Hamburg. Die Hamburger sind zu gut für die Zweite Liga und spielen zeitweise wie vom anderen Stern. Nur die Ausfälle können sie noch stoppen.

Es ist in 99,9 Prozent der Fälle schon ziemlich anmaßend, von Fußball von einem anderen Stern zu sprechen. Selbst beim FC St. Pauli. Aber zumindest war das, was der Tabellenführer am Sonntagnachmittag präsentierte, kein Fußball aus der Zweiten Liga mehr.

2:0 (2:0) gewonnen gegen Hertha BSC, mit Möglichkeiten für ein 5:0, und gefühlt beginnt nun das Schaulaufen in Richtung Bundesliga. Spielerisch gehörte der Auftritt der Mannschaft von Cheftrainer Fabian Hürzeler genau dorthin.

St. Pauli auf dem Weg in die Bundesliga

Es war ja auch nicht irgendein Gegner, den die Hamburger da so irdisch wirken ließen. Es war immerhin ein gestandener Bundesliga-Absteiger, der vor der Saison noch als Aufstiegskandidat gegolten hatte.

Doch für die Berliner ging speziell in der ersten Halbzeit überhaupt gar nichts. Dass Trainer Pal Dardai kräftig pumpte, nachdem er auf dem Pressepodium Platz genommen hatte, stand sinnbildlich für sein Team. Das wurde von St. Paulis Gegenpressing förmlich erstickt und rang um jedes Sauerstoffmolekül.

Dardai: „Der Gegner war zu gut"

Dardai wirkte nicht einmal unzufrieden, als er über die Partie sprach, sondern nüchtern-realistisch. „Wir waren nicht gelähmt, der Gegner war einfach so gut, zu gut für uns. Dann siehst du am Ende ganz klein dagegen aus“, sagte der Ungar. Die Außerirdischen vom Millerntor schrumpften den bemitleidenswerten Rivalen einfach.

Irgendwie auch passend, dass eine Rakete den Turbostart des Kiezclubs befeuert hatte. Manolis Saliakas fackelte aus 21,6 Metern einen Schuss mit 122,64 Kilometern pro Stunde in die Maschen (16.).

Hamburger erzielen die meisten Weitschusstore

Marcel Hartel legte vor der Halbzeit, als es längst hätte 3:0 stehen können, von der Strafraumgrenze zum Endstand nach (44.). Kurios: Die unter Hürzeler so stark vors Tor kombinierenden Braun-Weißen haben bereits zehn Fernschusstore außerhalb des Sechzehners erzielt. Muss man gesondert erwähnen, dass es ein Ligabestwert ist?

Selbstverständlich nicht. St. Pauli ist der Konkurrenz, mit Ausnahme Holstein Kiels vielleicht, Lichtjahre enteilt – statistisch, spielerisch, tabellarisch.

Nur noch 18 Punkte fehlen

Zehn Punkte Vorsprung vor dem HSV auf Relegationsplatz drei besitzt die Millerntor-Elf nun. 18 Punkte aus den verbleibenden neun Begegnungen würden den sicheren Aufstieg bedeuten.

Wohlgemerkt, wenn die Clubs dahinter das Maximum an verfügbaren Zählern ergattern. Wenn dann noch einkalkuliert wird, dass St. Paulis Punkteschnitt mit 2,04 sogar über dem für die 18 nötigen zwei Zähler pro Spiel liegt, kann an einer Hand abgezählt werden, wie diese Saison enden wird.

Hartel: „Müssen bodenständig bleiben"

Doch die Spieler wähnen sich weder auf dem Mars noch in der Bundesliga, sondern ganz fest auf dem Erdboden. „Es entspricht nicht der Mentalität dieser Mannschaft, sich jetzt zurückzulehnen. Wenn wir nicht weiter Vollgas geben würden, hätten wir ein Problem mit dem Trainer“, sagte Innenverteidiger Hauke Wahl. Hartel betonte, dass es entscheidend sei, „nun bodenständig zu bleiben“.

Überhaupt: Während sich der Club der Zweiten Liga zu entwurzeln scheint, hatte Hürzeler die erste Partie nach seiner Vertragsverlängerung unter das Motto „back to the roots“ (zurück zu den Wurzeln) gestellt. Durchweg jeder Spieler nahm in der Mixed Zone später das Wort „basics“ (Grundlagen) in den Mund. „Unsere Basis ist die Defensive, darauf wollten wir uns nach zuletzt sechs Gegentreffern in zwei Spielen zurückbesinnen“, sagte Hartel.

Hertha kann den Ball kaum erobern

Was damit gemeint war, erläuterte Hürzeler: „Die Dinge wieder besser machen, die wir beeinflussen können, einfacher Fußball spielen. Das Gegenpressing; vielleicht mal einen zweiten Kontakt, anstatt nur per Einkontakt zu spielen; den letzten Schritt gehen.“ Und wie der gegangen wurde. Zahlen gefällig?

St. Pauli benötigte durchschnittlich zehn Sekunden, um den Ball zurückzuerobern, die Hertha 24. Karol Mets stand zweimal gute 15 Sekunden auf dem Ball, um den Gegner zu locken, ohne dass die eingeschüchterten Berliner sich auch nur einen Zentimeter bewegten.

Mets verdreht sich das rechte Knie

Dem Aufbauspiel des Spitzenreiters zollten die Gäste großen Respekt. Erstaunlich war allerdings, dass Hertha bei Weitem nicht so mannorientiert agierte wie Schalke und Magdeburg, die dadurch die Kiezkicker vor große Herausforderungen, gestellt hatten, sondern ähnliche Räume wie im Hinspiel bot. Dagegen setzte sich die Qualität eines Erstligisten – huch – Zweitliga-Ersten gnadenlos durch.

Eine Aliens zugeschriebene Fähigkeit geht aber sogar den St. Paulianern ab: die Fähigkeit zur direkten Selbstheilung. Mets überdehnte sich in der 80. Minute bei einer Defensivaktion das rechte Knie.

U-23-Mann Scheller als Vertreter?

Der hart gesottene Este signalisierte sofort, dass er ausgewechselt werden muss. „Es sieht nicht gut aus“, sagte Hürzeler.

Beim 1. FC Nürnberg am kommenden Sonnabend dürfte der Eckpfeiler der Verteidigung fehlen. Ersatzmann David Nemeth, der zuletzt wegen muskulärer Pro­bleme nicht im Kader stand, war unter der Woche auch noch krank. „Aber dafür haben wir ja Tjark“, sagte Hürzeler über den 22 Jahre alten U-23-Spieler Scheller, der gegen Hertha sein Profidebüt feierte.

Vier Stammkräfte fehlen in Nürnberg

Auch Saliakas, der den Berliner Ausnahmespieler Fabian Reese gemeinsam mit Adam Dzwigala gut im Griff hatte, muss in Nürnberg Gelb-gesperrt pausieren. In Eric Smith und Oladapo Afolayan fehlen die Stammspieler drei und vier.

„Daraus könnt ihr ja wieder ein Thema machen“, sagte Hürzeler in Richtung der Medienvertreter. „In der Vorwoche habe ich gedacht, die Welt geht unter, als ich Zeitung gelesen habe.“

Und ehrlich gesagt hat Hürzeler recht. Wen soll auf einem anderen Stern der Untergang der Welt schon interessieren?