Düsseldorf. Beim 2:1 in Düsseldorf stellten die Kiezkicker einen Laufrekord auf – und bewiesen damit abermals angehendes Bundesliganiveau.
Wer nicht nur ein Sinnbild, sondern gleich zwei Sinnbilder für die Vorherrschaft des FC St. Pauli in der Zweiten Liga suchte, fand sie am Sonnabend in der Merkur Spiel-Arena. Das erste ereignete sich in der Schlussphase des 2:1 (2:0)-Auswärtssiegs bei Fortuna Düsseldorf, als sich Athletiktrainer Karim Rashwan – den Namen bitte merken, er wird noch eine Rolle in dieser Geschichte spielen – über einen Schiedsrichterpfiff so ärgerte, dass er sich seiner Wasserflasche entledigte. Allerdings so brachial, dass Referee Frank Willenborg ihm Gelb zeigte.
Das zweite entstand eine halbe Stunde später tief im Bauch des zuvor noch mit 52.000 Zuschauern durch die Aktion „Fortuna für alle“ ausverschenkten Stadions bei der Pressekonferenz. Zum obligatorischen Handschlag mit Fortuna-Trainer Daniel Thioune schlug St. Paulis Chefcoach Fabian Hürzeler derart heftig ein, dass ein Teil der Sponsorenwand des Konferenztisches abfiel. Das Bild in beiden Szenen ist das gleiche: Die Hamburger wissen gar nicht, wohin mit all ihrer Kraft.
St. Pauli weiß nicht wohin, mit all seiner Kraft
Und das in fast allen Aspekten: spielerisch, energetisch, mental – wo anfangen, wo aufhören? Nach diesem abermals überzeugenden Auftritt und nunmehr fünf Punkten Vorsprung vor Rang zwei und Relegationsplatz drei wäre alles andere als der Aufstieg – sollte die Kiezkicker kein Unglück ereilen – schon eine herbe Enttäuschung.
Einen herben Dämpfer auf diese Ambitionen verpassten die Braun-Weißen aber zuvor Düsseldorf, immerhin Tabellenfünfter und auch am Tag der größten Karnevalsparty der Stadt alles andere als eine Kirmestruppe. Dass die Platzherren nach einem 0:2-Rückstand durch den Doppelpack von Marcel Hartel phasenweise, so wie kurz nach der Halbzeit und in den Schlussminuten, vor eigenem Publikum irgendwann einmal drängen, sollte St. Pauli zugestanden werden.
Wahl: „Wollen unser Tor unbedingt verteidigen"
Wie der Kiezclub aber die verbleibenden gut 70 Minuten die Mannorientierung mit Bällen hinter die Ketten schwindelig spielte und vor allem der Fortuna kaum Räume für ihre dadurch ziellos wirkenden Angriffe bot, hatte angehendes Bundesliganiveau. „Wir haben in der Winterpause viel daran gearbeitet. Das hat nicht immer Spaß gemacht. Aber nun wollen wir unbedingt unser Tor verteidigen, das tut uns richtig gut“, sagte Innenverteidiger Hauke Wahl.
Auch Hürzeler, der wegen seiner Gelbsperre die Partie von „irgendwo ganz oben“ verfolgt und in der Hektik der finalen Minuten den Telefonkontakt zur Bank um Assistent Peter Németh verloren hatte, meinte: „In der ersten Halbzeit haben wir so gut wie gar nichts zugelassen.“
Kiezkicker stellen Laufrekord auf
Maßgeblich dafür war eine Laufleistung für die Geschichtsbücher. 134,04 Kilometer spulten die Gäste ab, liefen damit praktisch jedes Loch zu. Bisheriger Rekordhalter der Zweiten Liga war Arminia Bielefeld in der Saison 2017/18 mit schlappen 130,22 Kilometer.
Allein Aljoscha Kemlein trug 13.840 Meter bei. Da Jackson Irvine und Connor Metcalfe am Sonntag mit Australien im Achtelfinale des Asien-Cups Indonesien mit 4:0 bezwangen und am Freitag (16.30 Uhr) auf Südkorea oder Saudi-Arabien treffen, muss der 19-Jährige auch weiter Schwerstarbeit leisten.
Am Dienstag „Rückspiel" im DFB-Pokal-Viertelfinale
Und hier kommt Rashwan (40) wieder ins Spiel. Dem eher unscheinbar statt kraftprotzig wirkenden Deutsch-Engländer „und den anderen Athletiktrainern sowie der medizinischen Abteilung“, dankte Hürzeler für die Ermöglichung dieser Spitzenleistung. Da schon am Dienstag das „Rückspiel“ im DFB-Pokal-Viertelfinale im Millerntor-Stadion ansteht, ist die Arbeit aber noch nicht getan.
Wie stark St. Pauli auch mental war, zeigte sich unter anderem an der Tatsache, dass Hürzelers Fehlen am Spielfeldrand nur für den 30-Jährigen selbst ein Thema war: „Es war schrecklich, die Mannschaft leiden zu sehen.“ Dass sie leiden musste, lag auch am offenkundig übermütigen Gefühl für die eigene Power.
Chancenverwertung bleibt zu ineffizient
Denn bei 2:0-Führung spielte die Millerntor-Elf munter nach vorn, als läge sie in Rückstand. „Vor dem 1:2 hatten wir keinen Grund, in die Box zu spielen. Dann war unsere Restverteidigung nicht gut, sodass es noch mal brenzlich wurde“, kritisierte Hürzeler.
Wenngleich Sportchef Andreas Bornemann (52) dem Team zu Recht eine „sehr reife“ Leistung attestierte, sind es solche Details, die St. Pauli bei noch 15 zu absolvierenden Spieltagen vorerst nur fast schon aufstiegsreif machen. Auch die weiterhin ineffiziente Chancenverwertung kann noch wertvolle Punkte kosten. In Düsseldorf scheiterten unter anderem Elias Saad, Oladapo Afolayan und selbst Hartel aus besten Positionen.
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Das passende Gefühl zur Einordnung schien schließlich der mit der größten Erfahrung zu besitzen. Németh (51) stapfte nach seinem Sieg, für den ihm Hürzeler einen Kuchen backen will, die Treppen Richtung Kabine hinab und sagte knapp: „Sehr gutes Gefühl – also wie immer.“ Falls noch jemand ein Sinnbild brauchte.