Hamburg. Vor dem Spiel beim FC St. Pauli spricht der Trainer von Greuther Fürth im Podcast „Millerntalk“ über Entwicklung und Verantwortung.

Alexander Zorniger sitzt irgendwo in Fürth, Trainerbüro oder so, und ist virtuell mit dem Abendblatt verbunden. Als Gast des „Millerntalk“-Podcasts. „Man hat mich gezwungen“, sagt er. Na, na ... Nein, Quatsch. Im Gegenteil: „Der FC St. Pauli ist eine spezielle Nummer in Deutschland. Da nehme ich mir gerne die Zeit. Und ich freue mich extrem auf das Spiel. Lasst uns Spaß haben.“

Seit dem 24. Oktober 2022 arbeitet der Trainer bei der SpVgg Greuther Fürth. Der Bundesligaabsteiger war damals nach 13 Spieltagen Letzter in der Zweiten Liga. Am Sonnabend (13 Uhr/Sky) fordern die Franken nun allerdings als Tabellenzweiter im absoluten Topspiel den Tabellenführer am Millerntor heraus.

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Da hat der Trainer wohl doch einen gewissen Einfluss. „Für mich ist St. Pauli der klare Aufstiegsfavorit in diesem Jahr“, sagt Zorniger, „aber wir gucken mal, wie wir mit unseren Ansprüchen umgehen.“

Greuther Fürth hat seit Ende Oktober nicht verloren

Die Ansprüche sind intern beim Kleeblatt sicherlich längst formuliert, laut herausposaunen wollen sie das A-Wort aber nicht. Und doch: Zuletzt hat Fürth am zehnten Spieltag verloren – „beim anderen Hamburger Verein“, so Zorniger.

Seitdem gab es sieben Siege und zwei Unentschieden, 23 Punkte. Klar die beste Bilanz in dieser Zeit, vier Zähler mehr als St. Pauli. „Unter Alexander Zorniger haben sie eine beeindruckende Entwicklung genommen. Sie verteidigen aus einer kompakten Defensive heraus und schalten dann sehr gut um“, lobt St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler.

Junge Spieler erhalten eine echte Chance

Rund um Schlüsselspieler wie Marco Meyerhöfer, Julian Green oder Branimir Hrgota hat Sportchef Rachid Azzouzi gemeinsam mit Zorniger eine junge Mannschaft aufgebaut, die echte Chancen im Aufstiegsrennen hat. Auch weil der vom 1. FC Köln ausgeliehene, 20 Jahre junge Torwart Jonas Urbig eine herausragende Saison erlebt und in 18 Partien schon neunmal zu Null spielte.

Fürths Torwart Jonas Urbig hat eine herausragende Saison, spielte schon neunmal zu Null.
Fürths Torwart Jonas Urbig hat eine herausragende Saison, spielte schon neunmal zu Null. © DPA Images | Daniel Karmann

Der Junioren-Nationalspieler Urbig steht für das Erfolgsrezept von Fürth. „Die jungen Spieler laufen uns zu“, erklärt Zorniger das Fürther Erfolgsrezept: „Wir zeigen einen Zettel mit den Spielminuten von U-23-Spielern, und dann wissen die Berater und die Spieler: Hier bekommen sie ihre Chance.“

Zorniger ist seit Oktober 2022 bei den Franken

Aus dieser Mischung eine harmonische Einheit zu formen, ist Zorniger offenbar gelungen. „Die Spieler haben verinnerlicht, dass du als Fußballer nur gut irgendwo rauskommen kannst, wenn das Team erfolgreich ist. Deshalb haben wir zuletzt eifrig gepunktet, was dem einen oder anderen Team nicht gelungen ist, das definitiv ein höheres Budget hat.“

Zorniger hat seine Trainerkarriere mit 35 Jahren bei seinem Heimatverein Normannia Gmünd begonnen, wo er sieben Jahre tätig war. Über Sonnenhof Großaspach, RB Leipzig, VfB Stuttgart, Bröndby IF und Apollon Limassol auf Zypern, die er zur Meisterschaft 2022 führte, landete er schließlich in Fürth. Offenbar passt es sehr gut.

