Hamburg. Die Entlassung von Trainer Schultz sorgte für emotionale und hitzige Diskussionen. Was für die Versammlung jetzt zu erwarten ist.

Wohl nie in der jüngeren Vergangenheit wurde eine Mitgliederversammlung des FC St. Pauli mit mehr Spannung erwartet als das an diesem Sonnabend um 11 Uhr im CCH anstehende Treffen. Die heftig und emotional geführten Diskussionen um die Freistellung des beliebten Cheftrainers Timo Schultz und seines Assistenten Loic Favé werden voraussichtlich diese Versammlung wesentlich prägen, Präsident Oke Göttlich und Sportchef Andreas Bornemann müssen jedenfalls mit starkem Gegenwind rechnen. Aus Fankreisen heißt es sogar, dass zwei Eilanträge auf Ablösung des Präsidenten gestellt werden sollen – auch wenn diese kaum Aussicht auf Erfolg haben.

Solch ein Antrag bedarf einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen, um zugelassen zu werden, und dann bei der eigentlichen Abstimmung darüber einer Dreiviertelmehrheit, um erfolgreich zu sein – eine sehr hohe, vermutlich zu hohe Hürde. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Göttlich zwar einer umstrittenen Personalentscheidung zugestimmt hat, sich aber keines Vergehens schuldig gemacht hat, das eine Absetzung rechtfertigen oder gar erforderlich machen würde.

FC St. Pauli: Über 1000 Mitglieder haben sich angemeldet

Mehr als 1000 Mitglieder haben sich bereits im Vorwege für die Versammlung angemeldet. Weitere Vereinsangehörige im dreistelligen Bereich werden erwartet, der Saal 3 des neu gestalteten CCH fasst bis zu 1500 Personen. Dies ist die seit Jahren größte Resonanz in dem auf mehr als 35.000 Mitglieder angewachsenen Verein.

Die brisanten vereinsinternen Vorgänge und die zu treffenden (Wahl-)Entscheidungen insbesondere des Aufsichtsrates ziehen die Mitglieder an. Sogar die Ultras haben zur Teilnahme an der Versammlung aufgerufen: „Das Herz von St. Pauli schlägt nicht nur in den Kurven und auf der Straße, sondern auch in unseren mitgliedergeführten Vereinsstrukturen.“

Eltiche Wortmeldungen erwartet

Dabei dürfte es bereits in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 5a – Bericht des Präsidiums – zu etlichen Wortmeldungen von Mitgliedern kommen, die die Personalentscheidungen der vergangenen Wochen und Monate kritisch sehen, obwohl eigentlich das Schicksal von Cheftrainer Timo Schultz und die Personalpolitik von Bornemann gar keine Rolle spielen dürften, weil sich die Berichte der Vereinsführung auf das am 30. Juni abgelaufene Geschäftsjahr 2021/22 beziehen.

Präsident Göttlich hat dennoch schon vor einigen Tagen im Gespräch mit dem Abendblatt die Vereinsmitglieder geradezu ermutigt, über die Schultz-Freistellung zu sprechen. „Wir haben die Entscheidung auch bewusst noch vor der Mitgliederversammlung getroffen. Wir wollen uns dort den Fragen und der Kritik der Mitglieder stellen“, sagte er.

Göttlich wird positive Zahlen präsentieren

Aus wirtschaftlicher Sicht wird Göttlich trotz der Corona-Einschränkungen positive Zahlen präsentieren. Dem Vernehmen nach konnte ein sechsstelliger Konzerngewinn erzielt werden, der Umsatz habe sich auf 55 Millionen Euro um eine Million gesteigert. Merchandising und Vermarktung waren außerordentlich erfolgreich.

Die allgemeine Stimmungslage nach der Aussprache wird auch einen Einfluss auf die mit viel Spannung erwartete Neuwahl des Aufsichtsrates (Tagesordnungspunkt 7) haben. Bei 13 Bewerbungen für sieben Plätze und nur maximal vier Stimmen, die jedes wahlberechtigte Mitglied verteilen darf, sind Prognosen kaum zu treffen. Fest steht nur, dass mindestens zwei der vier kandidierenden Frauen dem neuen Aufsichtsrat angehören werden. Das sieht die von den Mitgliedern im vergangenen Jahr beschlossene Quote vor.

Sandra Schwedler tritt bei Wahl an

Dabei tritt die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler (42) mit der Erfahrung von acht Jahren in diesem Kontrollgremium an. An einem erneuten Wahlerfolg Schwedlers, die Mitglied in der Handballabteilung und der mehr als 18.000 Personen starken Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM) ist, gibt es kaum einen Zweifel. Ebenfalls auf einen Amtsbonus als bisherige Aufsichtsratsmitglieder können Sönke Goldbeck (46) und Philippe Niebuhr (51), der seit zwei Jahren einer von zwei Stellvertretern von Sandra Schwedler ist, hoffen. Beide gehören ebenfalls der AFM an.

Die weiteren zehn Bewerbenden kämpfen erstmals um einen Platz im Aufsichtsrat. Dies sind: Christian Anger (57/AFM), René Born (45/AFM), Kathrin Deumelandt (49/AFM), Anna-Maria Hass (34/AFM), Georg Margaretha (52/AFM), Maik Nöcker (53/Fußball Herren), Ali Sabetian (55/AFM), Inga Schlegel (40/Fußball Frauen und Mädchen), Christoph Schleuter (53/AFM) und Joachim Weretka (71/Rugby).

FC St. Pauli: Diskussionen um Nöcker

Diskussionen wird es um Nöcker geben, dessen Kandidatur der Wahlausschuss erst Mittwoch zugelassen hatte. Nöcker war bislang St. Pauli als Moderator sowie mit der Produktionstätigkeit der MML GmbH, die er mitgegründet hat, geschäftlich verbunden. Dies schließt ein Aufsichtsratsmandat eigentlich aus.

Als regulärer Antrag bereits eingegangen war die Aufforderung, künftig auch per Onlineformular in den Verein eintreten zu können. Dazu kommt der Antrag, dass die Zukunft des ersten alkoholfreien Getränkestandes im Millerntor-Stadion durch den Verein gesichert und ein zweiter Stand dieser Art eingerichtet wird. Schließlich steht auch noch das Verlangen auf der Liste, dass die Kapitäne künftig nur noch Armbinden in den Vereinsfarben braun-weiß tragen sollen – und damit nicht mehr die Regenbogen-Kapitänsbinde. Bei allem Ernst der Lage des Vereins fehlt es eben doch nicht an Skurrilitäten.

Im ersten Testspiel der Wintervorbereitung tritt der FC St. Pauli am 21. Dezember (13 Uhr) beim Bundesligisten 1. FC Union Berlin an.