Benidorm. Marco Knoop ist der verrückteste und vermutlich beste Torwarttrainer der Zweiten Liga. Über einen bemerkenswerten Trainingsansatz.

Es spricht für seine Reaktionsschnelligkeit als ehemaliger Torwart und pädagogische Kompetenz als Trainer, dass Marco Knoop die Frage über die aktuellen Inhalte des Trainings direkt an Keeper Nikola Vasilj weiterleitet. „Gute Lernerfolgskontrolle, ob er auch verstanden hat, was wir gerade machen“, sagt Knoop grinsend. Sein Schützling mogelt sich schmunzelnd durch die Prüfung: „Alles.“

Tatsächlich war das Verständnis zwischen Torwarttrainer und Schlussmann des FC St. Pauli zu Beginn der Zusammenarbeit im Sommer 2022 aber eine Herausforderung. „Mein Torwarttraining zuvor hat sich überall geähnelt. Bei Marco habe ich vom ersten Tag an gemerkt, dass er besonders und komplett anders ist“, sagt Vasilj.

Knoop entwickelt Vasilj enorm weiter

Auf engem Raum spielerische Lösungen mit dem Fuß suchen, durch schmale Lücken passen, permanente Videoanalysen, ein kognitiv wie koordinativ forderndes und zugleich hoch interessantes Training – „aber ich habe schnell gemerkt, wie gut er mich macht und vertraue ihm komplett“ sagt der Bosnier über den 45 Jahre alten Ruhrpottler, an dem eigentlich nichts nicht markant ist. Eine Type eben.

Unter der sich Vasilj in den vergangenen eineinhalb Jahren vor allem im Spielaufbau deutlich gesteigert hat. Essenziell bei der Idee von Cheftrainer Fabian Hürzeler.

Torwarttraining ist keine losgelöste Disziplin

"Hierfür benötige ich genau die Fertigkeiten, die Marco von Beginn an zu verbessern versucht", sagt der 1,93-Meter-Mann. "Alles steht in Verbindung miteinander, es ist unser Job als Torhüter, so zu spielen, dass es zur Philosophie des Teams passt", ergänzt der einen Kopf kleinere Knoop.

Angesichts der traditionellen Kernkompetenz eines Torhüters boten sich Vasilj in der bisherigen Saison allerdings wenig Chancen, sich mit Glanzparaden auszuzeichnen. St. Pauli lässt die wenigsten Torchancen zu und kassiert die wenigsten Gegentore – auf den Kasten des 28-Jährigen kommen, wenn schon, häufig die fast Unhaltbaren.

Vasilj: "Es ist frustrierend, andererseits..."

„Das ist einerseits frustrierend. Andererseits sehen die meisten Zuschauer nur die starke Parade, wir Keeper wissen aber auch um die gelungenen Aktionen im Spielaufbau oder bei der Organisation der Verteidigung zuvor, die verhindern, dass es überhaupt zum Schuss kommt, daher kann ich gut damit leben“, sagt Vasilj.

Langweilig werde dem Nationaltorwart, der mit dem Balkanstaat über die Play-offs noch eine Chance auf die EM-Teilnahme in Deutschland besitzt, jedenfalls keineswegs: „Im Gegenteil, ich muss die korrekte Positionierung halten, unsere Formation dirigieren, es ist extrem fordernd.“

Fokus auf Abwehraktionen aus der Nahdistanz

Dennoch lässt Knoop während des Trainingslagers in Benidorm (Spanien) momentan fokussierter Abwehraktionen aus naher Distanz trainieren, zumeist in Verbindung mit offensiven Anschlussaktionen. „Wir müssen aufhören, das Torwarttraining als separaten Bereich anzusehen. Es ist immer Teil der gesamten Spielidee“, sagt der zweifache Vater.

Spielsituationen werden in den Einheiten permanent simuliert, alle möglichen Optionen der Offensive durchgegangen. „Wenn es am Ende zum Gegentor kommt, liegt es höchstwahrscheinlich nicht an schwacher Ausführung der Abwehraktion, sondern an mangelhafter Anpassung an die Angriffsalternativen zuvor“, sagt Knoop.

Vorbilder waren Campos und Chilavert

Der ziemlich einzigartige Ansatz des gebürtigen Brandenburgers ist biografisch bedingt. "Ich war nicht mit Größe gesegnet, musste als Torwart also anderweitig auffällig werden", sagt Knoop, dessen Idole die offensiv denkenden und kultigen Schlussleute Jorge Campos (Mexiko) und José Luis Chilavert (Paraguay) waren.

Allen spielerischen Lösungen zum Trotz verlangt Knoop von seinen Schülern, "dass sie nicht durchdrehen. Sie tragen immer noch die Nummer eins, nicht die zehn und sollen in der gegnerischen Hälfte Verteidiger aussteigen lassen", sagt er. "Vielleicht, wenn wir 3:0 führen?", fragt Vasilj lachend.

Lehrer und Schüler verbinden tiefes Vertrauen

Das Vertrauensverhältnis des Erfolgsduos ist augenscheinlich. In jeder Halbzeit beraten sie sich, witzeln mitunter: "Hast du gesehen, diesmal war es wirklich knapp, wie ich das Pressing überwunden habe."

All das stets vor dem Hintergrund harter Arbeit. "Marcos Training ist enorm anstrengend für Kopf und Körper. Es macht dafür extrem Spaß, ich darf mich bei ihm als Fußballer verstehen, nicht nur als Torverhinderer. Und das Wichtigste: Es funktioniert", lobt Vasilj seinen Coach, dem er Champions-League-Format attestiert.

Wie sieht der Torwart der Zukunft aus?

Der glaubt, dass künftig das Profil des mitspielenden Torhüters noch stärker nachgefragt wird, "weil immer mehr junge Trainer in den Markt kommen, deren Idee es ist, den Ball zu haben". "Torspieler, die sehr stark beim Spielaufbau unterstützen können", erwartet Vasilj.

"Aber wir brauchen auch den gut ausgebildeten Spezialisten. Und mental stark muss er sein, ein guter Anführer, der seine Mitspieler besser macht und ihnen Ruhe vermitteln, so wie Niko", sagt Knoop.

Nur die Ehefrau gerät in Panik

Seinen Schlussleuten verleihen die komplexen Übungsreihen eine bemerkenswerte Gelassenheit. „Ich gerate nie in Panik, weil ich jedes Szenario zahllose Male im Training durchgegangen bin“, sagt Vasilj.

Die Mitspieler haben tiefes Vertrauen in ihn. „Nur meine Frau Sara bekommt einen Herzinfarkt, wenn ich auf engem Raum dribbele“, scherzt Vasilj.

Gespräche über Vertragsverlängerung laufen

Der laut Knoop „definitiv bereit“ für die Bundesliga ist. Mit St. Pauli? Die Gespräche über eine Verlängerung des im Sommer auslaufenden Vertrags befinden sich nach Abendblatt-Informationen zumindest auf einem guten Weg.

„Ich fühle mich hier sehr wohl, auch wegen Marco“, sagt Vasilj, dem die wichtigste Rückrunde seiner Karriere bevorsteht. Das ist dann die wahre Lernerfolgskontrolle.