Hamburger Jurek Rohberg ein Assistent des Trainers

Aus dem „Retter“ ist ein Entwickler geworden. Ende November hat er seinen Vertrag bis 2026 verlängert. „Ich habe das Gefühl, dass hier etwas entsteht“, sagt er, „wir haben uns mit der jüngsten Mannschaft der Liga auf einen Weg begeben, der noch nicht zu Ende ist.“

Gemeinsam mit Zorniger hat auch sein Assistent Jurek Rohrberg (39) einen neuen Vertrag unterschrieben. Der Hamburger ist vielen als umtriebiger Sky-Reporter noch in Erinnerung, wollte als ehemaliger Oberligaspieler aber immer gerne in den Profibereich. 2021 ging er mit Zorniger nach Zypern: „Ich habe jemanden gesucht, der mir in der Reflexion hilft und so ein bisschen ein Schutzschild ist.“ Mit eingeleitet wurde der Kontakt damals von Thomas Meggle, das passt.

Zornigers Praktikum bei Holger Stanislawski

Denn zum FC St. Pauli hat der Schwabe ein besonderes Verhältnis, seit er im Rahmen seiner Fußballlehrerausbildung das Praktikum bei Holger Stanislawski und St. Pauli gemacht hat.

„Sie hatten immer wieder Typen, die sie besonders gemacht haben im Profifußball. Das Stadion mitten in der Stadt gibt immer eine besondere Atmosphäre“, sagt Zorniger, „aber ich glaube, auch St. Pauli musste irgendwann einmal feststellen, dass sie sich auch auf eine gewisse finanzielle Ebene stellen müssen, wenn sie auf dem sportlichen Level bleiben wollen.“

Rede von Marcel Reif hat Zorniger tief beeindruckt

Mit den Werten, die der FC St. Pauli vertritt, identifiziert sich Alexander Zorniger absolut. Der Familienvater wird sehr energisch, wenn er über Rassismus und das Aufkommen von rechtsextremen Tendenzen spricht. „Es ist in unserer Zeit elementar, dass auch Fußballtrainer als Vorbilder für viele eindeutig Stellung beziehen“, sagt er, „man kann gar nicht dankbar genug sein, wenn sich Leute wie Christian Streich klar positionieren.“

Die Rede von Marcel Reif im Bundestag anlässlich der Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus am vergangenen Mittwoch hat Zorniger tief angerührt. „Dieser Satz ,sei a Mensch‘, den er da am Schluss gesagt hat, der trifft eigentlich alles“, so Zorniger, „dafür stehen wir und müssen wir in der Öffentlichkeit stehen. Es ist gut, dass gerade Hunderttausende in Deutschland diese Meinung artikulieren.“

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Der 56 Jahre alte Zorniger stammt aus einer anderen Generation als sein 30 Jahre junger Kollege Hürzeler, bei dem er Teile seines jüngeren Ichs erkennt. „Es gibt ein paar Erfahrungen, die du in diesem Job verkraften musst, und ich glaube, da ist er gerade dabei“, sagt Zorniger. „Erfolg ist nicht immer der Freund von Entwicklung, aber er macht es einfach gut.“

Hürzelers noch ausstehende Vertragsverlängerung beziehungsweise den Wunsch nach einer Ausstiegsklausel kommentiert Zorniger natürlich nicht: „Ich glaube, es hilft, wenn du irgendwann mal angekommen bist im Alter. Aber in seinem Alter habe ich selbst noch gespielt.“ Dass eine Ausstiegsklausel einem Verein Planungssicherheit nimmt, ist für Zorniger kein Argument: „Wenn sie uns rausschmeißen nach im Durchschnitt einem Jahr und zwei Monaten, interessiert auch kein langfristiger Vertrag.“