Hamburg. Der Bosnier ist in der Form seines Lebens. Dabei gab es noch vor Wochen Zweifel am Stammplatz von St. Paulis Torwart.

Nikola Vasilj kommt mit einem ungewohnten Gefühl zum Abendblatt-Interview. Aus der Kabine im Trainingszentrum des FC St. Pauli an der Kollaustraße dröhnt Partymusik, der Torhüter ist zwar gut gelaunt, aber nach Feiern ist ihm nicht zu Mute. Der Stimmungskiller hört auf den Namen Johannes Eggestein. Im vorhergegangenen Training hatte der Stürmer dem 27-Jährigen die Bälle nur so um die Ohren und ins Netz geschossen.

Am Sonntag beim SV Sandhausen (13.30 Uhr/Sky) soll aber wieder das gewohnte Vasilj-Gefühl einsetzen. Das der Unbezwingbarkeit zwischen den Pfosten.

Hamburger Abendblatt: Herr Vasilj, es ist ziemlich laut im Kabinentrakt nebenan. Wer ist für diese Musik verantwortlich?

Nikola Vasilj: Ich glaube, diesmal Eric Smith. Normalerweise aber Dennis Smarsch und Carlo Boukhalfa. Ich konnte mich mit meiner Balkanmusik noch nicht durchsetzen.

Am Eingangstor zum Trainingszentrum hängen zahlreiche Aufkleber mit den Konterfeis der Spieler. Ihres befindet sich nicht darunter. Weswegen konnten Sie sich dort auch noch nicht durchsetzen?

(lacht) Keine Ahnung, es wäre schon cool. Aber dann müsste sich zuvor jemand Gedanken über den passenden Slogan für den Sticker machen.

An Ihren Leistungen kann die Nichtberücksichtigung jedenfalls nicht liegen. Weswegen spielen Sie, passend zum Aufschwung im ganzen Team, eine derart starke Rückrunde?

Darauf gibt es keine einfache Antwort, weil viele Kleinigkeiten dafür verantwortlich sind. Zuvorderst zahlt sich die Arbeit mit unserem Torwarttrainer Marco Knoop über die vergangenen neun Monate aus. Er hat mir einige neue Sachen beigebracht, wir machen sehr viel mit den Füßen im Training. Dazu hat sich unser Spielstil unter Fabian Hürzeler verändert. Er möchte, dass ich immer anspielbar und eine Option im Spielaufbau bin. Außerdem hilft mir meine Erfahrung, speziell auch in dieser Liga.

Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit der Abwehrreihe?

Über sehr viel Kommunikation. Vor allem hat uns aber geholfen, dass wir nunmehr mit einer Fünferkette spielen. Nachdem wir diese Umstellung vorgenommen hatten, haben wir uns sofort sicherer gefühlt. Dazu haben wir seit dem Winter mit Karol Mets einen guten, erfahrenen Verteidiger im Team, der uns sehr hilft und Stabilität verleiht. Wir lassen wenig zu.

Und wenn doch, sind Sie ja zumeist noch zur Stelle. Erleben wir den stärksten Nikola Vasilj jemals?

Ich habe mich zumindest nie besser gefühlt und genieße jedes Spiel. Vor allem mit diesem Stil. Ich fühle mich dadurch der Mannschaft viel mehr verbunden, da ich regelmäßiger eingebunden werde. Aber Raum für Verbesserungen gibt es immer.

Ist die Art und Weise, wie Fabian Hürzeler spielen lässt, fordernder für Sie?

Es ist eine Herausforderung, aber alle Spieler wissen genau, wann sie wo zu sein haben, wenn der Ball zu mir kommt. Mir bieten sich daher immer viele Lösungen. Wir machen das sehr gut.

Inwiefern hilft Ihnen die Arbeit mit Marco Knoop?

