Hamburg. Nach der Freistellung von Timo Schultz war bei der Mitgliederversammlung der große Knall befürchtet worden.

Es ist schon eine Revolution im Profifußball. Vier Frauen und nur noch drei Männer bilden ab sofort den Aufsichtsrat des FC St. Pauli. Bei der Wahl am Sonnabend im Rahmen der Mitgliederversammlung im CCH erhielt die erstmals kandidierende Kathrin Deumelandt mit 612 Stimmen (von 895 gültigen Stimmen) das mit Abstand beste Ergebnis. Es folgten Inga Schlegel (525) und nur auf Platz drei die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler (519).

Ebenso im neuen Aufsichtsrat sind René Born (335), Anna-Maria Hass (322), Philippe Niebuhr (289) und Sönke Goldbeck (280). Georg Margaretha (260) scheiterte nur knapp. Abgeschlagen folgten Joachim Weretka (129), Ali Sabetian (95), Maik Nöcker (74), Christian Anger und Christoph Schleuter (30). Jedes Mitglied hatte vier Stimmen.

FC St. Pauli: Die Revolte bei der Mitgliederversammlung bleibt aus

Zuvor hatte es indes keine Revolution und insgesamt auch weit weniger laute Kritik an Präsident Oke Göttlich und Sportchef Andreas Bornemann gegeben, als viele es von der Mitgliederversammlung des FC St. Pauli erwartet hatten. Ewig lang dauerte die mit Spannung erwartete Zusammenkunft im frisch herausgeputzten Saal 3 des CCH, in denen sich in der Spitze 1230 Mitglieder eingefunden hatten, dennoch.

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Erst um 19.14 Uhr konnte Göttlich seine Schlussworte sprechen, nachdem die Veranstaltung mit knapp halbstündiger Verspätung kurz vor 11.30 Uhr begonnen hatte. Göttlich war durchaus die Erleichterung anzumerken, dass vor allem die Diskussion um die Freistellung von Trainer Timo Schultz vor knapp zwei Wochen nicht aus dem Ruder gelaufen und in wilde Pöbeleien ausgeartet war.

Schwedler zur Trennung von Schultz: "Enttäuschung hören wir, spüren wir, fühlen wir"

Daran hatte zweifellos die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler ihren Anteil, die gleich zu Beginn im Namen ihres Gremiums als auch des Ehrenrates das Wort ergriffen und gemahnt hatte, bei allen Emotionen sachlich zu bleiben. „Die Enttäuschung hören wir, spüren wir, fühlen wir“, sagte sie im Hinblick auf die Reaktionen seit der Trennung von Schultz.

Zwischenrufe bei Göttlichs Präsidiumsbericht, als dieser sich für Schultz‘ mehr als 17-jähriges Engagement bedankte, hatte der Appell allerdings nicht verhindern können. Ein Mitglied rief „Heuchelei“, andere stimmten „Timo, Timo“-Rufe an, dazu kamen Buhrufe und Pfiffe, als er erwähnte, das Präsidium sei der „Empfehlung von Andreas Bornemann“ gefolgt. Das war es dann aber auch schon fast an Missbilligungen während Göttlichs Rede.

Zunächst keine kritischen Fragen zu Schultz – dafür langer Tarifstreit

Völlig überraschend gab es auch in der langen Aussprache zum Bericht des Präsidenten keine kritischen Fragen zur Freistellung von Schultz. Dafür rankten sich etliche Wortbeiträge darum, dass es für die Angestellten des Vereins noch keinen Tarifvertrag gibt, obwohl ein solcher Antrag bereits vor einem Jahr von den Mitgliedern verabschiedet worden war. Vize-Präsident Carsten Höltkemeyer sagte zu, dass vom 1. Juli kommenden Jahres an, alle Mitarbeitenden mindestens ein Tarifgehalt beziehen werden.

Kritische Fragen zu Schultz kamen dann aber doch nach dem Bericht der Aufsichtsratsvorsitzenden Sandra Schwedler. Sie hatte zuvor erklärt, ihr Gremium sei dem Weg des Präsidiums bei der Freistellung des Trainers gefolgt. Ein Abstimmungsergebnis wollte sie indes nicht preisgeben. „Wir haben alle Fragen gestellt und beantwortet bekommen“, sagte sie.

"Timo ist nicht der Erste, bei dem mir das Herz geblutet hat"

Viel Beachtung fand der Beitrag des nach 15 Jahren aus dem Aufsichtsrat ausgeschiedenen Roger Hasenbein. „Timo ist nicht der Erste und Einzige, bei dem mir das Herz geblutet hat. Und er wird leider auch nicht der Letzte sein“, sagte er zur unpopulären Entscheidung der Freistellung von Schult. „Es geht aber darum, wo wir den meisten Schaden vom Verein fernhalten können.“

Spannend wurde es, als Sportchef Andreas Bornemann knapp drei Stunden nach Beginn der Versammlung erstmals das Wort ergriff. Dabei gelang es dem 51-Jährigen in einer ausführlichen, offenbar gut vorbereiteten Rede die Stimmung nicht nur zu beruhigen, sondern zu einem guten Teil sogar auf seine Seite zu ziehen. „Ich würde gern fünf, acht oder zehn Jahre mit Timo arbeiten. Aber Kontinuität ist kein Selbstzweck“, sagte er.

Schultz und Kalla sollen im Millerntor-Stadion verabschiedet werden

Nach Bornemanns Rede kündigte Göttlich an, Schultz ebenso wie Ex-Kapitän Jan-Philipp Kalla im Millerntor-Stadion würdig zu verabschieden. „Dafür könnte die Länderspielpause im März der Rahmen sein“, sagte er.

Mit nur 19 Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen wurde das Präsidium entlastet, was bei 1211 stimmberechtigten Mitgliedern die letztlich wohlwollende Stimmung wiedergab.

FC St. Pauli: So gut lief es wirtschaftlich im vergangenen Geschäftsjahr

Dazu hatten auch die positiven wirtschaftlichen Zahlen beigetragen. So hatte der FC St. Pauli im Geschäftsjahr 2021/22 einen Konzerngewinn von 359.873,70 Euro erwirtschaftet. Im vorherigen Geschäftsjahr hatte es noch einen Verlust von 5.750.891,74 Euro gegeben, der vor allem durch die erheblichen Mindereinnahmen in der Corona-Pandemie bedingt war. Auch der Umsatz stieg wieder deutlich. Er lag zwischen dem 1. Juli 2021 und dem 30. Juni 2022 bei 50.320.738,91 Euro. Im Geschäftsjahr zuvor waren es 37.152.280,52 Euro gewesen. Auch konnte der Club sein Eigenkapital wieder erhöhen – von 7.760.482,81 im Vorjahr auf 8.109.617,67 Euro.

Interessant ist zudem, dass der Personalaufwand für die Zweitligamannschaft um knapp zwei Millionen auf 14.422.691,02 Euro gegenüber der Vorsaison stieg. Damals hatte es allerdings auch einen coronabedingten, zehnprozentigen Gehaltsverzicht der Profis gegeben.