Hamburg. Kader, TV-Einnahmen, Sponsorengelder: Was sich für den designierten Aufsteiger eine Etage höher ändert und mit Marcel Hartel passiert.
Seit Sonntag sind alle schlauer. Und daher stellte sich Marcel Hartel dumm. Was wiederum besonders schlau war. Aber der Reihe nach.
Mit 2:0 hatte der FC St. Pauli Hertha BSC gerade besiegt, seinen Vorsprung von zehn Punkten auf Relegationsrang drei – bekanntermaßen gleichzusetzen mit dem HSV – zementiert. Bei neun ausstehenden Partien in der Zweiten Liga ist dem Kiezclub der Aufstieg in die Bundesliga kaum mehr zu nehmen.
So plant der FC St. Pauli für die Bundesliga
Dafür sprechen Mathematik wie Machtdemonstrationen auf dem Spielfeld. Ein plastisches Beispiel: Selbst wenn die Mannschaft von Fabian Hürzeler dreimal in Folge verliert und der HSV dreimal gewinnt, würden die Lokalrivalen die Plätze noch nicht tauschen.
Und doch mimte Hartel am Sonntag den komplett Unwissenden und antwortete auf die Frage, wie zuversichtlich er denn sei, dass „es“ klappt, trocken mit einer Gegenfrage: „Dass was klappt?“ Freilich weiß der 28-Jährige ganz genau, was klappen soll (und auch klappen wird).
Die Mannschaft denkt von Spiel zu Spiel
Dennoch hält sich der Topspieler mit forschen Prognosen ebenso zurück wie der Rest des Teams. Intern ist es, wie das Abendblatt erfahren hat, tatsächlich so, dass jeglicher Abgedroschenheit zum Trotz von Spiel zu Spiel geschaut und die Reise genossen wird. Ein in dieser Situation ausgesprochener cleverer Ansatz.
Extern wie in den Gremien des Clubs wird sich dagegen intensiv mit dem extrem wahrscheinlichen Szenario ab Sommer beschäftigt. Und wenngleich die Wahrheit auf’m Platz liegt, liegt sie im Profifußball auch immer in der Schatulle, auf die der Aufstieg einen eminenten Effekt hat.
TV-Einnahmen steigen signifikant
Allen voran die TV-Einnahmen explodieren im deutschen Oberhaus förmlich. In der aktuellen Saison können die Hamburger von Fernsehgeldern in Höhe von rund 11,7 Millionen Euro ausgehen.
Kommende Spielzeit wird sich diese Summe nach derzeitiger Prognose im Fall der Zweitligameisterschaft auf gut 34,1 Millionen Euro erhöhen. Steigt St. Pauli als Tabellenzweiter auf, gibt es immerhin noch knapp 31,6 Millionen Euro.
Sponsoreneinnahmen erhöhen sich um bis zu 50 Prozent
Alle wichtigen Sponsorenverträge dürften zudem einen Bundesliga-Aufschlag bringen, der in der Regel bis zu 50 Prozent sein kann, im Hospitality-Bereich bis zu 30 Prozent. Das gilt auch für den neuen Ausrüster Puma, der im Unterhaus zwei Millionen Euro pro Saison an die Braun-Weißen überweist.
Den geringsten Anteil auf die Mehreinnahmen werden die Erträge aus den Kartenverkäufen ausmachen. Das Millerntor-Stadion wird auch weiterhin mit 29.546 Zuschauern ausverkauft sein, der Preisanstieg dürfte moderat ausfallen. Circa 40 Millionen Euro hatte St. Pauli 2022/23 aus den Bereichen Eintrittskarten, Gastronomie, Vermarktung und Merchandising eingenommen.
Gesamterlös des Kiezclubs ist am Bundesliga-Ende
Mit dem Gesamterlösen des Konzerns von rund 62 Millionen im abgelaufenen Geschäftsjahr würde sich der Verein in der Bundesliga weit hinten einsortieren – wenngleich nicht ganz hinten. Die Vorjahresaufsteiger 1. FC Heidenheim (39 Millionen) und SV Darmstadt 98 (27) setzten im Geschäftsjahr vor dem Sprung in die Bundesliga weniger um als die Hamburger aktuell, der VfL Bochum (64) nur geringfügig mehr. Zumal all die sprudelnden Mehreinnahmen auch eine Kehrseite haben: die Mehrkosten.
Allein für den Aufstieg werden für nahezu alle Akteure und Stabsmitglieder Prämien fällig. Zudem steigen die Gehälter mehrerer Spieler an.
Gehälter erhöhen sich im Aufstiegsfall
In die verlängerten Verträge von Kapitän Jackson Irvine und Eric Smith beispielsweise sollen höhere Saläre für die Erste Liga hineinverhandelt worden sein. Hürzelers Gehalt soll sich in seinem neuen Vertrag nach Informationen dieser Zeitung und anderer Medien in der Bundesliga auf gut 900.000 Euro erhöhen, in der Zweiten Liga hätte es bei 600.000 Euro gelegen.