Fußballerisch habe ich mich enorm unter ihm verbessert. Unser Torwarttraining sieht manchmal aus wie ein Spielertraining, so viel machen wir mit dem Ball am Fuß. Er analysiert jedes Training und alle Spiele genauestens mit uns Torhütern und bereitet die anstehenden Partien akribisch vor. Wir wissen immer exakt, was uns vom Gegner erwartet.

Was macht sein Torwarttraining besonders?

Ich hatte viele sehr gute Torwarttrainer, aber seine Arbeit ist echt speziell. Alles, was wir im Training üben, hat auch einen Sinn im Spiel, beispielsweise wie wir gegnerische Linien überspielen, Räume finden. Das Training ist kognitiv sehr fordernd, wir müssen immer aufmerksam sein, viel mitdenken. Dazu haben mir seine Analysen die Augen geöffnet, was ich in bestimmten Situationen besser machen kann.

Könnten Sie sich ihn im Tor vorstellen? Der Größte ist er nicht, soll laut eigener Aussage früher aber recht passabel gewesen sein.

(lacht) Ihm ist alles zuzutrauen, er ist ein komplett verrückter Kerl.

Und womöglich auch ein Fürsprecher, um in Gespräche über eine Verlängerung Ihres 2024 auslaufenden Vertrags einzusteigen. Gab es die bereits?

Bislang nicht, aber ich hätte nichts dagegen, noch ein Weilchen länger bei St. Pauli zu bleiben.

Nächste Woche verlassen Sie St. Pauli allerdings, wenn auch nur kurzzeitig, um zur bosnischen Nationalmannschaft zu fahren.

In diesem Fall verlasse ich St. Pauli gern. Die Nationalmannschaft ist immer ein besonderes Erlebnis. Wir haben eine gute Phase hinter uns, haben zwar die WM verpasst, aber unsere Gruppe in der Nations League gewonnen, wir steigen dort in die zweithöchste Kategorie auf. Dazu haben wir mit Faruk Hadzibegic einen neuen Trainer, ich bin sehr gespannt.

Im Nationalteam sind Sie nur die zweite Wahl. Müssten Sie in einer ersten Liga spielen, um Stammkeeper zu werden?

Das weiß ich nicht, die Konkurrenz ist stark. Entscheidender als die Liga dürfte aber sein, wie gut wir in unseren Clubs spielen.

Wie verhält sich eine gute Nummer zwei?

Immer unterstützend. Wir Torhüter sind eine Familie, bei der Nationalmannschaft wie bei St. Pauli. Es ist eine besondere Position, vor allem für diejenigen, die nicht spielen, weil sie im Gegensatz zu Feldspielern auch selten eingewechselt werden. Aber wir wissen, dass wir uns gegenseitig brauchen, allein schon im Training. Daher ist es wichtig, dass jeder 100 Prozent gibt.

Zu Saisonbeginn sprach damals noch Timo Schultz von einem offenen Zweikampf um die Nummer eins zwischen Ihnen und Dennis Smarsch, im Winter lobte Fabian Hürzeler Sascha Burchert, der nun die Nummer zwei ist, überschwänglich. Wie sehr hat Sie das genervt?

Darüber habe ich gar nicht so viel nachgedacht. Zu Saisonbeginn bin ich wegen meiner Verletzung sowieso ausgefallen und wollte dann nur so schnell wie möglich zurückkommen, habe dafür mit Marco sehr hart trainiert. In meinem Kopf war ich immer die Nummer eins, weil ich wusste, dass ich eine gute Saison hinter mir hatte. Aber ich muss auch gestehen, dass ich kein Roboter bin und Zweifel nicht per Knopfdruck abschalten kann.

Welcher Mitspieler bei St. Pauli lässt Sie im Training doch gelegentlich an Ihren Fähigkeiten zweifeln und trifft am häufigsten gegen Sie?

Gute Frage, sehr schwierig. Jojo Eggestein hat zuletzt öfters getroffen, Maurides auch, aber vor allem, weil er immer mit Feuereifer und vollem Körpereinsatz dabei ist. Und Afeez Aremu ist ein wahnsinnig guter Elfmeterschütze und will ständig gegen mich schießen.