Kiel/Hamburg. Beim wilden 4:3-Sieg gegen Holstein Kiel zeigte der FC St. Pauli Qualität in der Offensive, aber auch Schwächen in der Abwehrarbeit.
Natürlich hatten die Spieler des FC St. Pauli jedes Recht, ausgelassen mit ihren Fans zu jubeln. Sie hüpften und tanzten vor der Tribüne, glücklich, ausgelassen, euphorisch – und fix und fertig. Die Erleichterung nach diesem am Ende hingezitterten 4:3 (3:0)-Sieg im Spitzenspiel der Zweiten Liga beim ersten Verfolger Holstein Kiel am Freitagabend war riesig.
Sechs Punkte haben sie nun bereits zwischen sich und den Tabellen-Zweiten aus Schleswig-Holstein gelegt, der Weg zum Aufstieg in die Bundesliga wird immer breiter. „Es ging nur darum, dieses Spiel zu gewinnen, egal wie“, sagte Kapitän Jackson Irvine nach der Partie sichtlich erleichtert, „das ist uns gelungen und es war unglaublich wichtig.“
FC St. Pauli: Trainer Hürzeler fordert viel Arbeit
Doch schon rund eine Stunde nach dem Abpfiff dieses wilden Ritts im Ostseestadion wiederholte Trainer Fabian Hürzeler das Wort „Arbeit“ innerhalb kürzester Zeit bei seinen ersten Analysen immer wieder. Und er wird auch nach der näheren Beschäftigung mit der Partie am Video feststellen, dass vieles sehr gut war, zu vieles aber auch nicht.
„Ich bin grundsätzlich sehr selten zufrieden“, sagte der Coach, der am Montag seinen 31. Geburtstag feiert, „wir haben es in der zweiten Halbzeit nicht mehr geschafft, kompakt zu agieren.“ Das ermöglichte Kiel Räume, bei eigenem Ballbesitz wurde die Kugel zudem oft zu schnell wieder verloren.
Schon am Freitag geht es zu Schalke 04
„Es gibt viele Kleinigkeiten, die Spiele entscheiden können, da müssen wir dran arbeiten“, sagte Hürzeler. Statt mit der Mannschaft am Montag seinen Ehrentag zu feiern, wird es die Aufarbeitung der teilweise chaotischen zweiten Halbzeit geben. Und die Vorbereitung auf das nächste schwere Auswärtsspiel am Freitag (18.30 Uhr/Sky) bei Schalke 04. „Mein Fokus ist schon auf das nächste Spiel gerichtet“, so Hürzeler, „wir haben noch viel Arbeit, noch viel zu tun.“
Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50
Trotz der 3:0-Halbzeitführung durch die Tore von Oladapo Afolayan (11., 36. Minute) und Marcel Hartel (34.) verlor St. Pauli im zweiten Abschnitt den Faden. Kiel provozierte durch ständige Positionswechsel Chaos, entwickelte großen Druck. „Wir haben zu einfach Bälle und auch Zweikämpfe verloren, die wir nicht verlieren dürfen. Wir sind etwas zu fahrig geworden“, übte Hauke Wahl Selbstkritik.
Kiel vergibt hundertprozentige Chance zum Ausgleich
Torwart Nikola Vasilj verschuldete zudem den 1:3-Anschlusstreffer durch Shuto Machino (53.) und sah vor dem 2:4 von Joshua Mees (65.) mit einer zu kurzen Faustabwehr unglücklich aus. Lediglich beim 3:4 von Alexander Bernhardsson (82.) konnte der Bosnier nichts machen. Zu St. Paulis Glück nutzte Connor Metcalfe einen Konter zum 4:1 (57.). Das war letztlich der entscheidende Treffer, auch weil Bernhardsson in der 89. Minute eine einhundertprozentige Chance zum nicht unverdienten Ausgleich vergab.
Das Spielglück war also an diesem Abend auf der Seite der Hamburger. Schon in der 19. Minute fehlten nur Millimeter zu einem Kieler Tor, als der Ball eben nicht vollumfänglich hinter der Torlinie war. „Wir hatten es die ganze Saison nicht, dass wir so ins Schwimmen geraten“, sagte Sportchef Andreas Bornemann bei Sky: „Man muss aber auch mal dreckig gewinnen, solche Siege helfen dann enorm.“
St. Pauli fehlt die Souveränität von 2023
Auch Bornemann sieht aber, dass sich St. Pauli in diesem Jahr schwerer tut, die Erfolge einzufahren. Auch der 1:0-Sieg gegen Eintracht Braunschweig war durchaus glücklich, beim 0:1 gegen Magdeburg fiel dem Team offensiv nichts ein, beim 3:2 gegen Greuther Fürth wurde zwischenzeitlich eine 2:0-Führung verspielt. Und beim Viertelfinalaus im DFB-Pokal gegen Fortuna Düsseldorf rettete sich die Mannschaft erst in letzter Sekunde zum 2:2 und ins Elfmeterschießen. Die Leichtigkeit und Souveränität von 2023 fehlt derzeit.
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„Wir müssen Woche für Woche auf dem Boden bleiben und dürfen nicht abheben“, mahnte Marcel Hartel mit Blick auf die restlichen elf Partien in der Liga. Und auch Hauke Wahl weiß: „Auf Schalke erwartet uns wieder ein schweres Spiel. Es wird wieder eine Aufgabe für uns, bei der wie die Dinge, die wir heute nicht so gut gemacht haben, besser machen wollen.“
Trainer Hürzeler weiß auch, dass irgendwann das Spielglück wieder kippen kann, dann kommt man nicht mit einem Sieg davon wie am Freitag in Kiel. „Die Liga immer noch extrem ausgeglichen“, sagte er, „erreicht haben wir noch nichts.“
Holstein Kiel: Weiner - Becker, Erras, Kleine-Bekel, Rothe - Schulz (46. Sander), Porath, Remberg, Holtby (70. Bernhardsson) - Machino, Skrzybski (46. Mees).
FC St. Pauli: Vasilj - Wahl, Smith, Mets - Saliakas, Kemlein, Irvine, Treu - Metcalfe (72. Boukhalfa), Hartel, Afolayan (77. Ritzka).
Tore: 0:1 Afolayan (11.), 0:2 Hartel (34.), 0:3 Afolayan (36.), 1:3 Machino (53.), 1:4 Metcalfe (57.), 2:4 Mees (65.), 3:4 Bernhardsson (82.).
Schiedsrichter: Matthias Jöllenbeck (Freiburg), Gelbe Karten: Schulz (2) - Salikas (4), Zuschauer: 15.034 (ausverkauft). Statistik: Torschüsse: 12:11,Ecken: 3:1, Ballbesitz: 59:41 Prozent, gewonnene Zweikämpfe: 111:106, Laufleistung: 123,1:132,96 km.