Hamburg. Die Hamburger haben sich bei ruhenden Bällen enorm gesteigert. Wo die Inspiration herkommt und wo der Trend hinführt.

Marco Knoop spricht ein passables Straßen-Serbokroatisch. Ein Vorteil, da der Torwarttrainer des FC St. Pauli seinem bosnischen Keeper Nikola Vasilj (28) so fix Anweisungen auf dessen Muttersprache zurufen kann. Das geschieht häufig vor gegnerischen Standards, da Knoop beim Zweitliga-Spitzenreiter vor allem für deren Verteidigung zuständig ist.

Sich angeeignet hat der 45-Jährige die Sprache zu Beginn der 1990er-Jahre beim Basketballspielen im Ruhrpott mit Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Offenbar nicht die einzige Lernerfahrung aus der Sportart. Denn bei ruhenden Bällen setzt St. Pauli sehr viel aufs Blocken gegnerischer Akteure, wie es auch beim Basketball, Eishockey und American Football üblich ist.

Was den FC St. Pauli bei Standardsituationen auszeichnet

„Ideen für unsere Varianten können von den Spielern kommen, die sich sehr aktiv einbringen, oder man schaut tatsächlich mal, ob sich bei anderen Sportarten Inspirationen finden lassen“, sagt Knoop, dessen offensiver Widerpart bei Standards Co-Trainer Peter Németh (51) ist. Wie gut dem Slowaken das gelingt, war nicht auf Serbokroatisch, sondern Englisch zu erfahren. „Marcel Franke meinte zu mir, dass er es gar nicht mag, mich bei Ecken zu verteidigen“, sagte Jackson Irvine am vergangenen Sonnabend über einen Austausch mit dem KSC-Verteidiger.

Die Partie in Karlsruhe ging zwar mit 1:2 verloren, doch zu Beginn der zweiten Halbzeit kamen Irvine und Johannes Eggestein gleich bei drei aufeinander folgenden Ecken zu Großchancen, den einzigen Treffer köpfte Irvine nach einem Eckstoß. Es war – je nach Perspektive, wann eine Standardsituation als abgeschlossen gilt – das sechste Eckentor in dieser Saison.

Zweitliga-Spitzenreiter hat bereits zehn Tore nach Standards erzielt

Hinzukommen eines nach einem Freistoß sowie drei Elfmeter. In diesen Kategorien haben sich die Hamburger im Vergleich zu den Vorjahren verbessert.

„Die Varianten sind in jeder Woche Teil der Spielvorbereitung in den Besprechungen mit dem Team“, sagt Knoop. In die Arbeit an den Standards fließen unterschiedliche Einflüsse ein. „Wir arbeiten mit Prinzipien, die immer gelten, beschäftigen uns aber auch vor jeder Partie damit, welche Eckball-, Freistoß- und Einwurfvarianten der Gegner bisher gespielt hat“, sagt der gebürtige Brandenburger.

St. Paulis Eckenschütze Hartel: „Entscheidung kann vom Bauchgefühl abhängen"

Hingegen kaum variabel ist die Auswahl der Schützen. Freistöße tritt in der Regel Eric Smith, Ecken und Elfmeter Marcel Hartel.

Bei der Ausführung besitzen die Akteure aber Freiheiten. „Was wir im Spiel probieren, kann auch mal von einem Bauchgefühl abhängig sein. Vielleicht hat man aber auch beim Gegner etwas entdeckt, wo man denkt, dass eine bestimmte Variante gut funktionieren könnte“, sagt Hartel.

Arsenal London beschäftigt gebürtigen Berliner als Standardtrainer

Das Potenzial bei Standards gilt es enorm. Mehrere Clubs beschäftigen inzwischen eigene Trainer dafür, beispielsweise Premier-League-Tabellenführer Arsenal London seit 2021 den in Berlin geborenen Franzosen Nicolas Jover (42).

Bereits in der ersten Saison steigerten die „Gunners“ die Anzahl ihrer Treffer nach Freistößen, Ecken und Einwürfen von sechs auf 16. In der aktuellen Spielzeiten stehen sie bereits bei 18.

Parallelen zwischen Premier-League-Spitzenreiter und St. Pauli

Galten Standardspezialisten früher mitunter als Inselbegabte, so wird nun auf die Insel geschaut. Es gibt Parallelen zu den Ecken St. Paulis und Arsenals.

Um ihre besten Kopfballspieler in Position zu bekommen, nutzen beide Teams Blocksteller, die Gegenspieler aus dem Spiel nehmen sollen. Dazu wird der Torraum gefüllt, um dort maximalen Stress zu verursachen.

Potenzial besteht bei Einwürfen und Anstößen

Während die Londoner 98 Prozent ihrer Ecken zum Tor bringen, drehen die Hamburger ihre jedoch häufiger vom Kasten weg.
Was wiederum beide Teams eint, ist die Stärke bei gegnerischen Standards mit einer Mischung aus Raum- und Mannverteidigung.

Luft nach oben bestehe bei Einwürfen, hatte Knoop im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ gesagt. Auch mit Anstößen befassen sich die Standardexperten vermehrt. Das wiederum scheint aber erst noch ins Slowakische übersetzt werden zu müssen – die Slowakei kassierte unlängst gegen Österreich sieben Sekunden nach dem Anstoß das frühste Gegentor der Länderspielhistorie.