Der Spieleretat von gut 16 Millionen dürfte die 20-Millionen-Marke kratzen. Zudem muss Geld in Verstärkungen investiert werden.
Kern der Mannschaft soll erhalten bleiben
Dumm nur: St. Pauli hatte 2022/23 ein Minus von 4,9 Millionen Euro erwirtschaftet und kann auf dem Spielermarkt nicht freidrehen. Schlau: Vertragsfreie Akteure, die als Leistungsträger freidrehen, hatte die Sportliche Leitung ohnehin in den vergangenen Transferperioden reihenweise verpflichtet.
Auf diese Strategie soll auch im anstehenden Sommer in Teilen gesetzt werden. Grundsätzlich ist es aber ein Ziel des Zweitliga-Ersten, den Kern der angehenden Aufstiegsmannschaft mit in die Beletage zu nehmen und punktuell, speziell im Sturmzentrum sowie der Innenverteidigung, zu verstärken. Kontinuität ist einer der maßgeblichen Erfolgsfaktoren von Erstliganeulingen in den vergangenen Jahren gewesen.
Aussicht auf Verlängerung von Hartel steht gut
Vorrang hat dabei eine Position, auf der sich die Hamburger am liebsten nicht verändern möchten: der von Hartel. Das Arbeitspapier des besten Zweitligaspielers ist zum 30. Juni terminiert.
„Wir werden im April sehen, wie es weitergeht“, sagt Hartel, der sich in seinem Taktieren bis hierhin ziemlich klug anstellte und anstatt an Verhandlungen – Vorsicht Floskel! – von Spiel zu Spiel dachte. Die Prognose auf einen Verbleib des offensiven Mittelfeldspielers ist zunehmend positiv.
Welche Spieler sind bereit für die Bundesliga?
Hartel hatte sich bei seinen ersten beiden Anläufen in der Bundesliga beim 1. FC Köln und Arminia Bielefeld nicht durchgesetzt, nahm speziell in dieser Saison aber eine herausragende Entwicklung. Die Verlängerung Hürzelers soll maßgeblich zu seiner Entscheidung pro St. Pauli beitragen.
Uneingeschränkte Bundesligareife ist auch Smith zuzuschreiben. Die Außenbahnspieler Oladapo Afolayan und Elias Saad dürften mit ihrer Geschwindigkeit und Kreativität wenig Eingewöhnungszeit benötigen, Torwart Nikola Vasilj ist gesetzt, die Erwartungen an die Außenverteidiger Manolis Saliakas und Philipp Treu sind ebenfalls hoch.
Kapitän Irvine könnte zum Härtefall werden
Ein Härtefall könnte Irvine werden, da die Physis des Publikumslieblings ihn zwar in der Zweiten Liga abhebt, in der Bundesliga im zentralen Mittelfeld aber Grundvoraussetzung ist. Im Verein gebe es diesbezüglich aber keinerlei Bedenken, der Australier hat bei Welt- und Asienmeisterschaften demonstriert, auch auf Toplevel mühelos mithalten zu können. Denkbar ist zudem ein weiteres Leihjahr von Aljoscha Kemlein vom 1. FC Union Berlin.
Feststeht allerdings auch, dass die Kiezkicker in großen Ausmaßen auf interne Entwicklung setzen, damit die Rückkehr in die Bundesliga nach 13 Jahren kein einjähriges Intermezzo wird. Das Dumme hierbei: Die Trainingsplatzsituation mit nur zwei Plätzen an der Kollaustraße ist bereits im Zweitligavergleich eine der schlechtesten. Eine Etage darüber würde sich der Rückstand drastisch vergrößern.
Hürzeler: „Ich schmeiße jetzt alle raus"
Aber der FC St. Pauli der vergangenen Jahre wäre nicht der FC St. Pauli, wenn er nicht schlau vorgesorgt hätte. Denn der Coachingstab um Hürzeler, Co-Trainer Peter Németh und Torwarttrainer Marco Knoop hat sich in der Spieler- und taktischen Entwicklung profiliert.
„Ich schmeiße jetzt alle raus, nachdem ich verlängert habe“, witzelte Hürzeler am Sonntag noch, tatsächlich aber sei es „eine Bedingung für mich, dass wir in der Konstellation weitermachen. Die beiden sind wichtig für mich und tun der Mannschaft gut.“ Die Verlängerung der Verträge ist Formsache.
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Hürzeler ist schlau genug, das zu wissen. Das verhehlt er auch nicht. Vom Aufstieg mag er dennoch nicht reden. Aber das wissen seit Sonntag sowieso alle. Inklusive Marcel Hartel.