Hamburg. Warum die Vertragsverhandlungen zwischen dem Cheftrainer und dem FC St. Pauli weiterhin stocken und welche Auswirkungen dies hat.
Die Stimme klang ein wenig angekratzt. Nichts Unnormales bei Fußballtrainern, die von Berufswegen ihr Sprechorgan regelmäßig massiv belasten.
Dazu habe er im Nachgang des Ausscheidens im DFB-Pokal-Viertelfinale am Dienstag gegen Fortuna Düsseldorf viele Gespräche mit seinen Spielern führen müssen, sagte Fabian Hürzeler, als er am Donnerstagmorgen im Millerntor-Stadion zum anstehenden Spitzenspiel gegen die SpVgg Greuther Fürth sprach. „Wichtig ist, wie wir als Mannschaft reagieren“, sagte der Cheftrainer des FC St. Pauli. Die Botschaft: Vorausschauen, kein Blick zurück.
Wie geht es weiter bei Hürzeler und dem FC St. Pauli?
In die Zukunft blickt der begehrte Coach auch in Bezug auf seinen auslaufenden Vertrag beim Kiezclub. Und auch da wird er wieder viele Gespräche führen.
Noch in dieser Woche sollen weitere anberaumt worden sein. Im Kern wird es dabei auch wieder um die Ausstiegsklausel im Sommer dieses Jahres gehen, die Hürzelers Seite unbedingt möchte und die bislang der Knackpunkt zu sein schien.
Ausstiegsklausel nur ein taktisches Mittel
Inzwischen scheint es allerdings so, als sei dies eher ein taktisches Mittel der Beratungsagentur „Roof“, um Zeit zu gewinnen. St. Pauli, speziell Sportchef Andreas Bornemann, mit dem Hürzeler ein Vertrauensverhältnis pflegt, soll signalisiert haben, selbst im Fall einer Vertragsverlängerung eine Lösung finden zu wollen, falls ein Bundesligist im Sommer kurzfristig bei Hürzeler anfragt. Das würde dem Kiezclub immerhin eine Ablöse einbringen, die im niedrigen siebenstelligen Bereich liegen dürfte.
Dennoch zögert der Coach, der unbedingt und durchaus nachvollziehbarerweise kommende Saison in der Bundesliga arbeiten möchte, weiter. Eine Vertragsverlängerung hätten beide Seiten längst haben können, bereits im Herbst vergangenen Jahres intensivierten sich die Verhandlungen darüber.
Was Niko Kovac mit St. Paulis Trainer zu tun hat
Zu diesem Zeitpunkt ließ sich für Hürzeler allerdings noch nicht absehen, ob es mit den Kiezkickern und dem Aufstieg glückt. Das ist inzwischen zwar wahrscheinlicher geworden, aber längst nicht gegeben. Zugleich konnte in der Zwischenzeit, die unter anderem durch die Forderung der Ausstiegsklausel gewonnen wurde, abgewartet werden, wie sich die Situation auf den Trainerstühlen in der Bundesliga entwickelt.
Eine Vakanz könnte offenbar spätestens im Sommer beim VfL Wolfsburg entstehen, bei dem Cheftrainer Niko Kovac angezählt ist. Der ehemalige HSV-Spieler hat zwar noch einen Vertrag bis Sommer 2025, ihm droht nach übereinstimmenden Medienberichten aber schon am Sonntag ein „Endspiel“ um seinen Job gegen die TSG 1899 Hoffenheim.
VfL Wolfsburg wirbt mit Hürzeler um Neuzugänge
Sollte sich der 52 Jahre alte Kroate retten, dürfte nach der Sommer wohl trotzdem Schluss sein. Einer der Kandidaten auf die Nachfolge: nach Abendblatt-Informationen Fabian Hürzeler.
Denn, wie diese Zeitung aus mehreren Quellen erfahren hat, sollen die Niedersachsen bei Gesprächen mit potenziellen Neuzugängen bereits damit geworben haben, dass sie nächste Saison im Optimalfall unter dem 30-Jährigen spielen würden. Wolfsburg wäre ein passender nächster Schritt für Hürzeler, der dort weitgehend in Ruhe arbeiten könnte, aber finanziell deutlich größere Möglichkeiten als in Hamburg hätte.
Der nächste Karriereschritt wäre logisch
Aus dem VfL ließe sich potenziell ein international spielender Club entwickeln. Auf St. Pauli ist das zeitnah nicht absehbar.
Doch ganz so einfach ist die Situation nicht. Sollte Kovac bereits nach dem Wochenende freigestellt werden, dürfte Wolfsburg bei dann noch 14 ausstehenden Spielen kaum einen Interimstrainer auf die Bank setzen, den Hürzeler dann nur noch ablösen muss.
Hasenhüttl könnte den VfL kurzfristig übernehmen
Zumal die „Bild“ vermeldet, dass in diesem Fall mit Ralph Hasenhüttl bereits ein Nachfolger direkt bereitstehen würde – und der 56-Jährige ist definitiv kein Übergangscoach. Der Österreicher ist ein gestandener Bundesligatrainer, der unter anderem bei RB Leipzig und in der Premier League beim FC Southampton arbeitete.
Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50
Hürzelers einzige Option? Wohl nicht. Auch bei der TSG 1899 Hoffenheim soll die ins Stocken geratene Entwicklung unter Pellegrino Matarazzo nach zuletzt sechs Pflichtspielen in Serie ohne Sieg etwas genauer ins Auge gefasst werden.
Option B: die TSG 1899 Hoffenheim
Hürzeler hat eine Vergangenheit im Club, spielte in der Saison 2013/14 dort in der zweiten Mannschaft in der Regionalliga Südwest. Mehr als der branchenübliche lose Kontakt soll allerdings bislang nicht stattgefunden haben.
Und dann gibt es ja auch immer noch den FC St. Pauli. Der drängt zwar zunehmend auf Klarheit, hätte aber am liebsten, dass Hürzeler verlängert. Angeboten wird dafür ein Rekordjahresgehalt im hohen sechsstelligen Bereich, gern für mindestens zwei Jahre.
"kicker"-Kommentar sorgt für Verstimmung
Hürzelers Management wäre dem Vernehmen nach zunächst nur bereit, für eine Saison verlängern. Für geringfügige Verstimmung soll zudem ein Kommentar im „kicker“ gesorgt haben, der die Hinhaltetaktik Hürzelers und seiner Berater kritisch eingeordnet hat.
Berichtet wird, ein „Roof“-Vertreter soll dem Kiezclub vorgeworfen haben, im Vorwege vom Erscheinen dieses Beitrags gewusst , die Agentur davon aber nicht in Kenntnis gesetzt zu haben. Belege hierfür gibt es nicht.
Entscheidung über Hürzeler vermutlich im Februar
Die Gesprächsbereitschaft beider Seiten hat es ohnehin nicht eingeschränkt. Noch sind die Parteien auf der Suche nach einer gütigen Einigung – in die eine wie in die andere Richtung. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass noch im Februar eine Entscheidung darüber fällt, ob Hürzeler über die Saison hinaus Trainer auf St. Pauli bleibt oder bis zum Ende dieser Serie zur „lame duck“ (lahmen Ente) wird.
Klarheit sollte auf jeden Fall geschaffen werden bis Ende der Saison. So oder so, eine Hängepartie ist nicht förderlich für die Leistungsfähigkeit einer Mannschaft.
Welche Auswirkungen ein Abschied haben kann
Dabei muss es nicht einmal von Nachteil sein, wenn alle wissen, dass der Trainer zum Saisonende geht. „Das hängt sehr stark von der Art der Beziehung und der emotionalen Bindung zur Mannschaft ab“, sagt der Hamburger Sportpsychologe Thorsten Weidig, der auch mit dem Olympiastützpunkt zusammenarbeitet. „Wir sehen gerade in Liverpool nach dem angekündigten Abgang von Jürgen Klopp so eine Jetzt-erst-recht-Reaktion.“
Hürzeler und die Mannschaft haben tatsächlich eine sehr enge Bindung, das erklärte auch der Trainer am Donnerstag ausdrücklich: „Wir haben eine belastbare Beziehung aufgebaut, die Spieler vertrauen mir auch Dinge an, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.“ „Wenn in einem Kader ein starkes Wir-Gefühl vorhanden ist, kann ein Abschied zum Saisonende tatsächlich Energien freisetzen“, so Weidig, „dann möchte man den gemeinsamen Weg unbedingt erfolgreich zu Ende gehen.“
Sportpsychologe: "Spieler können gelähmt wirken"
Eine weitere Motivation für die Spieler kann zudem eine große Identifikation mit dem Verein sein, dann ist es eigentlich egal, wer der Trainer ist, die Spieler geben alles für ihren Club. „Wenn keines von beidem zutrifft, dann wird es allerdings schwierig“, sagt Weidig.
Sein Sportpsychologen-Kollege Christian Spreckels, der an der Universität Hamburg gerade an einer großen Studie über Fußballprofis arbeitet, sieht allerdings die Gefahr, dass bei einer sehr großen Identifikation mit dem Trainer es doch zu einem Leistungsabfall kommen kann: „Wenn das Verhältnis sehr bezugsgeprägt ist, dann können Spieler durchaus traurig wirken, wenn ihr Trainer geht. Dann können sie gelähmt wirken, und es sieht dann nicht so aus, als ob sie für ihren Trainer spielen.“ Andererseits gibt es auch Profis, die durchsetzungsmotiviert sind, „die wollen der Welt zeigen, dass sie sich von äußeren Einflüssen nicht beeinflussen lassen.“
Harmonische Kabinenkultur auf St. Pauli
Spreckels hat bei seinen Untersuchungen festgestellt, dass in Mannschaften erstaunlich oft viele ähnliche Motivationstypen vorkommen. „Das liegt wahrscheinlich daran, wen die sportliche Leitung aussucht, die fragt sich ja: passt der zu uns?“
Mannschaften hätten deshalb oft eine relativ homogene „grundlegende Kultur“. Das scheint in dieser Saison auch beim FC St. Pauli der Fall zu sein.
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Viele Spieler berichten, dass sie noch nie in so einer harmonischen Mannschaft aktiv gewesen sein. Wie diese Harmonie den Härtetest eines möglichen Abgangs ihrer größten Bezugsperson tatsächlich verarbeitet, wird eine der spannendesten Fragen der kommenden Wochen.