Hamburg. Neuer Aufsichtsrat des Kiezclubs sah Ex-Wirtschaftschef extrem kritisch. Ist der neue Finanzverantwortliche bereits gefunden?
Es war ein lauer Sommerabend, ein Freitag um 18 Uhr, an dem der FC St. Pauli Überraschendes verkündete: Mit „Bernd von Geldern verlässt den FC St. Pauli“ war die Pressemitteilung überschrieben, die gerade noch pünktlich zum Ende des Geschäftsjahres am 30. Juni verschickt worden war.
Der so erfolgreiche Geschäftsleiter Wirtschaft soll nach sieben Jahren plötzlich genug haben, scheidet „auf eigenen Wunsch“ aus. Es schien nicht zusammenzupassen – und ist wohl auch nur ein Teil der Wahrheit.
FC St. Pauli: Neuer Aufsichtsrat sah von Geldern kritisch
Denn nach Abendblatt-Informationen war es bereits ein verschneiter Winterabend, der das Schicksal von Gelderns besiegeln sollte. Am 17. Dezember, einem kalten Sonnabend, wurde damals im Saal 3 neuen CCH am Dammtor bei der Mitgliederversammlung der neue Aufsichtsrat gewählt. Und der Wind, der fortan aus diesem kam, pfiff von Geldern offenbar kälter ins Gesicht als der, der ihn im Anschluss an die knapp achtstündige Veranstaltung außerhalb des CCHs erwartete.
Mit Kathrin Deumelandt, Inga Schlegel, René Born und Anna-Maria Hass stießen vier neue Aufsichtsräte zur verbliebenen Aufsichtsratschefin Sandra Schwedler, Philippe Niebuhr und Sönke Goldbeck. In der neuen Konstellation soll von Geldern deutlich kritischer gesehen worden sein als zuvor. Bemängelt worden sei unter anderem die Mitarbeiterführung des nach außen hin stets korrekt und sympathisch auftretenden 57-Jährigen, der St. Pauli gesund aus der Corona-Pandemie geführt und die Sponsorenerlöse sukzessive gesteigert hatte.
Berufung zum besonderen Vertreter blieb aus
Ein weiterer Grund für das vorzeitige Ende der Zusammenarbeit war offenbar die Uneinigkeit innerhalb des Clubs darüber, von Geldern – ebenso wie Sportchef Andreas Bornemann – als sogenannten besonderen Vertreter ins erweiterte Präsidium aufzunehmen. Dabei hatte der FC St. Pauli bereits im Juli 2022 anlässlich der von da an hauptamtlichen Tätigkeit von Präsident Oke Göttlich angekündigt, dass genau dies geschehen sollte.
Danach passierte jedoch: nichts. „Der FC St. Pauli konnte sich mit Bernd von Geldern nicht auf einen Vertrag zum Besonderen Vertreter verständigen. Die im Zuge der Herausforderungen der COVID-19-Pandemie erarbeitete Möglichkeit, Personen zu Besonderen Vertretern zu bestellen, ist nach der Verhauptamtlichung von Teilen des Präsidiums vorerst zurückgestellt worden“, antwortet der Verein auf Abendblatt-Anfrage.
Aufsichtsrätin Hass von Anfang an Kritikerin von Gelderns
Womöglich tiefblickend hierbei: Am 11. Juli 2022 wurde in einem Beitrag des Blogs „Magischer FC“ die Frage aufgeworfen, ob es diese besonderen Vertreter überhaupt brauche. Die Antwort: „Nein, braucht Mensch nicht.“ Was daran interessant ist? Damalige Mitbetreiberin des Blogs: die spätere Aufsichtsrätin Anna-Maria Hass.
Das Abendblatt fragte bei St. Pauli nach, inwieweit sich das Ansehen von Gelderns im Aufsichtsrat verändert habe, seit dieser neu besetzt wurde. Die ausweichende Auskunft: „Der FC St. Pauli kommentiert keine Gerüchte über das ,Ansehen’ von Mitarbeitenden.“
Partnerschaft mit Spielbank Hamburg unglücklich
Dazu ist die Position des Vermarktungsbosses bei einem in Teilen kapitalismuskritischen Verein wie dem FC St. Pauli grundsätzlich eine undankbare. Engagements mehrerer Sponsoren, wenngleich zuvor intern überprüft, wurden kritisch gesehen.
Unglücklich wirkte in diesen Zusammenhang zuletzt die Partnerschaft mit der Spielbank Hamburg – Wochen, nachdem der Vertrag mit Wettanbieter bwin medienwirksam beendet worden war. Hintergrund: St. Pauli möchte sich langfristig von Partnern, die Suchtpotenziale bieten, trennen. Nach Abendblatt-Informationen hat daher die traditionsreiche Zusammenarbeit mit dem Whiskeyproduzenten Jack Daniel’s geendet.
bwin beendete Sponsoring bei St. Pauli proaktiv
Im Fall von bwin schien es auf den ersten Blick auch, als habe St. Pauli den ursprünglich bis Sommer 2024 datierten Vertrag vorzeitig beenden wollen. Wie der „Millernton“ enthüllte, soll es jedoch der Wettanbieter selbst gewesen sein, der proaktiv – wie übrigens bei drei weiteren Proficlubs – auf ein Ende der Bindung hingearbeitet hatte.
