Rostock/Hamburg. Hamburger Fan schildert, wie er das Spiel bei Hansa Rostock erlebte. DFB ermittelt gegen Hansa Rostock wegen Hass-Bannern.
Zoran E. (der vollständige Name ist der Redaktion bekannt) stammt vom Balkan. Der Montenegriner ist emotionsgeladene Derbys, in denen sich schier unversöhnliche Fanlager gegenüberstehen, also gewohnt. Mehr noch: „Ich mag solche Spiele“, sagt der 46-Jährige. Dementsprechend hatte der Hamburger der Zweitligapartie des FC St. Pauli bei Hansa Rostock am Sonntag entgegengefiebert, die er mit seiner Frau, seinem Bruder und dessen Partnerin verfolgen wollte. Was E. im Ostseestadion entgegenschlug, war aber selbst ihm „mehr als eine Nummer zu viel“. Blanker Hass, rassistische und homophobe Hetzparolen, physische Einschüchterungen sowie ein zunehmend schwindendes Sicherheitsgefühl sorgten dafür, dass E. und seine Begleiter schon zur Halbzeit eingeschüchtert das Stadion verließen.
FC St. Pauli: Ordner haben sich nicht um den Mob gekümmert
Dabei hatte alles vergleichsweise entspannt begonnen. Die Polizei hatte beide Fanlager strikt voneinander getrennt, die verfeindeten, weil vor allem politisch an unterschiedlichen Enden des Spektrums verorteten Gruppierungen kamen nicht in direkten Kontakt. E. und seine Familie, alle neutral gekleidet, hatten gute Plätze: Osttribüne, Block 17A, weit oben, auf Höhe des Tors des FC St. Pauli. Top Sicht aufs Spielfeld – vermeintlich. „Denn kurz vor Spielbeginn hat ein Mob von rund 30 Personen die Aufgänge zwischen den Blöcken besetzt, die eigentlich frei bleiben müssen. Das hat keinen Ordner interessiert. Wir haben kaum etwas gesehen, was aber unser geringstes Problem war. Sie haben den benachbarten Block mit den St.-Pauli-Fans genau beobachtet, ab und an flogen Bierbecher über uns hinweg. Von uns hat sich aber niemand getraut, etwas zu sagen“, schildert E.
Nach den beiden Toren für Hansa Rostock wirkt die Lage für ihn zunehmend bedrohlicher. Die Fangruppe bedrängt nahestehende Zuschauer physisch. Klamotten der in der rechtsradikalen Szene beliebten Bekleidungsmarke „Thor Steinar“ seien weit verbreitet gewesen, berichtet E., dazu seien ihm viele eindeutig neonazistische Tattoos aufgefallen. „Das Harmloseste waren noch Hansa-Shirts mit AfD-Schriftzug“, so der Deutsch-Montenegriner, der nachträglich froh war, seinen kleinen Sohn nicht mit zum Spiel genommen zu haben. Der Schriftzug „A.F.D.F.C.H.“, der auf den Shirts vieler Fans zu lesen war, bedeute laut der dafür verantwortlichen Rostocker Faninitiative im Übrigen „Alles für den FC Hansa“.
„St.-Pauli-Juden“-Rufe hallten durchs Rund, E. erinnert sich an die Gesangszeile: „Wenn wir wollen, töten wir euch alle.“ Spätestens hiernach wollten er und seine Verwandten nur noch eines: weg. „Wir haben uns sehr unwohl gefühlt und schnellstens das Stadion verlassen. So eine hasserfüllte Atmosphäre habe ich noch nie erlebt“, sagt er.
Lichtenhagen-Banner verstörte den St.-Pauli-Fan
Auch auf der Südtribüne, Heimat der Ultras von Hansa Rostock, tobte der Hass in verbaler Form. Absolut fassungslos macht das mehrere Meter lange „Lichtenhagen“-Banner mit dem Abbild einer Sonnenblume. Zum Hintergrund: Vor genau 30 Jahren setzten Neonazis das überwiegend von Vietnamesen bewohnte Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen unter tosendem Jubel Tausender Zuschauer in Brand. Es waren die massivsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie durch ein Wunder kam keiner der mehr als 100 Bewohner, darunter zahlreiche Kinder, ums Leben. „Ein solch menschenfeindliches Attentat zu verherrlichen, war zu viel für uns“, so E.
