Hamburg. Im Stadtderby ging es nicht nur um Prestige, sondern auch um wichtige Aufstiegskampf-Punkte. David beim 4:3-Sieg mit Traumtor.

Die Abendsonne tauchte das Volksparkstadion in eine fast schon kitschig-romantische Atmosphäre. Und auch das 109. Stadtderby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli hatte alles was es braucht, um sich in den Fußball zu verlieben. Es war ein leidenschaftliches, packendes und phasenweise hochklassiges Duell mit vielen Toren an einem Abend, an dem es eigentlich keinen Verlierer geben durfte.

Am Ende lautete es 4:3 (1:1) für den HSV. Ein Derby, an das man sich in Hamburg noch lange erinnern wird. Und für den HSV ein ganz wichtiger Schritt zum erhofften Aufstieg. Für St. Pauli dagegen dürften die Träume von der Bundesliga nach diesem Spiel geplatzt sein. "Wir haben 90 Minuten gefightet und verdient gewonnen. Alle sind fix und fertig. Doch dafür ist es umso schöner", strahlte HSV-Stürmer Robert Glatzel. "Was beim Abpfiff los war, wie alle ausgeflippt sind, war unbeschreiblich. Es ist schön, dass man sowas miterleben darf.“

Stadtderby HSV gegen St. Pauli: Walter brachte Kittel und Dompé

HSV-Trainer Tim Walter hatte sich offenbar an das Stadtderby vor einem Jahr erinnert, als er sich für seine Startelf entschied. Beim 2:1-Sieg im Januar 2022 hatte Sonny Kittel als Spielmacher beide Tore vorbereitet. Und auch im April 2023 durfte er an der Seite von Ludovit Reis wieder in der Mitte spielen. Kittel machte die linke Bahn frei für Jean-Luc Dompé, der nach drei Spielen in die Startelf zurückkehrte. Nicht dabei war Andras Nemeth. Der Ungar zog sich im Abschlusstraining einen Knöchelbruch zu und fällt mehrere Monate aus.

Auch ohne den Stürmer setzte der HSV nominell auf volle Offensive gegen St. Paulis Defensivriegel. Trainer Fabian Hürzeler hatte zu seiner Fünferkette mit Afeez Aremu einen weiteren Defensivspieler auf den Platz geschickt.

Angetrieben von seinen Fans begann der HSV extrem druckvoll. Die Anhänger hatten sich bereits vor dem Spiel in Erstligaform präsentiert. „Kein Verein wird je so sein“, lautete der Spruch zu einem riesigen Transparent, das fast über die gesamte Nordtribüne gehüllt wurde.

Es ging zu Anfang des Spiels hin und her

Es ging von Beginn an hin und her. Aus einer Balleroberung entstand die erste Chance durch Robert Glatzel, der mit links an Nikola Vasilj scheiterte. St. Paulis erste Gelegenheit hatte der umtriebige Oladapo Afolayan, der über rechts kam und mit links zunächst das Außennetz traf (12.). Wenig später traf der Brite ins Netz. Wegen eines Fouls an Miro Muheim zählte das Tor allerdings nicht. Für den HSV vergab Kittel aus spitzem Winkel nach einem Steckpass von Ludovit Reis knapp (16.).

Es war ein Spiel mit offenem Visier auf beiden Seiten. Lukas Daschner hätte St. Pauli nach einer Hereingabe von Leart Paqarada freistehend in Führung schießen können, verstolperte den Ball aber (21.). Nach dieser Szene kippte das Spiel deutlich auf die Seite der Gäste. St. Pauli stand geordneter als der HSV. Aus der Unordnung entstand dann auch das erste Tor des Abends. Muheim stand zu weit weg von Afolayan, Schonlau konnte nach Daschners Pass Manolis Saliakas nicht mehr stoppen und der Grieche traf in die kurze Ecke (36.). Eine durchaus verdiente Führung zu diesem Zeitpunkt.

