Mit dem 4:3-Sieg beim ersten Verfolger bauten die Kiezkicker ihre Tabellenführung weiter aus, machten es aber unnötig spannend.

Am Ende fielen sich die Profis des FC St. Pauli glücklich, aber auch schwer erschöpft in die Arme. Trotz zweimaliger Drei-Tore-Führung musste das Team vom Millerntor schwer zittern, bevor der 4:3 (3:0)-Sieg beim Zweitliga-Tabellenzweiten Holstein Kiel feststand. So aber baute St. Pauli seine Tabellenführung auf sechs Punkte gegenüber Kiel aus.

"Am Ende hatten wir auch Glück, dass wir nicht noch das 4:4 kassieren. Da war mir zu viel Spannung im Spiel", resümierte St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler nach dem Spiel. "An unserer defensiven Stabilität, die uns sonst auszeichnet, müssen wir jetzt wieder arbeiten", blickte er schon auf die kommende Trainingswoche, ehe am Freitag das Auswärtsspiel bei Schalke 04 wartet.

Hürzeler hatte vor Spielbeginn für eine handfeste Überraschung mit seiner Startformation gesorgt. Dass anstelle des Gelb-Rot-Gesperrten Außenstürmers Elias Saad der Australier Connor Metcalfe in die Anfangself rücken würde, war ja allgemein erwartet worden. Jetzt fand sich plötzlich Stürmer Johannes Eggestein auf der Reservebank wieder, und für ihn durfte Mittelfeldspieler Aljoscha Kemlein von Beginn an aufs Feld.

FC St. Pauli: Hartel spielte auf der Mittelstürmerposition

Also kam für Eggestein nicht etwa ein anderer zentraler Stürmer wie Andreas Albers, Simon Zoller oder der Brasilianer Maurides zum Zuge, sondern der 19 Jahre junge, von Union Berlin ausgeliehene Kemlein. Albers und, erstmals seit November wieder, Zoller saßen auf der Bank, Maurides stand in Kiel gar nicht im 20-Mann-Kader.

Die Frage, wer denn nun Eggesteins Position in der zentralen Angriffsposition einnehmen werde, beantwortete sich erst nach dem Anpfiff von Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck. Es war St. Paulis Topscorer Marcel Hartel, der aus dem offensiven Mittelfeld praktisch eine Station weiter nach vorn rückte.

Die Idee dabei war offenbar, vor allem die langen Kieler Innenverteidiger Patrick Erras (1,96 Meter) und Colin Kleine-Bekel (1,92 Meter) am Boden mit Dribblings zu beschäftigen, da für Luftduelle auch Eggestein (1,83 Meter) keine Option gewesen wäre. "Ich sollte als eine Art Freigeist spielen, also nicht wie ein klassischer Neuner. Am Ende hat das gut geklappt", sagte Marcel Hartel.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther im Stadion

Dies stellte sich auch für Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) so dar, der sich das Zweitliga-Topspiel in der Landeshauptstadt bei Bier und Bratwurst nicht entgehen ließ. Vor dem Spiel sagte er am Sky-Mikrofon über das Team von der Förde: „Ich wünsche, dass sie es heute packen und es dann Richtung Aufstieg weitergeht.“

Mit dieser moralischen Unterstützung des Landesvaters im Rücken begannen die Kieler sehr engagiert. Der allein auf das St.-Pauli-Tor strebende Finn Porath lupfte den Ball über Torwart Nikola Vasilj, aber auch deutlich über das Tor ins Aus (5. Minute).

Drei Minuten später versuchte Kiels Stürmer Shuto Machino, Vasilj mit einem Flachschuss ins kurze Eck zu überraschen, der Ball hoppelte aber neben das Tor.

Ball nicht über der Linie, großes Glück für St. Pauli

Wie schon zuletzt beim 1:0-Heimsieg gegen Eintracht Braunschweig bewiesen die St. Paulianer dann aber eine sonst in der Saison lange vermisste Effizienz in der Offensive. Mit dem ersten Torschuss ging der Spitzenreiter in Führung. Dabei überwand der diesmal auf dem linken Flügel stürmende Oladapo Afolayan Kiels Torwart Timon Weiner mit rechts aus hablinker Position von der Strafraumgrenze mit einem Flachschuss zum 1:0 (11.).

Eine Portion Glück nahm St. Pauli in diesem Topspiel auch in Anspruch, als Marvin Schulz’ Eckball auf der Latte landete, kurz danach Tom Rothe den Innenpfosten traf (19.) und Vasilj den Ball gerade noch von der Torlinie wischte. Im Stadion wurde schon die Tormusik gespielt, doch Schiedsrichter Jöllenbeck ließ weiterspielen.

Zur Einschätzung, dass der Ball den Torlinie nicht vollständig überschritten hatte, kam in Köln auch Video-Assistent Nicolas Winter. Aber es war sehr knapp.