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Zusätzlich wurden im Ultrablock trans- und homophobe Banner gehisst, unter anderem mit den Aufschriften „Euer Gender-Scheiß interessiert in Wolgast keine Sau! Hier gibt es nur Jungs, Mädchen, Mann und Frau! Scheiß St. Pauli“ sowie, grammatikalisch inkorrekt, „Schwule bekommen kein Nachwuchs!“. Auf einem Flugblatt hieß es unter den „Süd-Regeln“: „Keine Weiber in den ersten 3 Reihen!“ Und den „Sieg“-Rufen nach dem 2:0-Erfolg des FC Hansa ließen mehrere Zuschauer, selbst aus Richtung der VIP-Tribünen, gut vernehmbar ein „Heil!“ folgen.
Am Montagnachmittag reagierte auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und gab bekannt, ein Ermittlungsverfahren gegen Hansa einzuleiten. Primär führte der DFB hierfür das die Anschläge von Lichtenhagen offenbar verherrlichende Spruchband sowie das homophobe Banner als Gründe an. Der Kontrollausschuss fordert den Club zu einer Stellungnahme auf. Nach deren Vorliegen und Auswertung wird das Gremium über den weiteren Fortgang des Verfahrens entscheiden.
FC St. Pauli: Rostocker bekamen Banner und Böller ohne Probleme ins Stadion
Es ist auch die anscheinende Normalisierung der Feindseligkeiten, die erschüttert. Ein Teil der Hansa-Fans – ausdrücklich: ein kleiner Teil – ist seit Jahrzehnten für Entgleisungen dieser Art berüchtigt. Geschehen ist wenig, offenbar zu wenig. Ist eben Rostock, da müsse man das tolerieren. Der Verein wirkt taten- und vor allem hilflos. Offenbar mühelos gelingt es besagten Anhängern, ihre Transparente und Knallkörper, von denen einer im eigenen Block detonierte und sieben Personen verletzte, ins Stadion zu transportieren. Becherwürfe auf Spieler des FC St. Pauli nach Ende der Begegnung wurden von nicht eingreifenden und mitunter auch kollaborierenden Ordnern schulterzuckend hingenommen.
Auf Anfrage des Abendblatts reagierte der Verein am späten Montagnachmittag – und schob den Schwarzen Peter teilweise in Richtung der Gästefans. Zwar stellte Hansa klar, dass „Homophobie, Rassismus und ähnlich geartete Einstellungen und Ideologien nicht für den F.C. Hansa Rostock stehen“ und sich durch die in der Satzung verankerten Werte wie Toleranz verbieten, warf aber auch die Frage auf: „Woran machen Sie fest, dass Ereignisse von Lichtenhagen verherrlicht werden?“
Zu den „Sieg Heil“- und „St.-Pauli-Juden“-Rufen wollte sich Hansa mit Verweis auf die Quellenlage und „Hören-Sagen-Behauptungen“ nicht äußern, wohl aber dazu, dass es „bedauerlich sei, dass unsere Fans mehrfach vom gesamten Gästeblock als Nazi-Schweine beschimpft wurden – was in den Fernsehübertragungen sicherlich auch zu hören ist“. Weitere Kritik an den Hamburger Anhängern bezog sich auf deren Abschuss von Leuchtraketen nach Spielende: „Becherwürfe gehören sich nicht – stehen aber sicher nicht im Verhältnis zu den Leuchtspuren, mit denen der Heimbereich von den Gästefans beworfen wurde.“
Für E. und seine Familie endete der Nachmittag halbwegs versöhnlich. Die zweite Halbzeit verbrachten sie am Ostseestrand. Eines stehe für ihn allerdings fest: „Nie wieder Fußball in Rostock.“