Hamburg. Titel, Geldgeber, Plätze, Mitglieder, Stadion und Aufstiege: So unterscheiden sich die Nordrivalen vor dem Topduell an diesem Freitag.
Zu den ganz großen Clubs der in dieser Saison einmal wieder so prominent besetzten Zweiten Liga zählen diese beiden sicher nicht. Doch große Namen, das lehrt diese Liga ja immer wieder, sind noch längst keine Garantie für Erfolg. Auf jeden Fall steigt an diesem Freitagabend (18.30 Uhr, Sky) im Kieler Holstein-Stadion das absolute Topspiel der 2. Fußball-Bundesliga, wenn die KSV Holstein und der FC St. Pauli aufeinandertreffen.
Der FC St. Pauli tritt beim härtesten Verfolger an
In Kurzform: Der Tabellenzweite trifft auf den Spitzenreiter; die Mannschaft mit den meisten Siegen (13) spielt gegen das Team mit den wenigsten Niederlagen, nämlich genau einer; der Herbstmeister tritt gegen den Zweiten der Rückrundentabelle an. Zudem haben die Kieler mit plus 13 (41:28) die drittbeste Tordifferenz, während auch in dieser Hinsicht der FC St. Pauli mit plus 20 (39:19) vor allem wegen seiner mit Abstand besten Defensive der Klassenprimus ist.
„Da können wir uns alle auf ein schönes Spiel freuen“, frohlockte am Donnerstag Kiels Trainer Marcel Rapp. Und sein St.-Pauli-Kollege Fabian Hürzeler sagte schon zuvor: „Es ist kein normales Spiel, auch wenn es nur drei Punkte gibt. Es ist eine große Aufgabe, auf die wir uns freuen.“
Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50
Auf jeden Fall waren die beiden jüngsten Begegnungen der beiden Nordrivalen reich an Toren. Im Hinspiel am 17. September siegte St. Pauli 5:1, am Ende der vergangenen Saison (33. Spieltag) gewann ebenfalls die Kiezelf in Kiel in einem wilden Spiel mit 4:3. Da beide Trainer aber auch wert auf eine stabile Defensive legen, könnte sich zunächst ein von Abwarten und Disziplin geprägtes Spiel entwickeln.
Kiel kann erster Bundesligist aus Schleswig-Holstein werden
Doch was eint die beiden Vereine, die auch nach dem 23. Spieltag auf jeden Fall die beiden ersten Plätze der Liga belegen werden, und was unterscheidet sie?
Gemeinsam haben sie in jedem Fall, dass sie lange ihr Dasein im Schatten des HSV fristeten, der gerade auch in Schleswig-Holstein Zehntausende von Anhängern und Sympathisanten hat. Allein in Kiel und unmittelbarer Umgebung sind 17 offizielle Fanclubs des HSV registriert. Das verwundert kaum, denn bis zum Abstieg 2018 war der HSV für die Bewohner des nördlichsten Bundeslandes der geografisch nächstgelegene Erstligaclub, während sich Holstein Kiel nur unterklassig mit dem VfB Lübeck darum stritt, wer die Nummer eins im Land zwischen den Meeren ist.
St. Pauli stieg fünfmal in die Bundesliga auf – und fünfmal ab
Diese Frage ist seit geraumer Zeit erst einmal entschieden. Die Kieler spielen im inzwischen siebten Jahr in Folge in der Zweiten Liga, während Lübeck derzeit als Aufsteiger arge Abstiegssorgen in der Dritten Liga hat.
Sollte die KSV Holstein auch am Saisonende einen der beiden ersten Tabellenplätze belegen, wäre dies ein großer Eintrag in die Geschichtsbücher. Noch nie war ein Club aus Schleswig-Holstein in der 1963 gegründeten Bundesliga vertreten. Zweimal scheiterten die Kieler in den vergangenen Jahren erst in der Relegation (2018 an Wolfsburg, 2021 an Köln) an diesem Schritt.
Der FC St. Pauli dagegen kann auf fünf Bundesligaaufstiege – aber auch ebenso viele Abstiege – und insgesamt acht Bundesligajahre zurückblicken. Bald 13 Jahre aber ist das bisher letzte Erstligaspiel nun auch schon wieder her. Mehr als Platz vier sprang seitdem nicht heraus.