St. Pauli in der ersten Hälfte super effektiv

Es sollte für die Kieler noch ärger kommen. Einen guten Angriff über die rechte Außenbahn nutzte Metcalfe zu einem scharfen Pass in die Mitte, wo Hartel sich glänzend freilief und nur noch den linken Fuß hinhalten musste, um das 2:0 (34.) zu erzielen.

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50

Die Einladung der Kieler zu einem weiteren Treffer mochten die Gäste zwei Minuten danach auch nicht ausschlagen. Lewis Holtby hatte den Ball so ungenau auf Erras gespielt, dass dieser nur mit einer Grätsche retten konnte, dabei aber Hartel bediente. Dessen schnellen Pass nach vorn verwertete Afolayan eiskalt zur 3:0-Pausenführung (36.).

Das St.-Pauli-Team hatte gegen zumindest zeitweise recht ansprechend spielende Kieler sicherlich nicht seine beste, wohl aber eine überaus effektive Halbzeit gespielt. Vieles erinnerte an das Hinspiel am 17. September (5:1). Auch da hatte es zur Pause 3:0 für St. Pauli gestanden.

Australische Co-Produktion zum 4:1

Und die Parallelen setzten sich fort. Den Kielern gelang durch Machino das 1:3 (53.), wobei Torwart Vasilj den Schuss des Japaners offenbar fausten wollte, aber ins kurze Eck passieren ließ. Dabei sah er nicht gut aus. St. Pauli antwortete mit dem 4:1, was ein Treffer der Marke „Down under“ war. Connor Metcalfe verwertete das Zuspiel seines australischen Landsmanns Jackson Irvine mit schönem Direktschuss zum 4:1 (57.).

Doch dann gab es eine Variante im Drehbuch. Der eingewechselte Joshua Mees nutzte eine zu kurze Faustabwehr von Vasilj zum 2:4 (65.) und hielt die Hoffnung seines Teams am Leben.

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Das galt umso mehr, als auch noch der eingewechselte Tom Alexander Bernhardsson das 3:4 (82.) erzielte und auch noch die Chance zum 4:4 hatte. In der Nachspielzeit trafen bei Kontern Carlo Boukhalfa und Hartel noch die Latte des Kieler Tores. Es waren die Schlusspunkte eines wilden und am Ende noch höchst spannenden Spitzenspiels.

„Zu spannend“, befand Marcel Hartel nach dem Abpfiff. Er kritisierte, dass St. Pauli in der zweiten Halbzeit viel zu viel zugelassen habe. „Da haben wir zeitweise die Kontrolle verloren“, meinte St. Paulis Topscorer. Ähnlich äußerte sich Fabian Hürzeler. „Kiel ist ,all in’ gegangen, und sie haben nach der Pause stark gespielt. Aber wir müssten in der Situation auch besser und klarer Fußball spielen“, sagte der Trainer. Solche Spielsituationen seien auch ein Weckruf, dass es nicht „mit 90 Prozent“ funktioniere.

St. Paulis Kapitän Irvine lobt Reaktion auf Niederlage in Magdeburg

"Es war ein ungeheuer wichtiger Sieg. Kiel hätte mit uns gleichziehen können, jetzt sind wir sechs Punkte voraus", befand Kapitän Jackson Irvine nach dem Spiel. "Die ganze Mannschaft hat nach der Niederlage vor zwei Wochen in Magdeburg mit den Siegen gegen Braunschweig und heute eine ganz starke Reaktion gezeigt", sagte er weiter. Und was bedeutet für Trainer Hürzeler der Sechs-Punkte-Vorsprung auf Platz zwei? Klare Antwort: "Nichts!"

Holstein Kiel: Weiner - Becker, Erras, Kleine-Bekel, Rothe - Schulz (46. Sander), Porath, Remberg, Holtby (70. Bernhardsson) - Machino, Skrzybski (46. Mees).
FC St. Pauli: Vasilj - Wahl, Smith, Mets - Saliakas, Kemlein, Irvine, Treu - Metcalfe (72. Boukhalfa), Hartel, Afolayan (77. Ritzka).
Tore: 0:1 Afolayan (11.), 0:2 Hartel (34.), 0:3 Afolayan (36.), 1:3 Machino (53.), 1:4 Metcalfe (57.), 2:4 Mees (65.), 3:4 Bernhardsson (82.).
Schiedsrichter: Matthias Jöllenbeck (Freiburg), Gelbe Karten: Schulz (2) - Salikas (4), Zuschauer: 15.034 (ausverkauft). Statistik: Torschüsse: 12:11,Ecken: 3:1, Ballbesitz: 59:41 Prozent, gewonnene Zweikämpfe: 111:106, Laufleistung: 123,1:132,96 km.