„Beide Partner haben sich mündlich und einvernehmlich über ein Ende des Engagements zur neuen Saison verständigt. Neue Partnerschaften und hoch dotierte Angebote mit Sportwettanbietern wurden abgelehnt. Der FC St. Pauli hat zudem nie behauptet, die Partnerschaft gekündigt zu haben, sondern wir haben mitgeteilt, die auslaufende Partnerschaft im Bereich Sportwetten nicht neu zu besetzen“, schreibt der Verein hierzu.
Über Spielbank-Sponsoring stolperte von Geldern nicht
An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass der FC St. Pauli von Anfang an bei Medien darum gebeten hatte, eine möglicherweise irreführende Berichterstattung zu präzisieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, der Vertrag sei einseitig vom Club aufgekündigt worden.
Über den Einstieg der Spielbank Hamburg als Sponsor – wann hat Göttlich von der Unterzeichnung erfahren? – sei von Geldern jedoch nicht gestolpert. Vielmehr war es so, dass diese Partnerschaft bereits beschlossen worden war, bevor sich die Trennung von bwin materialisierte. Aus dem bestehenden Vertrag wollten beide Parteien nicht aussteigen, zumal St. Pauli einen qualitativen Unterschied im Suchtpotenzial zwischen einer Spielbank und einem Wettanbieter sieht.
Auch Verhältnis von Höltkemeyer zum Aufsichtsrat nicht gut
Das Abendblatt bat von Geldern am Mittwoch um eine Stellungnahme. Der gebürtige Oldenburger verwies jedoch nur auf seine Zitate in der Pressemitteilung zur Trennung am 30. Juni, in denen er dem Verein und seinen Mitarbeitern für die „langjährige Zusammenarbeit und den herausragenden Einsatz“ dankte und beteuerte, dass es ihm eine Ehre gewesen sei, für den FC St. Pauli gearbeitet zu haben. Mehr gebe es nicht zu sagen.
Eine Randnotiz an dieser Stelle: Auch das Amt eines Vizepräsidenten ist seit dem 1. Juli unbesetzt, nachdem Carsten Höltkemeyer, in dessen Bereiche Finanzwesen, Organisation und Personal der sporttreibenden Abteilungen fielen, um einen Rücktritt gebeten hatte. Offiziell wegen intensiver beruflicher Verpflichtungen, die einen Teilgrund darstellen. Allerdings soll auch Höltkemeyer nicht das beste Verhältnis zum neuen Aufsichtsrat gehabt haben.
Neuer Wirtschaftschef wird ständiger Gast im Präsidium
Für die Position von Gelderns soll in absehbarer Zeit ein Verantwortlicher vorgestellt werden. „Eine neue Besetzung wird auf der Ebene von Andreas Bornemann als ständiger Gast im Präsidium angesiedelt. Die betreffende Person wird zudem Geschäftsleiter“, teilt der FC St. Pauli mit.
Der Aufgabenbereich scheint dem seines Vorgängers ähnlich zu sein. „Ein neuer Geschäftsleiter wird mit den Kollegen aus der Vermarktung und dem Vertrieb für die Sponsoren und Partner zuständig sein“, schreibt der Kiezclub.
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Kommt Nachfolger aus Nürnberg?
Die Aufgabenfelder von Gelderns, die derzeit im Gremium unter Leitung Göttlichs verantwortet werden, könnten nach Abendblatt-Informationen künftig von Mario Hamm übernommen werden. Der 42-Jährige war von 2012 bis 2022 beim 1. FC Nürnberg tätig, bei dem sich die Wege zwischen 2015 und 2019 mit dem damaligen Sportvorstand Bornemann kreuzten.
Beide pflegen weiterhin intensiven Kontakt, Hamm führte Bornemann in einem Gerichtsstreit mit dem FCN, bei dem es um seine Kündigung und 300.000 Euro geht, als Zeugen für seine allgemeinen Tätigkeiten bei den Franken auf. St. Pauli kommentierte die Personalie Hamm nicht eingehend: „Wir können bestätigen, dass Mario Hamm ein anerkannter Fachmann im Fußballgeschäft ist. Zu Personalspekulationen geben wir – wie immer – keine Wasserstandsmeldungen ab.“
Es wird stürmisch beim FC St. Pauli bleiben
Hamm wiederum gelang es, den 1. FC Nürnberg finanziell nicht nur über Wasser zu halten, sondern weitgehend zu sanieren. „Durch kreatives Finanzmanagement [...] war es möglich, den Traditionsverein 1. FCN als Fußballclub 3.0 aufzustellen und auf dieser Basis die finanzielle Lage und den Unternehmenswert des 1. FCN über die vergangenen neun Jahre signifikant zu verbessern“, schreibt Hamm darüber auf seinem LinkedIn-Profil.
Es dürfte also zur stürmischen Herbstzeit ein frischer Wind durch die Gremien des FC St. Pauli wehen – und die Luftzüge dort können selbst im Sommer eisig sein.