Hamburg. Der Mallorca-Trip der Kiezkicker zahlt sich aus. Aber müssen solche Reisen auf Dauer zur Notwendigkeit werden?
Reden wir übers Wetter. Zugegeben, es ist gewagt, mit dem belanglosesten aller Smalltalk-Themen einzusteigen, aber auch irgendwie alternativlos. Fünf Tage hatte der FC St. Pauli unter der bis zu 20 Grad Celsius warmen Sonne Mallorcas verbracht.
Zurück im Hamburger Regen bei nicht einmal halb so hohen Temperaturen rutschten die Kiezkicker nicht aus. Im Gegenteil: Nach dem 1:0 (1:0)-Heimsieg im mit 29.546 Zuschauern ausverkauften Millerntor-Stadion gegen Eintracht Braunschweig öffnet der Himmel seine Tore ganz weit.
St. Pauli dem Bundesliga-Traum ganz nahe
Und zwar nicht nur der irdische Himmel, der ab der zweiten Halbzeit einen amtlichen Regenguss über die Akteure kippte, vor allem das Portal zum Himmel aller Träume des Clubs hat sich nun sperrangelweit geöffnet. Sieben Punkte hat die Mannschaft von Cheftrainer Fabian Hürzeler durch den Zittererfolg nun zwischen sich und Relegationsplatz drei samt dessen Dauerabonnenten HSV gebracht.
Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50
Doch in der Großwetterlage im internen Kosmos des FC St. Pauli herrscht nicht Hoch Fabian vor, sondern die Ruhe im Auge des Sturms. „Wir fragen uns nur, was wir beeinflussen können, alles andere blenden wir aus“, sagte Hürzeler.
Glück, Vasilj und Afolayan bewahren den Sieg
Gegen Braunschweig konnte der Zweitligaspitzen erstaunlich wenig beeinflussen. Die abstiegsgefährdeten Niedersachsen besaßen zwar nicht das Übergewicht, aber die deutlicheren Chancen.
Am Ende bewahrte ein Cocktail aus Glück – als Thorir Johann Helgason aus sechs Metern frei vorbeischoss (23.) –, einer Glanzparade von Nikola Vasilj (40.) sowie matschig-dreckigem Verteidigen den Hamburgern den Erfolg. Eingängige Meinung am Millerntor: So gewinnen Aufsteiger.
Smith: "Solche Erfolge machen am meisten Spaß"
„Es war schwieriger und anders als sonst. Aber es ist uns gelungen, geduldig zu bleiben. Ehrlicherweise machen solche Siege am meisten Spaß“, sagte Eric Smith, der in Ballbesitz weit nach vorn vorschob, während um ihn herum das Feld breit gemacht wurde.
Die letztlich spielentscheidende taktische Maßnahme gegen das verbarrikadierte Zentrum war aber die veränderte Rolle von Oladapo Afolayan. Der Rechtsaußen rückte oft als zentrale Spitze ein, während der zwar trefferlose, aber gute Mittelstürmer Johannes Eggestein ein wenig weiter hinten Bälle unter Druck verteilte.
Saad fliegt vom Platz
Dass das Tor des Matchwinners dennoch nicht aus einem konzertierten Angriff, sondern einer verunglückten Klärungsaktion von Robert Ivanov resultierte (32.), zahlt indes auf die große Erkenntnis des Spiels ein: So gewinnen Aufsteiger.
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„Unsere Gegner bereiten sich eine Woche lang intensiv auf uns vor. Es ist dann unsere Aufgabe, sie vor neue, teilweise unerwartete Probleme zu stellen“, begründete Afolayan seine Positionierung. Die unerwarteten eigenen Probleme indes wurden durch ein Donnerwetter von Elias Saad verursacht.
Wetter spielt auch weiterhin eine Rolle beim Training
Der Linksaußen flog in der 67. Minute mit Gelb-Rot vom Platz und fehlt kommenden Freitag beim Spitzenspiel bei Holstein Kiel. Seinem Team brockte er zuvor eine Leidensphase in der finalen halben Stunde ein. Dabei zogen zwar immer wieder dunkle Wolken über dem Strafraum St. Paulis auf, zeitweise acht im 5-3-1 defensiv agierende Feldspieler fungierten jedoch erfolgreich als Blitzableiter.
Bei aller Erleichterung über diesen Erfolg stand bei Hürzeler nach der Begegnung noch ein anderes Thema auf der Tagesordnung: das Wetter. Dass sich der Mallorca-Trip ohne Wenn und Aber dank optimaler Trainingsbedingungen ausgezahlt hat, stand außer Frage.
Trainingsbedingungen sind suboptimal
Doch auch nächste Woche sind die Voraussetzungen an der Kollaustraße suboptimal. „Der Punkt ist, dass wir hier keine ausreichende Infrastruktur haben“, sagte Hürzeler.
Der hintere Platz im Trainingszentrum an der Kollaustraße sei immerhin präpariert worden, um grundlegende Einheiten zu ermöglichen. Der vordere muss erst noch ausgetauscht werden. „Wegen des Regens der vergangenen Tage wird das dauern“, sagte Hürzeler.
Erneuter Mallorca-Trip nötig?
Während es unter den Fans heißt, „St. Pauli ist die einzige Möglichkeit“, kann im Profiteam umgedichtet werden in „Mallorca ist die einzige Möglichkeit“. Doch so weit wird es in absehbarer Zeit nicht gehen.
Das Millerntor-Stadion wurde als Trainingsort zwar geprüft, schied aber letztlich aus, weil der Rasen dort sonst zu großen Schaden genommen hätte. „Ihr könnt euch sicher sein, dass wir auch alle Möglichkeiten in Hamburg prüfen“, sagte Hürzeler.
Irvine: "Wissen, was noch auf uns zukommt"
Er wirkte dabei völlig entspannt. Beeinflussen, was eben zu beeinflussen ist. So auch die Gemütslage innerhalb der Mannschaft. Das Leichtsinnigkeitsrisiko geht gen null.
„Wir wissen, was noch auf uns zukommt und haben alle Maß und Mitte für unsere Situationen. Nach Siegen sind wir nie zu euphorisch, nach Enttäuschungen nie zu niedergeschlagen. Und das Spiel am Freitag in Kiel wird uns sowieso bei voller Konzentration halten“, sagte Kapitän Jackson Irvine nach seinem Comeback. So gewinnen Aufsteiger, und so sprechen Aufsteiger, deren Platz an der Sonne ganz oben in der Tabelle ist.