Hamburg. Der 5:1-Sieg der Hamburger gegen den 1. FC Nürnberg war eine eindeutige Aufstiegsbewerbung. Die Gründe für die Dominanz der Mannschaft.

Einmal mehr war es der Trainer des Gegners, der den FC St. Pauli adelte. Nach Pal Dardai, Chefcoach von Hertha BSC, eine Woche zuvor, war es nun Nürnbergs Übungsleiter Cristian Fiél, der nach St. Paulis 5:1-Gala gegen sein Team am späten Sonnabendabend unumwunden zugab: „Um es auf den Punkt zu bringen: Wir haben heute gegen eine Mannschaft verloren, die besser ist als wir.“

Dazu muss man wissen, dass sowohl Absteiger Hertha BSC als auch der 1. FC Nürnberg grundsätzlich durchaus Ambitionen hegen, in die Bundesliga zurückzukehren. Und beide Teams waren jeweils mit einem Sieg im Rücken ins Spiel gegen den FC St. Pauli gegangen. Doch dieses Selbstvertrauen verflog schnell im Duell gegen die überaus dominant, kombinationssicher und kreativ auftretenden Kiezkicker.

St. Pauli ist die einzig ungeschlagene Mannschaft der Zweiten Liga

Mit nun vier Siegen in Folge hat das Millerntor-Team nach zuvor vier Unentschieden die vor einer Woche übernommene Tabellenführung in der Zweiten Liga verteidigt und ausgebaut. Der Punkteschnitt (2,11) liegt jetzt wieder über der Marke von zwei, mehr Tore als St. Pauli (18) hat nur Hannover 96 (20) erzielt, kein anderes Team kassierte weniger Gegentore als die Hamburger (6). Dazu sind die Braun-Weißen das laufstärkste Team der Liga. Und vor allem: Der FC St. Pauli ist weiter die einzige ungeschlagene Mannschaft der Zweiten Liga und hat sogar noch nicht einmal im Rückstand gelegen.

Soweit die statistischen Daten nach einem guten Viertel der Saison. Doch auf welchen Gründen basiert dieser Erfolg, der darauf hindeutet, dass der FC St. Pauli in dieser Saison sehr konsequent dem Aufstieg entgegenstrebt? Die wichtigsten seien hier genannt:

Die Gründe für St. Paulis Erfolg

Der Trainer: Fabian Hürzeler (30) brennt vor Ehrgeiz und lebt seinen Beruf so intensiv wie kaum ein anderer. Es gelingt ihm regelmäßig, sein Team passgenau auf den jeweiligen Gegner einzustellen, ohne dabei von seiner Grundidee des eigenen Spiels abzurücken.

Hürzeler weiß, dass er mit der im Dezember vergangenen Jahres übertragenen Aufgabe als Cheftrainer, die seinerzeit viele als Risiko betrachtet hatten, eine riesengroße Chance bekommen hat, sich im deutschen Profifußball zu profilieren. Es ist kein Geheimnis, dass ihn mehrere Erstligisten auf dem Zettel haben für den Fall, dass sie ihren Trainer wechseln wollen.

Hürzeler hat eine herausragende Bilanz

Die Zwischenbilanz Hürzelers ist jedenfalls einzigartig. Von jetzt 26 Spielen verlor er mit St. Pauli genau zwei. Dagegen stehen 18 Siege und sechs Unentschieden, was saisonübergreifend zu nunmehr 60 Punkten führte – mindestens elf mehr als jede andere Zweitligamannschaft. Eine klare Aufstiegsbilanz.

Es ist offensichtlich, dass Hürzeler genau dieses Ziel mit Akribie und Konsequenz verfolgt. Darüber zu sprechen aber, lehnt er kategorisch ab. „Ich hoffe, dass die Fans nicht nach der Bundesliga rufen, wenn sie es rufen, dann verbiete ich es ihnen. St. Pauli ist ein Arbeiterverein. Wir wollen Fußball arbeiten und werden auch weiterhin hart arbeiten, da wir wissen, dass wir als Spitzenreiter der Gejagte sind“, sagte er jetzt.

Clevere Kaderplanung der Millerntor-Elf

Dass er dies ernst meint, ist auch daran zu erkennen, dass er nach einer Fußball-Gala wie dem 5:1 gegen Nürnberg mehr über die Dinge spricht, die ihm nicht gefallen haben, wie etwa die Nachlässigkeiten nach dem frühen 1:0. In solchen Momenten tritt der unbändige Ehrgeiz des Trainers besonders deutlich zutage.

Der Kader: Sportchef Andreas Bornemann ist es in seinen gut vier Jahren bei St. Pauli gelungen, einen Kader komplett nach seinen Vorstellungen zusammenzustellen. Dienstältester Spieler ist jetzt Eric Smith, der aber auch erst seit Januar 2021 zum Team gehört. Dennoch wird seit geraumer Zeit kein langjähriger St. Paulianer im Team vermisst. Vielmehr werden Führungskräfte wie Jackson Irvine, Marcel Hartel und Smith von den Fans akzeptiert und inzwischen als „Fußballgötter“ gefeiert, als wären sie schon etliche Jahre da.

