Kaiserslautern. Der 2:1-Auftaktsieg der Hamburger beim 1. FC Kaiserslautern offenbart spielerische und strategische Lösungsmöglichkeiten.

Nach Umfragen haben 50 bis 90 Prozent aller Menschen mindestens einmal ein Déjà-vu erlebt. Andreas Bornemann dürfte sich spätestens seit Sonntagnachmittag dieser Personengruppe zugehörig fühlen.

Der Sportchef des FC St. Pauli sah beim Finale des Tennisturniers am Hamburger Rothenbaum eine reife Leistung von Lokalmatador Alexander Zverev. Keine 24 Stunden zuvor hatte er die nahezu gleiche Erfahrung ebenfalls mit eigenen Augen erlebt, als seine Mannschaft am Sonnabend mit einem 2:1 (0:0)-Sieg beim 1. FC Kaiserslautern erfolgreich in die Zweitligasaison startete.

FC St. Pauli vom Anstoß an offensiv

St. Pauli begeisterte dabei mit einer spielerischen wie mentalen Frühreife, deren vorheriges Auftreten in der jüngeren Vergangenheit tatsächlich nur per Déjà-vu erzeugt werden könnte. Es lief die 67. Minute, als ein vermeintlich unspektakuläres Ereignis das Sinnbild für die Souveränität der Hamburger stand: ein Anstoß.

Kaiserslauterns Zwei-Millionen-Euro-Einkauf Ragnar Ache hatte soeben zum 1:1 ausgeglichen, der Betzenberg bebte, gut 40.000 der 44.079 Zuschauer im Fritz-Walter-Stadion drehten am Rad. Und St. Pauli? Führte den Anstoß direkt in die gegnerische Hälfte aus, griff völlig unbeeindruckt von Rückstand und Atmosphäre gleich wieder um, um das anscheinend Normalste der Welt zu gewährleisten: einen unangenehmen Gegner verdientermaßen zu zerlegen.

Hürzeler übt trotz Sieges Kritik

„Bei solch einer hitzigen Kulisse ruhig zu bleiben und weiterzuspielen, wie wir die Widerstände angenommen haben, das macht mich stolz“, sagte Cheftrainer Fabian Hürzeler, dem mit 30 Jahren als jüngstem Coach im deutschen Profifußball ohnehin eine Frühreife attestiert werden muss.

Beleg dafür: Wie gewöhnlich, blieb der Bayer auch im Erfolg mahnend. „In der ersten Halbzeit haben wir den Gegner nicht so bespielt, wie wir es wollten. Uns haben Dynamik und Anspielmöglichkeiten gefehlt, um hinter die Kette zu kommen“, sagte Hürzeler.

St. Pauli taktisch flexibel

Doch bereits am ersten Spieltag hat der Kiezclub spielerisch wie taktisch gereifte Varianten, defensiv und destruktiv auftretenden Kontrahenten wie Kaiserslautern Herr zu werden. In der Pfalz war es eine Umstellung nach der Halbzeit, bei der der starke Kapitän Jackson Irvine und Spielmacher Eric Smith die Doppelsechs bildeten, die Außenverteidiger Manolis Saliakas und Lars Ritzka das Spiel in die Breite zogen und die offensive Allzweckwaffe Marcel Hartel sich „mehr zwischen den gegnerischen Außen- und Innenverteidigern aufhalten sollte, um diese zu binden“.

So viel zur strategischen Reife, während einer Partie das System umzustellen. Eine individuelle Reife bietet St. Pauli auf fast allen Stammpositionen an.

Hartel neuer Elfmeterschütze des FC St. Pauli

Hartels Abschluss ist mittlerweile gereift, das einzig verbliebene große Manko des technisch so begabten Mittelfeldakteurs scheint beseitigt. „Ich habe viel daran gearbeitet, es wird zur Selbstverständlichkeit, den Ball gut zu treffen und mit Selbstvertrauen auch mal aus der zweiten Reihe abzuschließen“, sagte der neue Elfmeterschütze der Braun-Weißen.

Die auf der linken Außenbahn in persona Elias Saad eine enorme Gefahr anbieten. Ein Schnellreifer, der sich binnen eines halben Jahres vom Regionalligaspieler zur Zweitligaentdeckung entwickelt hat.

Trotz 15 Ballverlusten bester Mann

Der 23-Jährige besaß nicht nur die Reife, beim 1:0 abgeklärt einzuschieben, sondern leitete mit seinem Pass auf Hartel, mit dem er eine spielerische Symbiose eingeht, den Foulelfmeter zum Siegtreffer ein. Saads Fertigkeiten hebelten die eng gestaffelte Verteidigung der Roten Teufel mehrfach aus.

Fast so eindrucksvoll wie die Leistung des gebürtigen Wilhelmsburgers war seine Einordnung davon. „Leider war es persönlich nicht mein bestes Spiel. Abgesehen vom Tor habe ich zu wenig Bälle festgemacht, zu viele verloren“, sagte Saad. Sicher sind 15 Ballverluste, hinter den 19 von Hartel die zweitmeisten im Team, kein Glanzstück.

Hürzeler lobt Saads Selbstkritik

Allerdings ist dieser Wert ein Abfallprodukt, das mit der dynamischen, auf Eins-gegen-eins-Situationen ausgelegten Spielweise des Linksaußens einhergeht, die St. Pauli unterm Strich wesentlich mehr nutzt als schadet. Hürzeler – nicht in Verdacht stehend, mit Individuallob um sich zu werfen – rühmte Saad sogar: für dessen Selbstkritik.

„Wir verlangen von unseren Spielern, dass sie demütig bleiben und ihre Leistungen reflektieren. Elias ist jemand, der sich nicht versteckt, wenn er Fehler macht“, sagte Hürzeler, der auch inhaltlich auf einer Linie mit Saad war: „Ich bin der gleichen Meinung wie er, er kann deutlich besser spielen und hat zu viele einfache Bälle verloren.“ Das ist nicht minder als eine Warnung an die Konkurrenz.

Albers hängt in der Luft

Überrascht habe Hürzeler die Abgeklärtheit seiner in Kaiserslautern dominanten, aber nicht zaubernden Mannschaft zwar nicht, da er um deren Charakter wisse, „aber dass sie gar nicht über den Rückschlag nach dem 1:1 nachgedacht hat, wie Spieler wie Marcel Hartel unbeeindruckt vorangegangen sind, war ziemlich stark“.

Es gehört zum Reifeprozess dazu, die Ernte nicht verfrüht einzufahren. Ein Auswärtssieg zum Auftakt gibt die Richtung vor, ist aber bei Weitem nichts, worauf sich St. Pauli ausruhen kann und möchte. Mittelstürmer Andreas Albers, stets bemüht, aber oft in der Luft hängend, mahnte an: „Es fehlt noch die Verbindung zwischen den Flanken und mir. Sowohl deren Qualität als auch meine Positionierung müssen besser werden.“

Worte, denen Gehör geschenkt werden sollte. Der Däne stieg in seiner Heimat bereits auf und hätte nichts gegen ein Déjà-vu.