Hamburg. Erinnerung an den Sturz von Platz eins auf fünf vor zwei Jahren ist noch präsent. Welche Unterschiede Sportpsychologen diesmal sehen.

Wenn die Profis des FC St. Pauli an diesem Dienstag zum ersten Training nach der 1:2-Niederlage beim Karlsruher SC erscheinen, werden sie genug Zeit gehabt haben, um das frustrierende Geschehen im Wildparkstadion vom Sonnabendabend für sich verarbeitet zu haben – inklusive aller Begleitumstände.

Hatte Trainer Fabian Hürzeler schon vor dem Auswärtsspiel in Baden seinen Spielern dringend angeraten, nicht in den Rückspiegel zu schauen, so gilt es nach der dritten Saisonniederlage umso mehr, den Blick vor den letzten sechs Ligaspielen ausschließlich nach vorn zu richten.

Auch wenn der Vorsprung des Zweitliga-Tabellenführers auf Relegationsrang drei, der weiter von Fortuna Düsseldorf belegt wird, von elf auf acht Punkte geschrumpft ist, besteht ja auch objektiv betrachtet noch längst kein Grund zu der Annahme, dass der FC St. Pauli im letzten und entscheidenden Sechstel der Saison noch alles verspielt, was man sich bis dahin aufgebaut hat.

Beim FC St. Pauli werden Erinnerungen an 2022 wach

Doch die sachlich nüchterne Betrachtung der aktuellen Tabellensituation ist das eine. Die emotional geprägte Sichtweise und die Sorge mancher Anhänger davor, dass im Zweifel das denkbar Schlechteste eintritt, sind das andere. Seit dem jüngsten Bundesliga-Abstieg 2011 sind am Millerntor einfach schon zu oft vielversprechende Ausgangslagen verspielt worden,

Es sind ganz besonders die traumatischen Erinnerungen an jene Saisonphase vor zwei Jahren, die bei vielen Fans des FC St. Pauli noch immer Restzweifel am Aufstieg und damit Sorgen aufkommen lassen, dass der Kiezclub trotz der jüngsten 1:2-Niederlage beim Karlsruher SC den komfortablen Vorsprung von acht Punkten auf den Tabellendritten Fortuna Düsseldorf noch verspielen könnte. Die große Frage rund ums Millerntor lautet daher: Hat St. Pauli in dieser Saison die besseren Nerven?

St. Pauli stürzte 2022 von Platz eins auf fünf ab

Christian Spreckels erlebte es damals als Sportpsychologe des FC St. Pauli hautnah mit, wie die Mannschaft unter Trainer Timo Schultz nach der Herbstmeisterschaft mit 36 Punkten eine deutlich schwächere Rückrunde (21) ablieferte, dennoch am 27. Spieltag noch einmal die Tabellenführung eroberte, umaber am Ende noch auf Platz fünf zurückzufallen.

Der 59-Jährige rät nun Cheftrainer Fabian Hürzeler (31), den am Wochenende leicht geschrumpften Vorsprung vor Platz drei quasi zu ignorieren. „Damit sollten sie sich am besten gar nicht beschäftigen, sondern daran anknüpfen, was sie inhaltlich und spielerisch bis dahin so gut gemacht haben, dass sie sich diesen Vorsprung erarbeitet haben“, sagt Spreckels, der 2022 nach dem verpassten Aufstieg seine Arbeit am Millerntor nicht weiter fortführen durfte. Sein heutiger Rat: „Ich würde die tabellarische Situation nicht so sehr in den Vordergrund rücken, sondern das Inhaltliche. Das hat das Team so starkgemacht.“

St. Pauli hat immer noch acht Punkte Vorsprung auf Rang drei

Dass St. Pauli in dieser Saison stabiler spielt als noch vor zwei Jahren, hat Hürzeler mit seiner Mannschaft mehrfach bewiesen. An den ersten 20 Spieltagen blieb der Verein ungeschlagen und dominierte die Liga wie nie zuvor. Der Rückschlag von Karlsruhe samt fragwürdiger Schiedsrichterentscheidungen sollte das Team daher nicht lange beschäftigen. „Man sollte das als Herausforderung annehmen, unabhängig von Schiedsrichterentscheidungen sein Spiel durchzuziehen“, sagt Spreckels. „Ich kann mir auch vorstellen, dass das so umgesetzt wird.“

Ähnlich sieht es mit Heiko Hansen ein weiterer Hamburger Sportpsychologe. Er ist überzeugt, dass sich die Fehler von 2022 am Millerntor nicht wiederholen, sondern eine neue Story geschrieben wird. „Fabian Hürzeler schafft es sehr gut, die Glaubenssätze des FC St. Pauli zu verändern mit dem, was für den Erfolg notwendig ist. Mit Hürzeler hat es aufgehört, Angst vor Erfolg zu haben“, sagt er.

Psychologe Hansen sieht Trainer Hürzeler als Erfolgsfaktor

„Damit schafft er etwas sehr Wichtiges, was für den Verein und seine eigene Karriere bedeutend sein wird, nämlich sich auf das zu fokussieren, was notwendig ist, um die nächste Aufgabe zu bestehen“, sagt Hansen weiter. Wenn man stattdessen aber daran denke, dass man am nächsten Wochenende wieder drei Punkte gegenüber dem Verfolger einbüßen könnte, verfalle man wieder in alte Muster. „Dann kommt wieder durch, dass man mit einem Dasein in der Zweiten Liga mit einem vollen Stadion ganz gut leben kann“, sagt er.

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50

Hansen hat aber erkannt, dass Fabian Hürzeler anders tickt. „Er ist der erste Trainer, der dieses St.-Pauli-Denken in eine andere Richtung schiebt, und das auf eine Art, die für den Verein sehr annehmbar ist“, sagt er. „Er hat die Fähigkeit, mit den Spielern so zu sprechen, dass sie seine Haltung auch annehmen. Und er hat Spieler in seinem Team, die noch etwas wollen. Das ist auch wichtig.“ Dabei denkt Hansen etwa an Topscorer Marcel Hartel, Abwehrchef Eric Smith und auch Außenstürmer Elias Saad, die künftig unbedingt in der Bundesliga spielen wollen.

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Viel fehlt dem FC St. Pauli objektiv nicht mehr, um den größten Erfolg seit dem Bundesligaaufstieg 2010 zu feiern. Das Restprogramm scheint lösbar. Theoretisch könnte die Mannschaft sogar die einmalige Chance bekommen, am 32. Spieltag durch einen Sieg im Volksparkstadion beim HSV den Aufstieg perfekt zu machen. „Wenn ich Fabian Hürzeler wäre, hätte ich Spaß daran, meine Mannschaft nur darauf vorzubereiten, den großen HSV in seinem großen Stadion zu ärgern“, sagt Hansen, der bei einer solchen Konstellation nur den Derbysieg und nicht den möglichen Aufstieg in den Vordergrund stellen würde.

FC St. Pauli am Sonntag gegen Elversberg gefordert

Doch erst einmal kommt es für den FC St. Pauli an diesem Sonntag (13.30 Uhr) darauf an, mit einem Heimsieg gegen die SV Elversberg erneut eine Reaktion auf eine Niederlage zu zeigen. Der Aufsteiger aus dem Saarland scheint dabei ein sehr geeigneter Gegner zu sein. Der in der Hinrunde so starke Aufsteiger ist zuletzt etwas aus der Spur gekommen und hat nur eines seiner jüngsten sechs Spiele gewonnen. Fünfmal blieb das Team dabei ohne eigenen Treffer.