Hamburg. Der FC St. Pauli lässt gegen den Zweitliga-Aufsteiger Punkte liegen. Dabei hätte ein deutlicher Sieg herausspringen müssen.

Zwischen Stille und Enthusiasmus lagen noch zwölf Minuten, zwischen der „Scheiß DFL“ und einem „Fußballgott“ schon nur noch volle Umdrehung des großen Zeigers. Ehe sich der Kreis wieder schloss und für einen kurzen Moment Ruhe herrschte im Millerntor-Stadion. Auf die Herbstmeisterschaft in der Zweiten Liga muss der FC St. Pauli nach dem 1:1 (0:0) gegen den SV Wehen Wiesbaden am Sonntagnachmittag vergeblich warten. Diesen inoffiziellen Titel sicherte sich Holstein Kiel, zwei Punkte hinter St. Pauli folgt der HSV auf Rang drei.

Die Hamburger bemühten sich zudem vergeblich darum, dieses zweite, notwendige Tor gegen Wiesbaden zu schießen. Darüber herrschte Ernüchterung vor. Ein wenig war es das Nachspiel zum Beginn, als die Fans, so wie in vielen Stadien an diesem Wochenende, die ersten zwölf Minuten schwiegen, um gegen den Investoreneinstieg in der Deutschen Fußball Liga (DFL) zu protestieren.

Nach 2:27 Minuten gab es dennoch zumindest Szenenapplaus nach einer Offensiveinlage von Elias Saad, kurz vor Ablauf der selbst auferlegten Ruhepause wurde ein Countdown heruntergezählt.

Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50

St.-Pauli-Fans schweigen anfangs gegen Wiesbaden

Jenseits der Stille hätte St. Pauli direkt für die Komparation der Atmosphäre sorgen können. Aber Konjunktive haben, soweit bekannt, noch nicht für Gehörschäden gesorgt, und so ging der freie Schuss von Saad eben nicht ins Tor, sondern wurde Zentimeter davon von Robin Heußer geklärt (13.), ehe nur wenige Sekunden später Marcel Hartel aus gut 15 Metern über den Kasten schoss.

Der Toptorjäger des Kiezclubs ließ es sich auch nicht nehmen, die nächste Topgelegenheit zu verbuchen, als er per Steckpass von Jackson Irvine freigespielt wurde, aus ungefähr acht Metern aber zu wenig Spin an den Schuss brachte, um ihn vorbei an Torwart Florian Stritze ins Gehäuse zu befördern (18.).

Zu diesem Zeitpunkt hätte der Tipp von Helmut Schulte, der St. Pauli vor 35 Jahren in die Bundesliga geführt hatte, bereits Gestalt angenommen haben können. „Ich bin optimistisch. St. Pauli gewinnt 3:0, eher 4:0“, hatte der Ex-Trainer vor dem Spiel gesagt.

Gastgeber dominieren in allen Belangen

Gründe, zuversichtlich zu bleiben, gab es für die Hamburger trotz des abermaligen Chancenwuchers – Saad vergab erneut freistehend (23.) – dennoch genügend. St. Pauli ließ Wiesbaden nahezu keine Luft zum Atmen, klebte die Gäste förmlich in der eigenen Hälfte fest.

Zeitweise hatten die Braun-Weißen mehr als 75 Prozent Ballbesitz. Das Kombinationsspiel ließen sich häufig genug bis in letzte Drittel durchbringen. Die Hessen kamen regelmäßig nicht hinterher, waren im Angriff unpässlich, und Gästetrainer Markus Kauczinski – von 2017 bis 2019 am Millerntor beschäftigt – schimpfte an der Seitenlinie.

Führungstor durch Hartel lässt auf sich warten

Es schien nur ein Frage der Zeit zu sein, bis durch eine der ergebenden Öffnung bis Präzision durchgestoßen würde. Wartezeit, die zunächst um weitere Viertelstunde, die Halbzeit, verlängert wurde. In dieser hatte ein weiterer Ex, der von 2002 bis 2014 bei St. Pauli spielende zeitweilige Kapitän Fabian Boll, ein Rezept parat. „Nicht in Schönheit sterben, sondern das Ding einfach mal reinmachen“, forderte er als Experte bei Sky.

