Hamburg. Was ist St. Paulis unglaubliche Siegesserie wert? Viele Spieler bringen Top-Leistungen, das weckt jedoch auch Begehrlichkeiten.

Sportlich gibt es derzeit ja wenig Neues vom FC St. Pauli zu verkünden. Der Kiezclub siegt und siegt und siegt. Korrekt wird der Satz im Übrigen erst, wenn die Anzahl der Verben verdoppelt wird. Jüngste Station dieses nun also sechs Spiele währenden Raubzugs durch die Zweite Liga war am Freitagabend der viertplatzierte SC Paderborn, eine ausgemachte Topmannschaft. Und dennoch: Im Norden wie in Ostwestfalen nichts Neues. St. Pauli gewann dank eines Doppelpacks von Mittelstürmer Lukas Daschner mit 2:1 (2:0).

Da müssen die harten Nachrichten vor Ort schon im soften Bereich eruiert werden. Welche Botschaft steht denn nun hinter den lackierten Fingernägeln – schwarz als Grundton, orange gesprenkelt – von Eric Smith und Kapitän Jackson Irvine? „Gar keine, wir haben das aus Spaß gemacht“, sagte Smith. Mmh, wieder nichts. Trotzdem gibt es diese eine Frage, die unter den Nägeln brennt: Was sind 18 Punkte in der Rückserie, und damit ein Zähler mehr als in der kompletten Hinrunde, wert?

Schielt St. Pauli jetzt schon auf nächste Saison?

Auf den ersten Blick ganz viel und auf den zweiten ganz wenig. Über den Klassenerhalt, der zur Winterpause ernsthaft in Gefahr zu sein schien, braucht sich am Millerntor angesichts von 14 Punkten Vorsprung auf Relegationsplatz 16 niemand mehr Sorgen zu machen. Auf den Aufstieg allerdings auch keine Hoffnungen mehr.

Tabellenspitze 2. Bundesliga
1. Darmstadt 98 23 / 37:18 / 49
2. HSV 23 / 44:26 / 48
3. Heidenheim 23 / 45:25 / 46
4. SC Paderborn 23 / 47:29 / 39
5. Fortuna Düsseldorf 23 / 37:29 / 38
6. Kaiserslautern 23 / 37:30 / 38
7. FC St. Pauli 23 / 32:27 / 35
8. Kiel 23 / 40:38 / 33

Das Fangefühl des „Geht da noch was?“ ist selbst unter dem unbesiegbar wirkenden Cheftrainer Fabian Hürzelerein herrlich irrationales. Der Rückstand auf den dritten Rang beträgt bei elf ausstehenden Partien weiter elf Punkte. Da der 1. FC Heidenheim am Sonnabend gegen Tabellenführer SV Darmstadt 98 mit 1:0 gewonnen hat, ist die Wahrscheinlichkeit auf eine Teilnahme St. Paulis an der Relegation zum Bundesligaaufstieg an diesem Spieltag sogar gesunken.

Die kommende Saison betreffend? Massiv gestiegen. Sportchef Andreas Bornemann, dessen Mut, auf Hürzeler zu setzen, und die gelungenen Wintertransfers maßgeblich von Karol Mets und Oladapo Afolayan Respekt verdienen, hat nun frühzeitig Planungssicherheit, in welcher Liga es weitergeht. Viel entscheidender noch: Dem 51-Jährigen dürfte bewusst geworden sein, dass Hürzeler die Qualitäten besitzt, einen Angriff nach ganz oben zu wagen.

Das eine kompakte und sichere Defensive präferierende System des 30-Jährigen, dessen Vertrag als Cheftrainer nach Abendblatt-Informationen bis Ende der kommenden Saison gilt, ist maßgeschneidert für die Zweite Liga. Der Kern des Kaders, exklusive des in die Bundesliga zum 1. FC Köln wechselnden Leart Paqarada, steht über den Sommer hinaus zur Verfügung. St. Pauli besitzt Power. „Siege aneinanderzureihen ist eine der schwierigsten Herausforderungen. Dass uns das gelingt, spricht massiv für unsere Qualität“, schwärmt beispielsweise Afolayan.

Daschner ist Spieler mit den meisten Torbeteiligungen

Auch für die übergeordneten Vorsätze des Vereins ist die Siegesserie viel wert. Um die hausgemachte Zielvorgabe, unter den Top 25 Deutschlands zu landen, die seit Beginn der Präsidentschaft von Oke Göttlich 2014 im Durchschnitt knapp verfehlt wurde, reicht St. Pauli der aktuell siebte Platz. Jedes weitere Klettern in der Tabelle hätte zudem TV-Prämiengewinne in Millionenhöhe zur Folge, die Bornemann in den Kader investieren könnte.

Was die Rückrunde Doppelpacker Daschner wert sein wird, kann mit drei Wörtern beantwortet werden: ein neuer Vertrag. Dabei sind die beiden Tore ein eher untergeordnetes Element bei den Verhandlungen über die Verlängerung seines Ende Juni auslaufenden Arbeitspapiers. „Den Ausschlag geben andere Argumente“, sagte der 24-Jährige. Recht hat er.

Im Schatten der etablierteren und namhafteren Akteure hat sich Daschner teamintern zum Spieler mit den meisten Torbeteiligungen entwickelt. Der kumulierte Wert aus sechs Treffern (Bestwert) und drei Vorlagen liegt noch über denen von Marcel Hartel (3/5) und Co-Kapitän Paqarada (1/7). Bereits zu diesem Zeitpunkt stand der gebürtige Duisburger knapp sechsmal so viele Minuten auf dem Platz wie in der kompletten vorherigen Saison.

Es steht vollkommen außer Frage: Wenn der Angriff in der kommenden Spielzeit erfolgen soll, wird Daschner eine der Speerspitzen sein. Mit Defensivallrounder Adam Dzwigala (27) gibt es einen weiteren bedeutsameren Akteur, dessen auslaufender Kontrakt bald erneuert werden dürfte.

Verliert St. Pauli Jakov Medic?

Was die Leistungen wert sein können, lässt sich allerdings auch in die entgegengesetzte Richtung erörtern. Die starken Auftritte besonders der Schlüsselspieler wecken Begehrlichkeiten. Bei den derzeitigen Vertragssituationen dürfte vor allem Innenverteidiger Jakov Medic, der von sämtlichen Spielern mit mindestens acht Zweitligaeinsätzen den höchsten Punkteschnitt (1,78) aufweist, ins Visier mehrerer Bundesligisten gerückt sein.

Das Abendblatt weiß: Konkrete Anfragen oder gar Verhandlungen hat es bislang nicht gegeben, allerdings wird der formstarke 24-Jährige wieder intensiver beobachtet. Sollten die Zeichen nicht auf Vertragsverlängerung stehen, ist ein Verkauf sehr wahrscheinlich. Realistische zwei bis 2,5 Millionen Euro Ablösesumme könnten in den Angriff Erste Liga gesteckt werden.

Kurzfristig bleibt die Nachrichtenlage allerdings unverändert. Ob er ein Ende der Siegesserie befürchtet, wurde Smith in den Paderborner Katakomben noch gefragt. „Nö“, antwortete der Schwede grinsend. Eher scheint der Lack bei seinen Nägeln ab zu sein als beim FC St. Pauli.