St. Pauli galt schon vor der Saison als Aufstiegsanwärter
Vor dieser Saison waren die internen und externen Erwartungen an die beiden Teams durchaus unterschiedlich. Für die meisten Experten galt der FC St. Pauli nach seiner clubinternen Rekordrückrunde mit 41 Punkten von Anfang an als ein Aufstiegsanwärter – trotz der namhaften Bundesliga-Absteiger Hertha BSC und Schalke 04. Für Holstein Kiel hingegen, das die Saison auf Rang acht abgeschlossen hatte, erwarteten die meisten nach 16 zum Teil prominenten Abgängen eher ein Übergangsjahr.
„Wenn man realistisch draufguckt, gibt es einfach ein paar Teams, die stehen über uns“, hatte auch Kiels Trainer Rapp gesagt. Doch das mit Talenten wie den Verteidigern Colin Kleine-Bekel (21) und Tom Rothe (19) sowie Routiniers wie Lewis Holtby (33) besetzte Team fand von Beginn an in die Spur und konnte zuletzt auch die kurze Schwächephase nach der Winterpause schnell wieder beenden.
In einem Punkt hat der FC St. Pauli allen Grund, neidvoll nach Kiel zu schauen. Die Trainingsbedingungen an der Förde sind erheblich besser als beim Kiezclub, der in der vergangenen Woche nach Mallorca geflüchtet war. Im Stadtteil Steenbek-Projensdorf hat die KSV Holstein ihr 4,5 Hektar großes Trainingsareal in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut und modernisiert.
Kiel hat einen Hybridrasen zum Training und im Holstein-Stadion
Einer der acht Plätze verfügt über einen widerstandsfähigen Hybridrasen, wie er auch im Holstein-Stadion verlegt ist. Der FC St. Pauli kämpft unterdessen darum, dass er sein Trainingszentrum an der Kollau von derzeit drei auf sieben Plätze erweitern kann.
Finanziell maßgeblich am Ausbau der Trainingsanlagen in Kiel war einer der beiden Großsponsoren des Clubs beteiligt. Gerhard Lütje, geschäftsführender Gesellschafter der Citti-Märkte, sitzt ebenso im Holstein-Aufsichtsrat wie Hermann Langness als Eigentümer des Trikotsponsors Famila. Neben ihrer Fußball-Leidenschaft eint die Kaufleute, dass sie zu den 100 reichsten Deutschen gehören sollen.
Heinz Weisener war St. Paulis letzter großer Mäzen
Derartige Geldgeber im Hintergrund, die teils auch aus dem Privatvermögen Verluste ausgeglichen haben, hat der FC St. Pauli heute nicht mehr. Der 2005 verstorbene Präsident Heinz Weisener war der letzte große Mäzen.
Die Einnahmen sprudeln dennoch, zuletzt stieg der Umsatz des Konzerns auf den Rekordwert von fast 62 Millionen Euro und ist damit rund doppelt so hoch wie bei der KSV. Doppelt so groß ist auch St. Paulis Millerntor-Stadion mit seinen fast durchweg besetzten 29.546 Plätzen im Vergleich zum Holstein-Stadion (15.034), dessen weiterer Ausbau stockt. Und noch größer ist der Unterschied bei den Mitgliedern. Gut 4000 zählt Holstein, mehr als 35.000 der FC St. Pauli.
Mehr zum FC St. Pauli
- FC St. Pauli zum Investoren-Aus: „Nicht die Zeit für Triumphgeheul“
- FC St. Pauli: Bei Gegner Holstein Kiel hat der Trainer verlängert
- FC St. Pauli: Hürzeler wünscht sich schnelle Klarheit über seine Zukunft
In Sachen nationaler Titelgewinne hat Holstein Kiel dafür die Nase vorn. 1912 waren die „Störche“ Deutscher Meister, nach einem 3:2 im Finale gegen den Karlsruher FV. Der Club vom Millerntor steht in dieser Hinsicht dagegen völlig bloß dar.
St. Pauli stimmte gegen DFL-Deal, Holstein Kiel dafür
Und wie standen die Clubs zum Investoren-Deal der DFL? Kiel, dessen Präsident Stefan Schneekloth (60) als 2. Stellvertretender Sprecher dem DFL-Präsidium angehört, zählte zu den Befürwortern, sein St.-Pauli-Pendant Oke Göttlich (48), ebenfalls Mitglied im DFL-Präsidium votierte dagegen. Auch hier: Ungleiche Nordrivalen.
Holstein Kiel: Weiner – T. Becker, Erras, Kleine-Bekel, Komenda – Porath, Remberg, Holtby, Rothe – Skrzybski, Machino.
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas, Irvine, Hartel, Treu – Metcalfe, Eggestein, Afolayan. Schiedsrichter: Matthias Jöllenbeck (Freiburg).