Rostock. Beim Spiel gegen den FC St. Pauli hissen Ultras der Gastgeber ein provokatives Banner, das das Sonnenblumenhaus zeigt.

Es war eine Spielunterbrechung, die Potenzial für einen Eklat bietet - und das nicht aus sportlichen Gründen. Schon kurz nach dem Anpfiff der Zweitligapartie zwischen dem FC Hansa Rostock und FC St. Pauli (2:3) im Ostseestadion ließ Schiedsrichter Robin Braun beide Teams pausieren. Hintergrund dafür war eine opulente Choreografie des Fanclubs "Plattenbau Rostock" samt sichtbehindernder Pyroshow über die komplette Südtribüne hinweg.

Darauf zu sehen war neben einem Hyänenkopf eine nahezu fotorealistische Abbildung einer Plattenbausiedlung inklusive des Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen. Dort waren bei Ausschreitungen im August 1992 bei rassistisch motivierten Angriffen mehr als 100 der dort lebenden, vietnamesischen Gastarbeiter sowie Roma-Familien durch Brandanschläge in Gefahr gebracht worden.

Rostock-Fans provozieren mit Sonnenblumenhaus-Banner

Wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben, die Unruhen dauerten vier Tage an. Polizei und Feuerwehr hatten unter anderem auch deshalb zeitweise die Kontrolle über die Situation verloren, weil bis zu 3000 applaudierende Zuschauer den Einsatz behindert hatten.

Die bengalischen Feuer, die am Sonnabend hinter dem Transparent aufflammten sowie die Rauchtöpfe, die aus Löchern im Banner schwarzen Qualm freigaben, erinnern relativ offenkundig an den Brand. Uneinigkeit herrscht hinsichtlich des Motivs der Ultra-Gruppierungen.

Hansa-Boss Marien unterstellt keine böse Absicht

Während es für die Mehrheit der Fans des FC St. Pauli sowie auch anderer Vereine, die ihren Unmut in den sozialen Netzwerken zum Ausdruck brachten, offenkundig eine Verhöhnung der Opfer und Glorifizierung des Anschlags darstellt, beteuerten die Rostocker, es handele sich hierbei um ein Gedenken der Geschädigten. Bei Facebook feierten Fans der Ostseestädter die Choreografie.

Hansas Vorstandsvorsitzender Robert Marien (42), der sich durchaus kritisch mit rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Fanszene auseinandersetzt, sagte gegenüber der Ostsee-Zeitung, es grenze an „Böswilligkeit“, den Anhängern zu unterstellen, „mit dem dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte zu kokettieren“.

FC Hansa Rostock verteidigt die Aktion

„Die Choreografie wurde anlässlich des 13-jährigen Jubiläums der Fangruppe 'Plattenbau Rostock' (kurz 'PBR') durchgeführt“, schrieb der FC Hansa darüber in einer Mitteilung. Die Gruppe sei seit vielen Jahren in der Fanszene aktiv und zu keinem Zeitpunkt durch Aktionen oder Äußerungen aufgefallen, „die nicht mit den Werten des FC Hansa zu vereinbaren waren oder sind“.

Weiter hieß es: „Die Mitglieder sind in den DDR-typischen Plattenbauten des Rostocker Nordwestens zu Hause und fühlen sich nach wie vor damit eng verbunden – daher auch der Name der Fangruppe – 'Plattenbau Rostock'. Die Choreo zeigt nicht nur das 'Sonnenblumenhaus', sondern auch andere Plattenbauten.“

Selbstverständlich herrsche Einigkeit darüber, „dass die schrecklichen Ereignisse von 1992 mit ganzer Schärfe verurteilt und keineswegs verherrlicht werden – dazu hat sich die Fanszene erst kürzlich auch noch einmal klar in ihrem Szenemagazin positioniert“, schrieb der Verein weiter.

