Hamburg. Der ehemalige Kapitän des FC Union sieht die Kiezkicker in vielen Bereichen vorne, auf manchen Positionen auch beim Personal.
Torsten Mattuschka war gut vorbereitet, hatte sich auf Karteikärtchen diverse Informationen und Statistiken aufgeschrieben. Als Sky-Experte sollte man Experte sein und nicht Dampfplauderer. Sondern versuchen, die Kontrahenten sachlich richtig einzuordnen und eine Einschätzung eines Spiels abzugeben. Deswegen war der 43-Jährige am Donnerstag aus Berlin nach Hamburg gekommen, hier steigt schließlich am Freitag (18.30 Uhr/Sky) das Stadtderby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli.
„Diesmal ist ja noch mehr Brisanz drin als normalerweise“, weiß der ehemalige Profi, „ich glaube aber, dass St. Pauli auf jeden Fall aufsteigen wird – und der HSV leider eher nicht.“ Sollten es die Kiezkicker schon im Volksparkstadion schaffen, nach 13 Jahren wieder in die Bundesliga zurückzukehren, wird Sky seine Liveübertragung verlängern, die bereits um 17.45 Uhr beginnt.
Stadtderby: Mattuschka lobt Arbeit von Hürzeler
Der Aufstieg des FC St. Pauli wäre für Mattuschka im Übrigen voll verdient. „In allem was sie machen – Positionswechsel, Abläufe, Kompaktheit – sind sie sensationell“, urteilt Mattuschka, „so etwas habe ich in der Zweiten Liga noch kaum gesehen.“ Fast hätte er „nie“ gesagt.
Die Bewunderung für die Spielstruktur des Millerntorteams ist jedenfalls groß. Verantwortlich dafür ist Trainer Fabian Hürzeler, aber nicht allein. „Die Grundlagen waren schon gelegt, als er noch Co-Trainer bei Timo Schultz war“, meint „Tusche“, „aber Fabi hat das dann mit seinem Staff sensationell weiterentwickelt.“ Was ihm angeblich schon bei der 2:3-Testspielniederlage gegen den späteren Champions-League-Teilnehmer 1. FC Union Berlin Ende Dezember 2022 aufgefallen war, als Hürzeler erst drei Wochen für das Team verantwortlich war: „Die Kompaktheit war damals schon richtig gut. Und das haben sie halt immer weiter entwickelt..“
HSV musste oft die Aufstellung ändern
Dabei habe auch eine große personelle Kontinuität geholfen. „Der HSV hat nur zweimal in der Saison mit der gleichen Startelf begonnen, der FC St. Pauli siebenmal“, sagte Mattuschka. Die Wechsel würden auch weniger groß sein, bei St. Pauli sind es oft nur ein, zwei Änderungen gegenüber der Vorwoche.
Auch diese personelle Konstanz, die beim HSV auch durch Verletzungen und Sperren von Schlüsselspielern nicht möglich war, zahlt auf eine schlechte Statistik beim HSV ein: „Sie konnten außer zwischen dem zweiten und vierten Spieltag nie zweimal in Folge gewinnen, nur noch zwischen dem 17. und 18. Spieltag, aber da war die Winterpause zwischen.“ Das sei bei der Konkurrenz um die Aufstiegsplätze anders. Mattuschka erinnerte an die Serien von Düsseldorf und Holstein Kiel, die zuletzt jeweils sechs Siege hintereinander feiern konnten.
FC St. Pauli hat beste Passquote der Liga
Der ehemalige Kapitän des 1. FC Union hat auch individuelle Schwächen beim HSV ausgemacht: „Sie haben noch kein einziges Tor nach einem hohen Ballgewinn erzielt, die Umschaltaktionen verpuffen zu oft.“ Grund seien schlechte Entscheidungen, technisch unsaubere Aktionen oder Pässe in den falschen Fuß.
Der FC St. Pauli hat mit 86,8 Prozent die beste Passquote der Liga, der HSV ist mit 85,5 Prozent nur auf Rang vier. „Man kann wohl sagen, dass der FC St. Pauli individuell auf einigen Positionen personell eventuell einen Tick besser besetzt ist“, erklärt Mattuschka.
St. Pauli hat die wenigsten Zweikämpfe gewonnen
Beide Teams lieben den Ballbesitz, sind da statistisch mit 56 und 55 Prozent praktisch gleichauf. Aber: „Der FC St. Pauli läuft dennoch pro Spiel fast sechs Kilometer mehr, das ist ein Brett“, so Mattuschka. Auch bei den intensiven Läufen liegt der FC St. Pauli deutlich vor dem HSV. Mattuschka folgert daraus: „Der HSV muss bei der Arbeit gegen den Ball intensiver werden.“ Dagegen scheint zu sprechen, dass der FC St. Pauli mit 2808 die wenigsten Zweikämpfe in der Liga gewonnen hat (der HSV 3203).
Mattuschka hat dafür aber eine einfache Erklärung: „Sie kommen vor allem in der Defensive selten in Zweikampfsituationen, weil sie so überragend positioniert sind.“ Dann zieht der Experte eine spannende Parallele: „In der Bundesliga ist Bayer Leverkusen nach Zahl der gewonnen Zweikämpfe nur 16.“
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Bei all den Fakten und Analysen, Zahlenspielereien, Statistiken und Beobachtungen hat Mattuschka auch noch eine höchst menschliche Komponente für das wiederkehrende Scheitern des HSV ausgemacht: „Neun Spieler sind schon drei oder mehr Jahre dabei, darunter Leistungsträger wie Sebastian Schonlau, Ludovic Reis, Robert Glatzel oder Jonas Meffert, die sind jedes Mal gescheitert. Das macht etwas mit dir.“ Einen Sieger will Torsten Mattuschka dennoch für Freitag nicht tippen, „2:2“, meint er, es werde auf jeden Fall brisant: „Entscheidend werden Tagesform, Glück, Pech, Kleinigkeiten – und der Schiedsrichter.“ ah
Hamburger SV: Raab – Reis, Hadzikadunic, Schonlau, Muheim – Meffert, Poreba – Pherai – Jatta, Glatzel, Königsdörffer.
FC St. Pauli: Vasilj – Nemeth, Wahl, Mets – Saliakas, Irvine, Kemlein, Metcalfe – Afolayan, Eggestein, Hartel.