Jonas David traf für den HSV per 20-Meter-Traumtor

Der HSV brauchte etwas Zeit, um den Schock zu verdauen. Doch ausgerechnet in der Phase, als St. Pauli auf das 2:0 drängte, traf der HSV. Und wie. Der aufgerückte Innenverteidiger Jonas David nahm sich aus 20 Metern ein Herz. Es sollte der Schuss seines Lebens werden, denn der Ball senkte sich genau in den rechten oberen Winkel. Ein Traumtor, das den Volkspark und Trainer Tim Walter in Ekstase versetzte. Mit einem Gebet zum Himmel feierte David sein erstes Zweitligator überhaupt (44.). Der HSV war zurück im Spiel.

Mit 1:1 ging es in die Pause. St. Paulis Präsident Oke Göttlich, der mit dem Fahrrad zum Spiel kam, war begeistert. „Was für ein geiles Fußballspiel. Das schockt total. Die Jungs machen es sensationell“, sagte Göttlich und meinte damit in erster Linie seine eigene Mannschaft. Auch der frühere St. Paulianer Sören Gonther sah sein Ex-Team stärker. „St. Pauli ist klar die bessere Mannschaft. Das 1:1 ist zu wenig“, sagte Gonther bei Sky.

Ultras von HSV und St. Pauli zündeten mehrfach Pyrotechnik

Aber was bedeutet im Fußball schon die bessere Mannschaft? Dem HSV gab der Ausgleich richtig Auftrieb. Daran änderte auch die minutenlange Unterbrechung durch die von HSV-Ultras gezündeten Rauschbomben nicht. Keine drei Minuten waren in Halbzeit zwei gespielt, als aus dem verrauchten Hexenkessel ein Tollhaus wurde. Eine Hereingabe von Schonlau wurde länger und länger und landete schließlich vor den Füßen von Bakery Jatta, der am langen Pfosten den Ball unter die Latte setzte (48.). Bitter für den Gambier, dass er gar nicht jubeln konnte, weil er von Paqarada böse an der Wade erwischt wurde. Jatta lag mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden, aber er stand wieder auf. Schnell wurde aber klar, dass es nicht mehr lange weitergeht.

Jatta war aber immer noch auf dem Platz, als die Nordtribüne erneut bebte. Reis hob den Ball von der rechten Seite in die Mitte, wo Glatzel köpfte, Vasilj parierte und Moritz Heyer aus dem Rückraum abstaubte. 3:1 für den HSV (52.). Was für eine Stimmung im Volksparkstadion, dass mit 56.400 Zuschauern ausverkauft war. Einige Plätze blieben aus Sicherheitsgründen leer.

Stadtderby: Elias Saad brachte St. Pauli wieder heran

Doch damit war das Spiel noch lange nicht entschieden. Der eingewechselte Elias Saad tauchte plötzlich alleine vor dem HSV-Tor auf und legte den Ball an Daniel Heuer Fernandes zum Anschlusstreffer vorbei (71.) in die Maschen. Eric Smith zielte danach knapp vorbei (75.). Dann war es wieder der HSV, der jubelte, als Jakov Medic eine Hereingabe des bärenstarken Kittel ins eigene Tor grätschte (78.).

"Vier Gegentore sind zu viel, um hier beim HSV etwas zu holen. Wir haben zu viele individuelle Fehler gemacht", kritisierte St. Paulis Coach Fabian Hürzeler.

Die Entscheidung? Von wegen! Jackson Irvine traf nach einer Ecke per Kopf nur zwei Minuten später zum erneuten Anschluss (80.). Es war ein legendärer Abend, der um 20.30 Uhr endete, aber mit Sicherheit in den Geschichtsbüchern beider Vereine einen festen Platz finden wird.

  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer, David, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kittel – Jatta, Glatzel, Dompé.
  • FC St. Pauli: Vasilj – Medic, Smith, Mets – Saliakas, Irvine, Aremu, Paqarada – Hartel, Daschner, Afo­layan.
  • Schiedsrichter: Sven Jablonski (Bremen).