Sonnenblumensymbol regelmäßig im Ostseestadion zu sehen

Die Sonnenblume ist im Ostseestadion regelmäßig zu sehen, gegen St. Pauli allerdings üblicherweise besonders prominent platziert. Im Vorjahr wurde ein mehrere Meter großes Lichtenhagen-Banner mit Sonnenblume darauf gut sichtbar in Richtung des Gästeblocks gehängt. Das Sonnenblumenhaus auf der Choreografie am Sonnabend war nun aus baulichen Gründen kaum für die Fans des FC St. Pauli erkennbar.

"Die Choreo funktioniert nach einem altbekannten Muster: So wird immer wieder mit Doppeldeutigkeiten kokettiert, um mit bestimmter Symbolik öffentlich für Aufmerksamkeit sowie Empörung zu sorgen - und sich bei Kritik bequem wegducken oder gar als Opfer inszenieren zu können. Bei solchen wichtigen Themen darf es aber keine Doppeldeutigkeit geben", teilte der FC St. Pauli mit.

Es war nicht die einzige fragwürdige Darstellung auf der Südtribüne. Auf einem Plakat direkt vor einem Capo (Vorsänger) war eine Person abgebildet, die mit einem Stuhl auf einen mit St.-Pauli-Logo versehenen Menschen einprügelt.

Hochsicherheitsspiel verläuft verhältnismäßig ruhig

Nach dem Treffer zum zwischenzeitlichen 2:1 des FC St. Pauli durch Marcel Hartel kam es zu Becherwürfen auf die jubelnden Spieler. Auch Beleidigungen, die allerdings in allen Stadien vorkommen, waren regelmäßig zu hören. Im Block des Kiezclubs wurde ebenfalls mehrfach Pyrotechnik abgebrannt.

Abgesehen davon blieb es weitgehend ruhig. Die Partie wurde von Anwesenden, die bereits in den vergangenen Jahren im Ostseestadion waren, als vergleichsweise entspannt beschrieben. Eine Einordnung, die angesichts der Vorkommnisse für sich spricht.

Zwei Kinder bei Ausschreitungen geringfügig verletzt

Auch die Polizei schrieb in ihrem Lagebericht nur von verhältnismäßig geringfügigen Straftaten. Das übelste Vergehen zog zwei Kinder in Mitleidenschaft, die nach dem Spiel bei Ausschreitungen geringfügig verletzt worden seien, teilte die Polizei am Sonnabend in einer Pressemitteilung mit.

Die bislang unbekannten Täter sollen aus einer rund 100-köpfigen Personengruppe heraus neben Einsatzfahrzeugen auch einen privaten Pkw mit Steinen beworfen und beschädigt haben. „In dem Pkw wurden zwei Kinder im Alter von zwölf und zwei Jahren durch Glassplitter leicht verletzt“, hieß es in der Mitteilung. Die Polizei nahm eine Strafanzeige wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs auf.

St.-Pauli-Fans mit Plakat gegen Gewalt an Frauen

Darüber hinaus war es entlang der Zufahrtsstraßen im Vorwege zu öffentlichen Anfeindungen gegen die Gästefans in Form von Graffiti, Aufklebern und Transparenten. Die Anreise der rund 2200 Gästefans sowie der für die Gäste eingerichtete Shuttleverkehr verliefen ohne nennenswerte Zwischenfälle. Gut 900 Beamte der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und der Bundespolizei waren im Einsatz.

Wie man auch anderweitig mit Bannern für Aufmerksamkeit sorgen kann, bewiesen die Fans der Hamburger. "Wir brauchen klare Positionen für Humanität", schrieb der FC St. Pauli. Diese Statements lieferten ihre Fans.

Anlässlich des internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, der am Sonnabend begangen wurde, hisste der Arbeitskreis Awareness der Braun-Weißen sein eigenes Plakat. "Diese Aktion verdient Respekt und vor allem mehr Aufmerksamkeit", so St. Pauli.