Hamburg. Der FC St. Pauli ist beim Topclub 1. FC Heidenheim, „dem besten Trainer der Zweiten Liga“, und ohne einen Leistungsträger gefordert.

Die Frage nach dem besten Trainer der Zweiten Liga scheint dieser Tage vermeintlich einfach zu beantworten zu sein. Sicher, es gibt einige Kandidaten, die sich diesen Status selbst zutrauen. Dafür braucht man in Hamburg nicht weiter als in den Volkspark zu schauen. Nummerisch betrachtet, führt kein Weg an Fabian Hürzeler, Inhaber von 27 von 27 möglichen Punkten, vorbei.

Und der Weg des Cheftrainers des FC St. Pauli führt an diesem Sonnabend (20.30 Uhr/Sky und Sport1) laut eigener Aussage nicht am tatsächlich „besten Trainer“ der Zweiten Liga vorbei, wenn die Kiezkicker zum Topspiel beim 1. FC Heidenheim und dessen ewigem Coach Frank Schmidt antreten.

Als Frank Schmidt in Heidenheim anfing, war Fabian Hürzeler noch Jugendspieler

„Ich beobachte seine Arbeit schon seit Längerem. Er schafft es Jahr für Jahr, eine klare Spielidee mit Konsequenz durchzusetzen. Dazu ist seine menschliche Komponente sehr inspirierend“, sagt Hürzeler, der noch Jugendspieler beim FC Bayern München war, als Schmidt 2007 in Heidenheim anfing.

Sein eigenes Porträt im Mount Rushmore der Zweitligatrainer sieht der 30-Jährige nicht, ebenso wenig wie sich in einer Jägerrolle des Spitzentrios: „Diese Formulierung ist nicht zutreffend, da sechs Punkte Rückstand in acht Spielen sehr viel sind und wir genug mit uns selbst zu tun haben.“

Die Aufstiegswahrscheinlichkeit des FC St. Pauli liegt zwischen fünf und 15 Prozent

Wie Hürzeler bislang fast stets die richtigen Worte extern wie intern zu finden und die angebrachten Maßnahmen zu treffen scheint, ist beeindruckend. Und bei aller Euphorie, den Verweisen auf das sagenumwobene, wissenschaftlich aber nicht nachweisbare Momentum sowie der Formstärke: Wirklich realistisch ist ein Aufstieg nach wie vor nicht.

Prognosemodelle geben den Hamburgern eine Chance zwischen acht und zehn Prozent. Bei gängigen Wettanbietern gibt es für einen Euro Einsatz den siebenfachen Gewinn im Aufstiegsfall, was einer Wahrscheinlichkeit von gut 14 Prozent entspricht. Die Per­spektive auf acht weitere Siege bemessen die Buchmacher übrigens mit 1:1250.

Eric Smith wird St. Pauli beim 1. FC Heidenheim fehlen

Gewinnt St. Pauli tatsächlich auf der Schwäbischen Alb auch das zehnte Spiel in Serie, können aber weder Rechenspielchen noch Hürzeler den Status des Aufstiegsanwärters negieren. Andersherum: Bei einer Niederlage, es wäre die erste in der Profikarriere Hürzelers, kann das Thema Bundesliga 2023/24 getrost ad acta gelegt werden.

Und dieser – aus Sicht des Millerntor-Clubs alle Träume beendende – Fall könnte eintreten, da sich zu bewahrheiten scheint, dass der immens wichtige Eric Smith nach seinem vorzeitigen Ausscheiden vom Training am Mittwoch nicht rechtzeitig wieder fit wird.

Probleme am rechten Hüftbeuger zwingen Eric Smith zum Pausieren

Durchaus ungewöhnlich: St. Pauli selbst vermeldete am Gründonnerstag, dass der Einsatz des Schweden in Heidenheim fraglich ist und gab zudem die vage Diagnose bekannt: Probleme am Hüftbeuger. Genauer gesagt, ist es der rechte. Ungewöhnlich deshalb, weil die Hamburger nur noch schwerwiegendere Verletzungen kommunizieren. Ein Bluff, der Heidenheim in Sicherheit wiegen soll?

Nach Abendblatt-Informationen nicht. Demnach fällt Smith definitiv aus. Seine Beschwerden seien zwar nicht besorgniserregend, ein zu früher Einsatz würde das Risiko eines langfristigen Ausfalls jedoch drastisch erhöhen.

Adam Dzwigala erhält in St. Paulis Dreierkette den Vorzug vor Betim Fazliji

Hürzeler soll am Freitag dazu tendiert haben, seinen Abwehrchef im Zentrum der Dreierkette durch Jakov Medic, der gewöhnlich rechts von Smith spielt, zu ersetzen. Den Posten des Kroaten würde dann Adam Dzwigala übernehmen, der anscheinend den Vorzug vor Betim Fazliji erhält.

Fazliji hätte den Vorteil geboten, direkt auf Smiths Position eingesetzt werden zu können und seine Qualitäten im Spielaufbau zumindest halbwegs zu ersetzen. Der kopfballstarke Dzwigala (57 Prozent gewonnener Luftduelle) ist allerdings die bessere Option gegen Heidenheims 1,94 Meter großen Tim Kleindienst als Fazliji (41 Prozent).

Wie lässt sich Tim Kleindienst stoppen? Der FC St. Pauli hat es bereits bewiesen

Und damit direkt zum nächsten großen Problem: dem mit Abstand besten Torjäger der Zweiten Liga. 20 Tore hat der 27-Jährige in 24 Einsätzen erzielt, allein elf davon in den neun Rückrundenbegegnungen. Einen herausragenden Treffergaranten im Kader zu haben, ist eines der Merkmale, das fast sämtliche Bundesligaaufsteiger der vergangenen Jahre eint. Heidenheim hat in dieser Saison Kleindienst, der HSV hat Robert Glatzel (16). St. Pauli? Lukas Daschner und Kapitän Jackson Irvine mit jeweils überschaubaren sieben Toren.

„Momentan hat er einen Lauf, bei dem ihm alles zu gelingen scheint. Er kann aus dem Nichts aus allen möglichen Winkeln und Distanzen mit seiner super Schusstechnik abziehen und treffen“, sagt Hürzeler, der allerdings nicht sein komplettes Defensivschema auf Kleindienst ausrichten möchte.

Bedeutet: keine klassische Manndeckung. „Wir können ihn nur gemeinsam verteidigen“, sagt Hürzeler. Dass es möglich ist, Kleindienst weitgehend auszuschalten, hat beim 0:0 im Hinspiel allerdings kaum ein anderes Team so gut bewiesen wie eben der FC St. Pauli.