Die Fans im Millerntor-Stadion, die zu Beginn der Partie noch geschwiegen hatten, skandierten zu Wiederbeginn erst „Scheiß DFL“ und eine Minute später „Fußballgott“. Nämlich nachdem Hartel tat, wie Boll ihm geheißen hatte.

Gäste im Angriffsbemühen lange Zeit harmlos

Wiesbaden ließ sich auf der linken Seiten wieder einmal viel zu einfach überspielen. Nach drei fixen Kurzpässen war der Ball bei Mittelstürmer Johannes Eggestein gelandet, der gedankenschnell auf Hartel zurücklegte. Dieser nahm sich erst fast zu viel Zeit und – machte das Ding dann einfach rein (47.).

Hätte auch Irvine schaffen können, als er nach einer Dribbeleinlage von Saad, die mindestens die Hälfte des Eintrittsgelds wert war, an Stritzel scheiterte (54.). Geschenkt wie an Weihnachten, St. Pauli dominierte längst nach Strich und Faden. Den Wunschzettel, der überhaupt nur eine Wehen-Chance auflistete, konnte selbst der fleißigste Weihnachtsmann nicht abarbeiten, so schien es.

Chancenwucher vom FC St. Pauli

Und dennoch: Schon häufiger in der Saison bestand der Eindruck, dass den Kiezkicker im Antlitz ihrer Führung nichts passieren kann, ehe der unverdiente wie überraschende Ausgleich sie eines Besseren belehrte. Von daher wäre eine 2:0-Vorentscheidung beruhigend gewesen, doch Stritzel hielt erst den platzierten Freistoß von Hartel von der Strafraumgrenze exzellent (58.), wehrte dann auch Irvines Durchstoß gekonnt ab (64.).

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Reihenweise wurden weitere Gelegenheiten vergeben, bei vielen fehlte nicht das notwendige Können, sondern es fehlten Zentimeter. Die Überlegenheit dokumentierten auch mehrere Statistiken. Beispielsweise benötigte St. Pauli zur Balleroberung gut zehn Sekunden im Schnitt, Wiesbaden mehr als die doppelte Zeit. Nicht minder eindrucksvoll: Der Wert der „expected goals“, der zu erwartenden Tore, lag beim Gast bis weit in die zweite Halbzeit hinein bei 0,00.

St. Pauli kassiert späten Ausgleich

Wie viel solche Zahlen kurzfristig wert sein können, zeigte sich in der 81. Minute, als der eingewechselte John Iredale mit der ersten Chance des Spiels für den Aufsteiger das Lattenkreuz traf. Drei Minuten später zielte der Australier nach einem Konter genauer und überwand Keeper Nikola Vasilj per Hebe. St. Pauli wird brutal bestraft für all die vergebenen Möglichkeiten.

Eine weitere davon ereignete sich kurz nach dem Ausgleich, als Joker Connor Metcalfe am überragenden Stritzel scheiterte (86.). Mehr passierte nicht mehr. Zwar blieb den Anhängern der Heimmannschaft mehrfach der Torjubel in der Kehle stecken, aber sie mussten ruhig bleiben. Gleiches gilt für den FC St. Pauli, der nach einer überwiegend starken Hinrunde gelassen analysieren sollte, wie der Aufstieg im neuen Jahr gelingen kann.

Die Statistik

  • FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas (90.+1 Boukhalfa), Irvine, Hartel, Treu – Afolayan (83. Metcalfe), Eggestein (76. Maurides), Saad.
  • SV Wehen Wiesbaden: Stritzel – Angha, Carstens, Vukotic – Goppel (74. Mockenhaupt), Jacobsen, Heußer (74. Fechner), Catic (83. Rieble) – Bätzner (59. Iredale), Kade (74. Froese) – Prtajin.
  • Tore: 1:0 Hartel (47.), 1:1 Iredale (84.). Schiedsrichter: Gerach (Landau).
  • Zuschauer: 29.332.
  • Gelbe Karten: Saliakas (2), Saad (4) – Angha (5), Bätzner (2), Carstens (5).
  • Torschüsse: 28:5
  • Ecken: 12:2
  • Ballbesitz: 67:33 Prozent
  • Zweikämpfe: 107:104
  • Laufleistung: 123,3:118,4 Kilometer