Benidorm. Der Topspieler der Kiezkicker spricht im Interview über seine Leistungsexplosion, taktische Inhalte sowie seine Zukunft.

Ob Videoanalyse oder Videotelefonie – für Marcel Hartel spielt sich dieser Tage viel in Bewegtbildern ab. Mit jeweils acht Toren und acht Vorlagen trägt der 27-Jährige zudem zu einer bewegten Saison des FC St. Pauli bei. In Bewegung ist der derzeit womöglich beste Zweitligakicker, der die meisten Kilometer aller Spieler abspult, sowieso immer – insbesondere im Trainingslager im spanischen Benidorm.

Herr Hartel, Sie haben sieben Trainingseinheiten in vier Tagen hinter sich. Wie ist Ihr Befinden?

Gut, wie sich ein Trainingslager eben so anfühlt.

Wie fühlt es sich denn an?

Es ist intensiv und hart mit vielen Trainingseinheiten, dementsprechend beansprucht ist mein Körper. Das Wichtigste ist aber, dass die Mannschaft gut drauf ist, konzentriert arbeitet und sich einer hervorragenden Stimmung erfreut. Daran müssen wir festhalten, um das Trainingslager ordentlich zu beenden und danach eine gute Rückrunde zu spielen.

Wie meistern Sie diese intensive Phase physisch, aber auch mental, da eine Vielzahl an Informationen auf Sie einprasseln?

So schwierig ist das gar nicht, wenn man ein wenig Erfahrung hat. Entscheidend ist, sich nach dem Training Ruhephasen zu gönnen, auch die Mittagspause zwischen zwei Einheiten zu nutzen. Manchmal schlafe ich dann ein wenig, manchmal entspanne ich bei einem Kaffee mit meinen Mitspielern.

Wie verarbeiten Sie die taktischen Informationen?

Für jemanden, der inzwischen etwas länger mit Fabian Hürzeler zusammenarbeitet, kann ich sagen, da eine Routine entwickeln zu haben. Unter Fabi gibt es täglich ein Taktikprogramm, wir kennen es nicht mehr anders.

Werden Ihnen auch individuelle Videos unterstützend zur Verfügung gestellt?

Abgesehen von der fast täglichen Videoanalyse mit der Mannschaft erhält jeder Spieler auch Material mit individuellen Szenen. Unser Analyst Sami Pierau schneidet nach jedem Spiel und vielen Trainings Clips zusammen, auf denen dargestellt ist, was bereits gut funktioniert – aber eben auch, was wir noch besser machen können. Beispielsweise, wie ich mich in der Offensive besser positionieren kann. Unter Fabi gibt es dann aber vor allem auch Informationen, wo ich defensiv stehen muss, um es dem Gegner schwieriger zu machen und der Mannschaft effektiver beim Verteidigen helfen kann.

Schauen Sie sich jedes Spiel noch mal an?

Das handhabe ich generell schon meine komplette Karriere so, lasse mir keine Minute entgehen, um immer etwas zu lernen.

Welche Themen werden aktuell im Trainingslager behandelt?

Wir arbeiten sehr viel an unserem Defensivverhalten. Allerdings ebenso am Spiel mit dem Ball, speziell gegen tiefer stehende Gegner, aber auch gegen hoch pressende. Es gibt viele Sachen, die wir schon wirklich gut machen. Potenzial gibt es aber ebenso reichlich.

Können Sie das ein wenig detaillierter ausführen?

Es geht weniger um Positionen, denn um die exakte Positionierung in bestimmten Spielsituationen. Das Verständnis auf dem Platz untereinander ist bereits sehr gut, wir verteidigen zusammen stark. Nicht umsonst verfügen wir über die beste Defensive der Zweiten Liga. Trotzdem sind wir der Meinung, dass uns das noch besser gelingen muss.

Worauf achten Sie persönlich im Training?

Ich weiß, was das Trainerteam von mir verlangt, muss daher selten auf einzelne Punkte achte. Es geht um Kleinigkeiten. Wie ich meine Positionierung einhalte, dass ich flexibel bleibe, je nachdem, welchen Spielaufbau wir wählen.

Bringen Sie Ihre eigenen Ideen bei der Interpretation Ihrer Rolle ein?

Wenn ich mit Fabi in der individuellen Analyse bin, besteht ein offener Austausch zwischen uns. Wir Spieler dürfen immer Fragen stellen und auch eigene Vorstellungen einbringen. Letztlich finden wir immer eine gemeinsame Lösung.

