Hamburg. St. Paulis Interimstrainer spricht über sein Verhältnis zu Ex-Chef Timo Schultz und seine Verpflichtung gegenüber dem Verein.
Die Zahl der Medienvertreter am Rande des Trainingsplatzes war fast so groß wie die der St.-Pauli-Fans, als Fabian Hürzeler am Freitagmittag seine erste Einheit in der neuen Funktion als Interimstrainer leitete. Um 12.55 Uhr waren er und 26 Spieler aus dem Kabinentrakt des Trainingszentrums gekommen, 75 Minuten später beendete Hürzeler seine Premiereneinheit. Gewaltige Unterschiede zur Arbeit unter dem am Dienstag geschassten Cheftrainer Timo Schultz waren nicht wirklich zu erkennen.
Das ist auch gar nicht geplant, wie Hürzeler später auf Nachfragen beteuerte. „Ich werde hier jetzt nicht den großen Zampano machen und alles auf links drehen“, sagte der 29 Jahre alte angehende Fußballlehrer, der seit Sommer 2020 einer von zwei Co-Trainern war und nun vorerst das Training des abstiegsbedrohten Zweitliga-15. leiten wird.
FC St. Pauli: Entscheidung wird als falsch erachtet
Aus der Führungsriege des Vereins beobachtete nur der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Roger Hasenbein am Rande des vom Schnee befreiten Platzes das Geschehen. Sportchef Andreas Bornemann, der die Freistellungen von Schultz und dessen zweitem Co-Trainer Loic Favé im Präsidium durchgesetzt hatte, ließ sich hingegen nicht blicken. Womöglich schaute er aus seinem Büro und damit aus sicherer Entfernung auf das Treiben. Zuvor hatte er in einer rund 20 Minuten langen Teamsitzung ebenso wie Hürzeler zur Mannschaft gesprochen.
Auf offene Proteste in Form von Plakaten oder Ähnlichem gegen die Absetzung des populären Schultz verzichteten die Trainingskiebitze zwar, aus den Gesprächen untereinander aber wurde deutlich, dass die Entscheidung überwiegend als falsch betrachtet wird.
Kritik richtet sich nicht gegen Hürzeler
Dabei richtet sich die Kritik nicht gegen Fabian Hürzeler, auch wenn dessen Rolle als zumindest kurzfristiger Profiteur der Situation keine einfache ist. Schließlich hat er es Schultz zu verdanken, dass er vor knapp zweieinhalb Jahren den Weg vom SC Pipinsried in das Profigeschäft antreten konnte. Zudem hatte sich Schultz noch im Frühjahr massiv für Hürzeler und Favé starkgemacht, als sich deren Vertragsverlängerungen unerklärlich in die Länge zogen. Nun hat Hürzeler plötzlich Schultz’ Erbe angetreten.
„Ich habe mit Timo und Loic darüber gesprochen. Wir haben immer noch ein sehr, sehr gutes Verhältnis zueinander. Die gegenseitige Wertschätzung wird immer bleiben, weil wir sehr gut zusammengearbeitet haben“, sagte Hürzeler zu dieser Gemengelage. „Als mich der Verein gefragt hat, ging es nicht um einzelne Personen, sondern um den FC St. Pauli. Ich stehe in der Verantwortung zu diesem Verein. Deshalb hatte ich keine Zweifel und auch kein schlechtes Gewissen.“ Über die konkreten Inhalte des Gesprächs mit seinem bisherigen Vorgesetzten Schultz wollte Hürzeler allerdings lieber nichts verraten.
„Ich will mich mit meiner Arbeit auf dem Platz empfehlen"
Dafür ließ er ziemlich unmissverständlich durchblicken, dass er sich zutraut, nicht nur den Zwischendurch-Übungsleiter zu geben, sondern auch regulärer Cheftrainer zu werden. In der offiziellen Sprachregelung des Vereins ist es weiter offen, wie die Schultz-Nachfolge konkret geregelt wird. Im Januar soll auf jeden Fall Klarheit herrschen.
„Ich will mich hier mit meiner Arbeit auf dem Platz empfehlen. Andreas Bornemann weiß genau, was er an mir hat. Aber wer am Ende Cheftrainer sein wird, liegt nicht in meinem Einflussbereich. Ich mache es jedenfalls gern. Ich konzentriere mich ganz auf die Arbeit mit der Mannschaft“, sagte Hürzeler. Dazu gehöre auch, „meine eigene Note und eigene Ideen einzubringen“.
Die Mannschaft muss wieder in Schwung kommen
Und was wird sein, wenn nun doch, was noch immer die wahrscheinlichste Variante ist, ein externer Cheftrainer verpflichtet wird? „Darüber mache ich mir erst Gedanken, wenn es so weit ist“, beteuerte Hürzeler. Eine Rückkehr auf den Co-Trainer-Posten ist dann ebenso denkbar wie die Möglichkeit, den Verein aus freien Stücken oder unfreiwillig zu verlassen.
Doch erst einmal geht es darum, die Mannschaft nach vier Wochen Erholungspause wieder in Schwung zu bringen und auf die am 29. Januar mit dem Spiel in Nürnberg startende Rückrunde vorzubereiten. „Ich habe heute schon gemerkt, dass die Spieler eine Jetzt-erst-recht-Mentalität entwickeln wollen. Ich bin positiver Dinge, dass wir da unten rauskommen. Die Jungs wollen es wiedergutmachen“, gab sich der Coach optimistisch.
„Wir haben sehr gute Jungs"
Dabei betonte er, ebenso wie es Timo Schultz in einer fast unerschütterlichen Loyalität getan hatte, dass er großes Vertrauen in den aktuellen Kader habe. „Wir haben sehr gute Jungs und auch sehr gute Stürmer“, stellte er klar, räumte aber auch ein: „Wenn es Spieler gibt, die zu unserem Profil passen, dann werden wir auch was machen.“
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Dass der Mannschaft ein wirklich torgefährlicher Angreifer fehlt, ist dabei eine nicht zu bestreitende Erkenntnis, die sich durch die gesamte Hinrunde gezogen hat. Zuletzt hatte auch Präsident Oke Göttlich eingeräumt, sich in der Einschätzung, der 19 Jahre junge und in dieser Saison torlose Igor Matanovic sei für 15 Saisontreffer gut, getäuscht zu haben.
FC St. Pauli: „Wir werden weiterhin mutig sein"
An der grundsätzlichen taktischen Ausrichtung des Teams will Hürzeler, so lange er denn entscheiden darf, bis auf kleinere Anpassungen nichts ändern. „Wir werden weiterhin mutig sein und wollen weiter nach vorn spielen“, sagte er. Welche Details er verändern will, werde in den Testspielen zu erkennen sein. Das erste findet am 21. Dezember statt. Es werde ein starker Gegner sein, kündigte er an. Wer genau, bleibt ein Geheimnis, solange die Verträge nicht unterschrieben sind.