftrainer Jones wollte seiner Mannschaft die Partylaune keinesfalls verderben. „Die Jungs sollen diesen Tag genießen, sie brauchen Zeit, um sich zu erholen“, sagte er auch mit Blick auf die Blessuren, die O-Liner David Weinstock (23), Fullback Jeremy Sarfo (27) und D-Liner Evans Yeboah (28) während des Spiels vom Feld zwangen. Der US-Amerikaner selbst verfolgte am Sonntag auf der heimischen Couch, wie sich die Vienna Vikings mit einem 39:12 bei den Barcelona Dragons den zweiten Platz im Endspiel sicherten.

Die Spanier waren das einzige Team, gegen das die Sea Devils in dieser Saison schon verloren hatten. Charles Jones jedoch hat für sein erstes ELF-Endspiel keinerlei Gegnerpräferenz. „Es ist mir egal, gegen wen wir spielen. Die müssen gegen uns spielen“, sagte er. An mangelndem Selbstvertrauen, das scheint klar, werden die Hamburger nicht scheitern.