Hamburg. Ex-NFL-Profi könnte zum Karriereende den ELF-Titel gewinnen. Er ist nicht der Einzige, für den es am Sonntag emotional werden dürfte.
Als Kasim Edebali am 26. September 2021 auf dem Rasen der Merkur-Spiel-Arena in Düsseldorf stand, wusste er bereits, was ihn 364 Tage später erwarten würde. „Ich erinnere mich noch genau an meine Ansprache nach dem Spiel“, sagt der Starspieler der Hamburg Sea Devils. Im Hintergrund köpften die Spieler der Frankfurt Galaxy gerade die Champagnerflaschen, als Edebali dem Hamburger American-Football-Team nach der bitteren 30:32-Niederlage im Finale der European League of Football (ELF) Mut für den nächsten Anlauf machte. „Und jetzt? Ein Jahr später sind wir wieder da“, sagt der 1,89 Meter große und 107 Kilogramm schwere Muskelberg und grinst stolz.
Sea Devils treten in Klagenfurt gegen Wien an
Wenn Edebali und die Sea Devils am Sonntag (14.45 Uhr/ProSiebenMaxx) in der knapp 30.000 Zuschauer fassenden „28Black Arena“ im österreichischen Klagenfurt auf die Vienna Vikings treffen, dürfte es für den ehemaligen NFL-Profi besonders emotional werden. Edebali war 18, als er sich von den Hamburg Huskies in die USA aufmachte und über die Kimball Union Highschool und das Boston College in der US-Eliteliga landete, wo er von 2014 und 2019 bei sieben Teams unter Vertrag stand.
Mittlerweile ist der als Defensive End und Outside Linebacker einsetzbare Starspieler 33 Jahre alt. Äußerlich scheint er topfit. Tatsächlich macht ihm aber immer wieder der Rücken zu schaffen – und auch sonst war die NFL Raubbau an seinem Körper. „Ich bin bereit, mein bestes Spiel zu spielen“, sagt Edebali zwar. Ähnliches sagte er jedoch auch im vergangenen Jahr – als er einen Außenbandriss im Knöchel und einen Anriss des Syndesmosebandes erlitten hatte, seinen Fuß zum Finale aber mithilfe von Tapes daumendick einbetonierte und die Schmerzen mithilfe von Tabletten vergaß. „Das Finale zu spielen war ein bisschen schwer“, sagt Edebali rückblickend.
Beendet Edebali seine Football-Karriere?
Der gebürtige Hamburger weiß, dass ihm nicht mehr viele Footballspiele bleiben. Mit den Sea Devils, dem Team seiner Heimatstadt, könnte seine Reise enden, sich der Kreis schließen. „Sich mit einem Sieg zu verabschieden, das wäre natürlich schön“, sagt Edebali, dessen Frau Steffanie mit den Töchtern Yara und Sarai bereits vor sieben Wochen in die Heimat nach Arizona (USA) zurückgekehrt ist. „Ich weiß gar nicht, was ich nächste Woche mache. Mein ganzer Fokus liegt auf Sonntag“, sagt Edebali, der Profi. „Nach Sonntag kann ich mich hinsetzen und überlegen.“ Vieles spricht dafür, dass das Finale sein letzter Tanz wird.
Einen emotionalen Tag wird auch Sea-Devils-Headcoach Charles „Yogi“ Jones erleben. 2007, als die Hamburger unter gleichem Namen den Titel in der NFL Europa holten, war er als Assistenztrainer für die Linebacker verantwortlich. Zu Beginn dieser Saison kehrte der 62 Jahre alte US-Amerikaner als Headcoach zurück. „Als ich hier ankam, habe ich mich als Außenseiter gesehen. Es gab viele Spieler, die schon in der vergangenen Saison im Finale dabei waren“, sagt Jones. „Ich hatte das Gefühl, dass ich mir ihren Respekt und ihr Vertrauen verdienen musste.“
Trainer Jones tanzte mit Spielern nach Halbfinalsieg
Es gelang ihm. Nach dem 19:7-Halbfinalsieg über die Tirol Raiders tanzte Jones in den Katakomben des Stadions Hoheluft Seite an Seite mit seinen Spielern. „Ich hatte mit jedem einzelnen Spieler Momente während der Saison, die uns zusammenwachsen lassen haben. Dadurch haben sie mir die Tür geöffnet, ein Teil von ihnen zu sein“, sagt Jones. Es sind Worte, die Demut ausdrücken. Worte, die gewöhnlich nicht von dominant auftretenden US-Coaches gewählt werden.
Dass die Sea Devils zu einer Einheit gewachsen sind, zeigt auch das Beispiel von Kicker Eric Schlomm. Als der frühere dänische NFL-Akteur Phil Andersen nach dem verlorenen Finale 2021 seine Karriere beendete, verpflichteten die Hamburger den Kicker von Zweitligist Lübeck Cougars als Ersatz. „Es war einerseits ein Riesenerbe, das ich antreten musste. Eigentlich konnte ich hier nur verlieren“, sagt der 30-Jährige, der bis 2019 bei Fußball-Regionalligist VfB Lübeck als Torwart unter Vertrag stand. „Andererseits ist eine Anfrage der Sea Devils wie ein Angebot von Real Madrid im Fußball. Da sagt man nicht Nein.“
Schlomm überzeugte, ist mit einer Fieldgoalquote von mehr als 70 Prozent, einer Extrapunktquote von mehr als 88 Prozent und einem Puntdurchschnitt von 38 Yards bester Kicker der gesamten Liga. „Mein Niveau ist nicht so hoch wie das von Phil Andersen. Das wussten auch alle, als ich hier ankam“, sagt er. „Alle standen von Anfang an hinter mir. Ich wusste, dass ich auch mal einen verschießen darf und nicht sofort gefeuert werde.“ Schlomm zahlte das Vertrauen mit Leistung zurück. Die größte Anerkennung, die er erfahren konnte: Über Andersen sprach plötzlich keiner mehr.
Sea-Devils-Spielmacher Maack fehlt verletzt
Deutlich mehr Gesprächsstoff gab es während der Saison wegen Quarterback Salieu Ceesay. Viele Kritiker sehen den 24 Jahre alten Lübecker als Schwachstelle im Team an, sein Passspiel ist wacklig. Ersatzmann Moritz Maack (25) mauserte sich im Laufe der Saison vom Stellvertreter zum ebenbürtigen Spielmacher. „Natürlich will man der unumstrittene Quarterback sein“, sagt Ceesay. „Moritz hat sich in der Saison aber bewiesen und sich seine Spielzeit verdient. Das habe ich ihm auch gegönnt.“ Im Finale fehlt Maack, nachdem er sich gegen Tirol an der Schulter verletzte. Es war die erste Partie, die der ehemalige Quarterback der Hamburg Huskies von Beginn an machen durfte.
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„Wir haben es zu unserer Waffe gemacht, zwei gute Quarterbacks zu haben“, sagt Ceesay. Dass er nun als unumstrittener Quarterback der Sea Devils nach Klagenfurt reist, macht ihn stolz. „Das ist die größte Bühne für mich, um zu zeigen, dass ich es draufhabe“, sagt er. „Die Priorität Nummer eins ist aber der Titel.“ Kasim Edebali, Charles Jones und Eric Schlomm dürften diese Priorisierung teilen.
Die ELF hat Paris und Prag als weitere Standorte für die Saison 2023 bekanntgegeben. Damit erhöht sich das Teilnehmerfeld an der Europaliga auf 18 Teams aus zehn Nationen.