Defensive Grundlage der Spielidee

Immer wieder ist es Bornemann und der Scouting-Abteilung gelungen, sehr kreativ Spieler zu finden, die eine echte Verstärkung und Bereicherung für die Mannschaft sind. So kam Oladapo Afolayan aus der dritten englischen Liga und Elias Saad aus Norderstedt. Heute sind beide Topspieler der Liga.

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Die Spielidee: Trainer Hürzeler legt sehr starken Wert auf „defensive Disziplin“, und das von jedem einzelnen Spieler. Dies führt dazu, dass die Gegner häufig schon im Mittelfeld den Ball verlieren und gar nicht erst dazu kommen, einen richtigen Angriff zu initiieren. Dazu sorgt die physisch starke Dreier-Abwehrkette mit Topzugang Hauke Wahl, Smith und Karol Mets dafür, dass Torwart Nikola Vasilj meist sehr wenig zu halten bekommt.

Die Kiezkicker dominieren Gegner und Ball

Gleichzeitig verlangt Hürzeler von seinem Team einen dominanten Ballbesitzfußball. Beim 5:1 gegen Nürnberg war die Quote von 65 Prozent kein Zufall, sondern Programm. Der Coach erwartet, dass der Ball mit schnellen Flachpässen von hinten heraus gespielt wird und lange Zuspiele nach vorn die absolute Ausnahme bleiben. So wurde gegen die Franken schon das frühe 1:0 eingeleitet, auch das mustergültig herausgespielte 3:1 entstand so.

Das Risiko, durch einen Fehlpass im oder vor dem eigenen Strafraum ein Gegentor zu bekommen, wie gegen Nürnberg nach Vasiljs schlechtem Zuspiel auf Manolis Saliakas, wird bewusst in Kauf genommen. „Ich mache Niko keinen Vorwurf. Es war wichtig, wie er darauf reagiert. Er hat weiter so mutig gespielt. Das will ich sehen“, sagte Hürzeler, dem der Erfolg auch in diesem Fall recht gibt.

Auch der Teamgeist stimmt beim FC St. Pauli

Den Spielern jedenfalls ist anzumerken, welchen Spaß sie an ihrer Spielweise haben. „Ich hoffe, die Fans haben heute unser Spiel genießen können. Wir haben es jedenfalls auf dem Platz“, sagte nach dem 5:1 gegen Nürnberg etwa Smith.

Der Teamgeist: Wie sehr es in dieser Saison in der Mannschaft intern stimmt, machen mehr spontane Handlungen deutlich als wortreiche Bekenntnisse. Als die Mitspieler beim 3:1 gegen den FC Schalke 04 den gerade eingewechselten Dauerreservisten Carlo Boukhalfa für sein Tor zum Endstand geradezu überschwänglich feierten, zeigte dies, dass auch scheinbar unwichtige Spieler voll eingebunden sind.

Die Hierarchie ist geklärt, der Mannschaftsgeist stimmt

Hatte Ex-Trainer Timo Schultz vor gut einem Jahr noch Irvine und Leart Paqarada zu gleichberechtigten Kapitänen gemacht, so hat sich Hürzeler allein auf Irvine festgelegt. Inzwischen sickerte durch, dass der Kompromiss von Schultz darauf basierte, dass es teamintern zwei Fraktionen gab. Dies ist jetzt nicht mehr der Fall.

Lange außen vor war auch Stürmer Johannes Eggestein (25). Erst im Heimspiel gegen Kiel (5:1) Mitte September stand er erstmals unter Hürzeler in der Startelf. Gegen Hertha schoss er sein erstes Saisontor, nun gegen Nürnberg gelang ihm ein Doppelpack binnen sieben Minuten. „Jojo hat sich immer professionell verhalten und hart trainiert“, sagte Hürzeler. Nur so war er in der Lage, auf Anhieb ein wertvoller Startelfspieler zu sein, als er seine Chance bekam.

Die Rivalen lassen Punkte liegen

Die Konkurrenz: In dieser Saison gibt es ganz offensichtlich keine Übermannschaft in der Liga. Die beiden namhaften Bundesliga-Absteiger Hertha BSC und Schalke kämpfen mit ihren eigenen Problemen, St. Pauli hat beide schon überzeugend besiegt, und der Stadtrivale HSV hat schon zehn Punkte liegengelassen.

FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas (90.+1 Treu), Irvine, Hartel (90.+1 Boukhalfa), Ritzka – Afolayan (64. Metcalfe), Eggestein (80. Albers), Saad (80. Amenyido). 1. FC Nürnberg: Mathenia – Gyamerah, Marquez, Gürleyen, Handwerker (61. Brown) – Flick, Duman (46. Schleimer), Möller Daehli (82. Geis) – Goller (61. Uzun), Lohkemper (76. Daferner), Okunuki. Tore: 1:0 Saad (4.), 1:1 Okunuki (24.), 2:1 Eggestein (49.), 3:1 Eggestein (56.), 4:1 Amenyido (90.+3), 5:1 Metcalfe (90.+5). Schiedsrichter: Jöllenbeck (Freiburg). Zuschauer: 29.546 (ausverkauft). Gelbe Karten: Smith (2), Afolayan (2), Ritzka, Irvine (4) – Handwerker (2). Statistiken: Torschüsse: 20:7; Ecken: 8:4; Ballbesitz: 65:35 Prozent; Zweikämpfe: 88:76; Laufleistung: 121,6:116,1 Kilometer.