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Sie haben in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Evolution hingelegt zum jetzt womöglich besten Zweitligaspieler. Wie schätzen Sie sich persönlich ein?

Wie gut ich im Vergleich bin, sollen andere bewerten, aber es freut mich natürlich, dass meine Leistungen gesehen werden. Für mich ist der ausschlaggebende Punkt in meiner Entwicklung, dass ich das Vertrauen der Mannschaft und des Trainerteams spüre. In dieser Saison haben mir kleine Veränderungen an meiner Positionierung geholfen, meine Qualitäten bestmöglich auf den Platz zu bringen. Ich spiele jetzt ein bisschen offensiver, das tut mir sehr gut.

Können Sie das präzisieren?

Das ist eigentlich einfach zu erkennen, wenn wir in Ballbesitz sind. Das fängt beim Abstoß an. In der Vergangenheit war ich defensiver positioniert und habe selbst unseren Spielaufbau betrieben. Jetzt bin ich einer derjenigen, die versuchen, unseren Spielaufbau zu vollenden. Das funktioniert momentan gut.

Könnte man so gut sagen, ziemlich gut sogar. Hängt das allein mit der offensiveren Ausrichtung zusammen?

Nicht nur. Ich hatte im Sommer ein Gespräch mit Fabi, in dem mir bewusst geworden ist, dass in dieser Saison eine größere Führungsrolle auf mich zukommt. Diese Verantwortung muss ich tragen, und das wollte ich auch. Ich bin noch näher an die Mannschaft gerückt, in dem ich lauter auf dem Platz bin und versuche, meine Mitspieler zu coachen. Ich rede schon viel, aber das geht sogar noch ausführlicher.

Wenn man seinen Abschluss verbessern will, macht man Torschusstraining. Wie übt man, ein Führungsspieler zu werden.

Gute Frage, ich glaube schon, dass man das gewissermaßen lernen kann. Man muss aber auch der Typ dafür sein. Es gibt von Grund auf ruhigere Leute, was völlig okay ist. Ich bin eine offene Person, die viel spricht, auch viel Quatsch mit den Jungs macht. Dadurch ist es mir etwas leichter gefallen, diese Rolle anzunehmen.

Wie sah der Sommer aus, in dem Marcel Hartel diesen großen individuellen Schritt absolviert hat?

Ganz normal. Im Individualbereich trainiere ich schon seit Jahren vor allem meine Torabschlüsse, bin immer drangeblieben und habe nie nachgelassen. Das zahlt sich in dieser Saison bis jetzt aus. Aber deshalb höre ich nun nicht auf, hart zu trainieren.

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 19 / 35:16 / 39
2. Kiel 18 / 34:25 / 35
3. HSV 18 / 35:22 / 34
4. Fürth 18 / 28:20 / 32
5. Düsseldorf 19 / 40:25 / 31
6. Hannover 19 / 35:25 / 28
7. Paderborn 19 / 28:29 / 28

Wo sehen Sie weitere Potenziale?

Ich könnte noch stärker beidfüßig werden, meinen linken Fuß mehr benutzen, auch weiter daran arbeiten, einen noch besseren ersten Kontakt zu haben. Und natürlich vor der Defensive noch mehr in die Zweikämpfe gehen, Bälle gewinnen.

Die Bundesliga scheint der logische nächste Schritt zu sein.

Es ist schwierig, in die Zukunft zu schauen. Ich bin jedenfalls noch nicht am Ende meiner Entwicklung.

Wenn wir schon über die Zukunft sprechen: Ihr Vertrag bei St. Pauli läuft nach dieser Saison aus…

Ich habe schon oft genug gesagt, dass ich mich in Hamburg und beim FC St. Pauli sehr, sehr wohl fühle. Die Gespräche sind da, es gibt einen offenen Austausch.

Haben Sie sich eine Deadline gesetzt, zu der Sie Ihre Entscheidung treffen möchten?

Nein, beide Seiten sind absolut entspannt. Wir machen uns keinen Druck.

Zu Beginn haben wir über Ihr körperliches Befinden gesprochen. Wie ist es um Ihr familiäres bestimmt? Das ist Ihr erstes Wintertrainingslager als Vater.

Tatsächlich, so lange war ich bisher nie von meiner Tochter getrennt. Sie ist jetzt schon fast ein Jahr alt. Es ist hart, sie nicht zu sehen. Andererseits ist es auch sehr schön, weil sie inzwischen viel von dem mitbekommt, was um sie herum passiert. Wir können jetzt per Video telefonieren, und sie weiß, dass ihr Papa am anderen Ende ist. Das macht es einfacher und macht mich glücklich.