Hamburg. Der erhoffte Aufstieg ist nach dem 3:4 beim HSV praktisch verpasst, doch das Millerntor-Team kann noch Bestmarken aufstellen.

Nach einem freien Sonntag, um das verlorene Stadtderby beim HSV, den damit verbundenen Verlust des für die Fans so wichtigen, aber imaginären Stadtmeistertitels und dem Aus für eine realistische Aufstiegschance endgültig zu verarbeiten sowie den Kopf von all diesem Ballast frei zu bekommen, sind die Zweitligaprofis des FC St. Pauli an diesem Montag wieder auf dem Trainingsplatz gefordert.

Bei allem Willen, am kommenden Sonnabend (13 Uhr) im Zweitligaheimspiel gegen den Bundesligaabsteiger Arminia Bielefeld eine Reaktion zu zeigen und Wiedergutmachung für die beiden jüngsten Niederlagen zu betreiben, wird es mental kein einfaches Unterfangen sein, sich für den Schlussspurt der Saison noch einmal zu Topleistungen zu motivieren, nachdem nun der ganz große Traum geplatzt ist.

Fabian Hürzeler ahnt, dass er in dieser Hinsicht vor einer für ihn bisher unbekannten Situation und Herausforderung steht, seit er im Winter das Amt des Cheftrainers übernommen hat. „Ich muss als Vorbild vorangehen. Wenn ich nicht versuche, meine Spieler aufzumuntern, hätte ich etwas falsch gemacht“, sagte er nach der 3:4-Niederlage am Freitagabend im Volksparkstadion.

Ein guter Abschluss ist wichtig für die neue Saison

„Das war schon ein Schlag ins Gesicht. Dann musst du erst mal aufstehen. Aber das gehört zum Fußball auch dazu und zur Persönlichkeitsentwicklung. Wir haben immer gesagt, dass wir nicht nur den Fußballer entwickeln wollen, sondern auch den Menschen. Solche Rückschläge sind auch Teil dieses Prozesses“, hatte Hürzeler am Freitag schon sehr nüchtern und klar festgestellt.

Ganz konkret wird es nun darum gehen, die Saison 2022/23 und insbesondere die Rückrunde trotz Derbyniederlage und des aller Voraussicht verpassten Aufstiegs am Ende noch so zu gestalten, dass sie in guter Erinnerung bleibt und vor allem auch eine Basis dafür bildet, die kommende Saison von Beginn an und dann auch einmal bis zum Ende positiv zu gestalten.

„Hängende Köpfe sind okay, auch Enttäuschung. Aber dann geht es weiter. Ich erwarte definitiv von meiner Mannschaft, dass sie jetzt die Saison nicht einfach austrudeln lässt, sondern eine Reaktion zeigt“, stellte Hürzeler schon einmal klar. „Jetzt geht es darum, Größe und Charakter zu zeigen.“

St. Pauli hat gute Chancen auf die Rückrundenmeisterschaft

Eine Motivation dabei könnte sein, dass die Mannschaft nach ihren erreichten Rekorden noch einige weitere Bestmarken aufstellen kann. Am naheliegendsten ist dabei der inoffizielle Titel des Rückrundenmeisters der Zweiten Liga. Dank der zehn Siege in den ersten zehn Spielen der zweiten Saisonhälfte führt das Team trotz der jüngsten Niederlagen gegen Braunschweig (1:2) und beim HSV (3:4) die Tabelle der zweiten Saisonhälfte mit 30 Punkten weiter recht deutlich vor dem Aufstiegsaspiranten Nummer eins, dem SV Darmstadt 98 (25), an.

Bei noch ausstehenden drei Heimspielen (Bielefeld, Düsseldorf, Karlsruhe) und zwei Auswärtspartien (Darmstadt und Kiel) ist dieses Ziel dann realistisch erreichbar, wenn sich das Team wieder auf seine in den ersten zehn Rückrundenspielen demonstrierte defensive Stabilität besinnt, die zuletzt zumindest phasenweise abhanden gekommen schien.

Hartel beklagt die jüngste Flut an Gegentoren

„Hintenraus wurde es ein bisschen Hin- und Her-Fußball, den wir eigentlich nicht gern haben. Wir sind ja in der Rückrunde nicht dafür bekannt, dass wir so viele und so leichte Gegentore kassieren. Das müssen wir besprechen“, hatte nach der Derbyniederlage bereits Mittelfeldspieler Marcel Hartel treffend zu diesem Thema gesagt.

Sollte St. Pauli auch nach den 34 Spieltagen tatsächlich bestes Rückrundenteam bleiben, wird es aller Voraussicht auch einen internen Rekord für die punktbeste Rückrunde im Profifußball aufgestellt haben. Diese Marke liegt bisher bei 34 Zählern.

Aufgestellt wurde sie in der zweiten Hälfte der Saison 2016/17, als das Team nach den ersten 14 Spielen ganze sechs Punkte hatte und abgeschlagen Letzter gewesen war. Auch damals spielt ein Co-Trainer eine entscheidende Rolle. Mit Olaf Janßen (heute Viktoria Köln) als neuer Assistent von Ewald Lienen ging es steil nach oben. Diesmal war bekanntlich Co-Trainer Hürzeler zum Chef gemacht worden.

Der clubinterne Halbserienrekord liegt bei 36 Punkten

Noch zwei Punkte mehr, also 36, werden nötig sein, um die bisher beste Halbserie eines Millerntor-Teams seit Einführung der eingleisigen Zweiten Liga zu egalisieren. Diese war St. Pauli gleich zweimal seit dem jüngsten Bundesligaabstieg 2011 gelungen.

Und zwar sowohl in der damals direkt anschließenden Hinserie unter Trainer André Schubert, als auch in der zunächst so vielversprechenden vergangenen Spielzeit 2021/22, bevor das Team in der Rückrunde den greifbar nah scheinenden Bundesligaaufstieg verspielte.

Anders gesagt: Wenn die Mannschaft von Trainer Hürzeler jetzt noch mindestens zwei Spiele gewinnt und eines unentschieden spielt, gäbe es einen neuen, vereinsinternen Halbserienrekord. „Wenn das so ist, wird das ein Ziel sein“, sagte der Coach schon am Freitagabend auf entsprechende Nachfrage. Hartel meinte etwas unkonkreter: „Wir wollen noch so viele Punkte holen, dass wir am Ende zufrieden sein können.“

Für St. Pauli kann Platz vier wichtig für das TV-Geld sein

Realistisch erreichbar ist auf jeden Fall auch noch, die beste Abschlussplatzierung seit dem Abstieg 2011 zu egalisieren. Zweimal war das Team in dieser Zeit Vierter geworden (2011/12 und 2015/16). Dieser Blechmedaillenrang löst gemeinhin wenig Freude aus, könnte aber zumindest auf mittlere Sicht einen positiven Einfluss auf St. Paulis Position in dem für die Fernsehgeldverteilung maßgeblichen Ranking haben.

Derzeit ist St. Pauli hier im Hinblick auf die kommende Saison auf dem elften Platz der Zweiten Liga notiert, knapp hinter dem 1. FC Nürnberg, der noch von seinem bisher letzten Bundesliga-Gastspiel 2018/19 profitiert.