Hamburg. Für die sichere Herbstmeisterschaft brauchen die Kiezkicker einen Sieg. Markus Kauczinski auf Wiesbadens Bank erschwert die Aufgabe.

Dass der SV Wehen Wiesbaden erst in dieser Saison wieder in die Zweite Liga zurückgekehrt ist, lässt sich an Kleinigkeiten erkennen. Ein Interview mit Cheftrainer Markus Kauczinski? „Klar, ruf ihn morgen um 11 Uhr an“, lautet die Antwort – private Handynummer inklusive.

Simplizität, die im Profifußball mittlerweile Seltenheitswert genießt. Am Sportlichen lässt sich allerdings keineswegs erkennen, dass die am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) beim FC St. Pauli im Millerntor-Stadion gastierenden Hessen ein Neuling in der zweithöchsten deutschen Spielklasse sind. „Wir haben unsere 21 Punkte nicht ergaunert, sondern erspielt“, stellt Kauczinski dann auch direkt klar.

St. Paulis Ex-Trainer gastiert mit Wiesbaden am Millerntor

Dies wiederum gelingt dem Tabellenelften unter dem Aufstiegstrainer, der von 2017 bis 2019 auch St. Pauli trainierte, mit: Simplizität. Dies darf als Kompliment verstanden werden, denn Wiesbaden setzt nicht dogmatisch auf eine destruktive Taktik oder nur plump auf lange Bälle, sondern passt den Stil Gegner und Gegebenheiten an und besticht dabei zumeist mit einer einfachen Klarheit.

„Es ist nicht mein Ziel, mich für meinen Fußball abfeiern zu lassen, dann aber zu verlieren“, sagt Kauczinski, und an bestimmter Stelle in Hamburg mag man sich angesprochen fühlen. Zu Saisonbeginn eher tief stehend und auf Umschaltspiel setzend, ging der SVW dann zu einem ballbesitzorientierteren Ansatz über.

Kauczinski: "Es ist immer ein Tricksen"

In Nick Bätzner, Robin Heußer und Hyun-ju Lee stehen passende Akteure dafür parat. Presst der Gegner, werden lange Bälle ausgepackt, um die Ketten gezielt zu überspielen. „Für den einen Stil sind wir nicht gleichmäßig genug, es ist immer ein Tricksen um die passende Spielweise“, erzählt der 53-Jährige.

Zuletzt funktionierte das nicht mehr ganz so gut mit der Trickserie, die vergangenen drei Partien gingen nach zuvor starkem Saisonstart verloren, vor allem die 1:3-Heimniederlage gegen Abstiegskandidat Eintracht Braunschweig schmerzte. Druck kommt noch nicht auf.

Wiesbaden defensiv stark, offensiv ohne Durchschlagskraft

Kauczinski bezeichnet die Ergebniskrise als kleines Wellental. „Als Aufsteiger müssen wir in jedem Spiel am Limit sein. Das ist uns in mehreren Saisonphasen gelungen, zuletzt waren wir aber etwas nachlässig, etwas zu wild und nicht konsequent genug in der Aufgabenerfüllung“, sagt Kauczinski.

In der Verteidigung, die als eines der wenigen wiederkehrenden Merkmale regelmäßig mit einer Fünferkette agiert, gelingt das konstanter. „Uns zeichnet eine gewisse defensive Stabilität aus, wodurch wir oftmals in der Lage waren zu punkten, wenn uns nur ein Tor gelungen ist.“

Herbstmeisterschaft für St. Pauli in Gefahr

Das Problem: Mehr als einen Treffer erzielte der Aufsteiger lediglich in drei der bisherigen 16 Zweitligabegegnungen. Selbst Torjäger Ivan Prtajin (sechs Treffer) zum Trotz fehlt es offensiv an der Durchschlagskraft.

Der FC St. Pauli wiederum stellt die beste Defensive der Liga, ist nicht nur deshalb gegen seinen Ex-Coach deutlich favorisiert in einer Partie, in der nach zuletzt zwei Unentschieden in Folge ein wenig Druck auf dem Kessel ist. Wehe, Wiesbaden gewinnt: Dann wäre die Herbstmeisterschaft in akuter Gefahr.

Kauczinski kehrt unsentimental nach Hamburg zurück

Und Kauczinski würde nur all zu gern den Spaßverderber mimen – nicht aus Groll, sondern eigenen Ambitionen. „Es war eine schöne Zeit in Hamburg, in der ich viele nette Leute kennengelernt habe. Aber nach den Jahren, die inzwischen vergangen sind, kehre ich unsentimental zurück. Wir kommen nach St. Pauli, um Punkte zu holen“, sagt er.

Der Respekt vor dem Spitzenreiter ist jedoch groß. Die Kiezkicker spielen einen sehr durchdachten Fußball, der in jeder Phase sehr klar sei, hat der sympathische Westfale analysiert. „St. Pauli hat in Ballbesitz mehr Qualität als wir. Dennoch wollen wir mutigen Fußball spielen, uns im Pressing Bälle erkämpfen und schnell umschalten“, sagt der gebürtige Gelsenkirchener.

Erstes Kennenlernen mit Fabian Hürzeler

Seinen 23 Jahre jüngeren Kollegen Fabian Hürzeler kennt der drittälteste Trainer der Zweiten Liga bislang noch nicht. Er leiste aber, welch Geheimnis, offenkundig sehr gute Arbeit. Es sei schön, am Sonntag ein paar persönliche Worte zu wechseln.

Dann ist es 11.20 Uhr. Kauczinski bittet um Verzeihung, er habe zu tun und richtet noch Grüße aus. Einen einfachen Stil mag er nicht spielen. Aber der Mann hat einfach Stil.