Die beste Verteidigung der Zweiten Liga hat plötzlich Defensivprobleme. Aber nicht nur das. Zur Krönung fällt Spielmacher Smith aus.

Harry Kane verbrachte ein halbwegs glückliches Wochenende. Am Freitag in Freiburg hatte er zwar nicht getroffen, aber die Meisterschaft mit dem FC Bayern München ist ja sowieso abgehakt. Also durfte sich der Engländer über die steigenden Temperaturen freuen, um das Equipment der Sportbekleidungsfirma Reflo, deren Botschafter er seit Neuestem ist, endlich einmal auszuprobieren.

Dem Harry Kane des FC St. Pauli, wie er von Cheftrainer Fabian Hürzeler betitelt wurde, ging es dagegen hundsmiserabel. Eric Smith ist zwar ebenfalls leidenschaftlicher Golfer, aber – Wetter hin, Ausrüstung her – hat seit Freitagabend andere Sorgen, als sich mit dem Schlägerschwung zu beschäftigen.

Spielmacher Smith fehlt FC St. Pauli mehrere Wochen

Stattdessen kann der 27-Jährige keine richtige Kraft mehr im linken Bein entwickeln, seit er im Gelsenkirchener Rasen hängen blieb. Am Sonnabend bestätigte sich die Befürchtung einer Muskelverletzung der Adduktoren. Die Ausfallzeit kommunizierte der Kiezclub nicht.

Bei einer Überdehnung oder Zerrung muss mit zwei bis vier Wochen Pause gerechnet werden. Bei einem Muskelfaserriss können es bis zu acht Wochen sein. Die kommenden beiden Begegnungen vor der Länderspielpause gegen Hertha BSC und in Nürnberg dürfte der Schwede mindestens verpassen.

Trainer Hürzeler hat viel Arbeit vor sich

Und schon geht die Angst um beim FC St. Pauli, dass auf den letzten Metern im Aufstiegsrennen nicht nur Smith, sondern gleich die ganze Mannschaft im Rasen hängen bleibt. Das kollektive Aufatmen, als am Sonntag der HSV verlor, sodass der Vorsprung auf Relegationsplatz drei weiter sieben Punkte beträgt, dürfte vom Kiez bis ins Volksparkstadion hinein zu hören gewesen sein.

Es darf aber maximal an Moment des Durchschnaufens sein. Denn beginnend mit dem Training an diesem Montag haben Hürzeler und seine Spieler einen Berg voll Arbeit abzutragen.

Zweimal in Folge drei Gegentore

Wer den Coach auch nur ein bisschen kennt sowie die Identität des Teams, wird direkt wissen, womit zu beginnen ist: der Defensive. Dass die beste Verteidigung der Zweiten Liga nicht mehr so sicher steht, ist nicht erst seit dem 1:3 beim FC Schalke 04 am Freitag und dem 4:3 beim Holstein Kiel eine Woche zuvor offenkundig.

Die Hamburger lassen seit Jahreswechsel mehr Chancen zu, gestatten offene Flanken, leisten sich individuelle Fehler und offenbaren vor allem eine eklatante Schwäche bei den Zweikämpfen. Gegen den 1. FC Kaiserslautern (2:0) und Eintracht Braunschweig (1:0) gegentorfrei zu bleiben, glich, um im Golfterminus zu bleiben, angesichts der gegnerischen Möglichkeiten der Wahrscheinlichkeit eines Hole-in-one.

Einsatz der Kiezkicker lässt zu wünschen übrig

„Das war ganz, ganz schlecht verteidigt“, sagte Hürzeler über den zweiten und dritten Gegentreffer auf Schalke, das in den sechs Spielen zuvor lediglich drei Tore erzielt hatte. Zwar hatte der Dreierpack im Pott wenig mit dem an der Förde gemein, basierte auf anderen systematischen Gründen, aber ein besorgniserregender Trend ist erkennbar: der Einsatz.

Das lässt sich von außen zwar immer herrlich als Begründung für schwache Resultate anführen, weil es weder belegbar noch widerlegbar ist, wird in diesem Fall aber vom Trainer bestätigt: „Vielleicht fühlt sich der ein oder andere zu sicher. Wenn du nicht in die Zweikämpfe und Kopfballduelle gehen willst, die innere Linie nicht verteidigst, wirst du kein Gegentor verhindern. Wir haben gedacht, wir spielen ein bisschen Fußball hier, und das wird ein Selbstläufer“, sagte Hürzeler.

Hartel: "Das ist nicht unser Anspruch"

„Sechs Tore in zwei Spielen sind definitiv zu viel“, pflichtete Innenverteidiger Hauke Wahl bei. „Das passt nicht in unser Bild. Unser Anspruch ist es, deutlich, deutlich besser zu sein, die Null zu halten“, sagte Marcel Hartel. Wäre das immerhin geklärt, und Einstellungsprobleme lassen sich zumindest weitgehend auf Knopfdruck beheben. Aber …

… wenn es das allein wäre. Doch der Spitzenreiter findet auch offensiv zunehmend seltener Lösungen, dominiert die Gegner nicht mehr wie in der Hinrunde. Dass in Smith nun „unser wahrscheinlich wichtigster Mann im Spielaufbau“ (Hürzeler) ausfällt, ist geradezu fatal und weckt Erinnerungen ans Frühjahr 2022, als die Kiezkicker nach dem 27. Spieltag unter anderem deswegen noch vom ersten auf den fünften Platz zurückfielen, weil der Skandinavier die finalen sieben Partien verletzt verpasst hatte.

Gegner haben sich auf den Tabellenführer eingestellt

Allerdings war bereits mit Smith in den vergangenen Begegnungen der Schwung verloren gegangen. Rivalen tappen nicht mehr in die Pressingfalle im Aufbauspiel St. Paulis.

Dazu wird Torwart Nikola Vasilj nicht mehr direkt angelaufen, während die zehn Feldspieler in Manndeckung genommen werden. In Gelsenkirchen kam das Offensivspiel somit vollkommen zum Stoppen, ein Durchkommen wirkte so unmöglich wie ein Schlag aus ganz dichtem Rough. „Unser Dreiecksspiel über die Außenbahn hat nicht mehr geklappt“, sagte Hartel.

Hamburger müssen neue Lösungen finden

Indem er und Mittelstürmer Johannes Eggestein sich in den Halbräumen für Vertikalpässe anboten, während die Außenbahnakteure in ihrem Rücken in die Tiefe zogen, wurde zumindest eine Idee gewahr, deren Umsetzung allerdings an der Schwäche in Offensivduellen scheiterte. So bleibt Hürzeler nichts anderes übrig, als „zu analysieren, aufzuarbeiten und Lösungen zu finden“.

In der Hinrunde fehlte Smith übrigens in Paderborn (2:2) und Elversberg (2:0), was kaum aufgefallen war. Noch ist vieles also Jammern auf hohem Niveau und die Aussicht groß, dass Harry Kane zwar Golfen kann, aber wie immer titellos bleibt, während St. Pauli am Saisonende Grund zum Feiern hat.