Hamburg. St. Pauli überzeugt spielerisch, doch die Lage bleibt brandgefährlich. Wird sie vom Club unterschätzt? Im Winter will man aktiv werden.

NDR-Fernsehreporter Sebastian Rieck hatte sich mal wieder etwas ausgedacht, um die Aufnahmen vom Ausradeln der St.-Pauli-Profis am Sonntagmittag mit einer passenden Requisite zu garnieren. Feinsäuberlich mit einer Küchenschere hatte er das Bild einer winkenden Murmeltierfigur ausgeschnitten und auf einem Karton platziert. Das lächelnde Papiertierchen stand dann im Vordergrund, als dahinter die Startelfspieler und Cheftrainer vorbeirollten.

„Und wöchentlich grüßt das Murmeltier“, war denn auch das passende, leicht abgewandelte Filmtitelmotto, das derzeit auf den FC St. Pauli zutrifft. Lange sehr gut, teilweise sogar begeisternd gespielt, Chancen vergeben, hinten kurz die Konzentration verloren, nicht aufgegeben, aber wieder nicht gewonnen – so lassen sich die meisten der nun bereits 14 Saisonspiele zusammenfassen.

Auch das 1:1 (0:0) im Heimspiel am späten Sonnabendabend gegen den SV Darmstadt 98, der als Tabellenführer ans Millerntor gereist war und das auch blieb, passte in dieses Bild.

St. Pauli lobt sich für eigene Leistung

„Wir können stolz sein auf die Leistung, die wir Woche für Woche liefern“, hatte Lukas Daschner, Torschütze zum 1:1-Ausgleich, nach dem Spiel gesagt und insbesondere die jüngsten Vorstellungen gegen den HSV (3:0), im Pokal in Freiburg (1:2 n.V.) und nun gegen Darmstadt gemeint. „Ich kann niemandem etwas vorwerfen. Der Kampf ist da, das Herz ist da, die Kreativität ist da“, befand auch Co-Kapitän Jackson Irvine.

Dessen Mittelfeldkollege Marcel Hartel betonte: „Gegen alle drei Tabellenführer, die hierhergekommen sind, waren wir die bessere Mannschaft.“ Vor dem HSV und Darmstadt war zuvor auch der SC Paderborn als Spitzenreiter ans Millerntor gekommen und musste sich mit einem 2:2 begnügen.

Schultz will neuen Stürmer bei St. Pauli

Tatsächlich bot St. Pauli gegen Darmstadt eine spielerische Vorstellung, die noch ein Stück besser war als viele Spiele in der atemberaubend erfolgreichen Hinrunde der vergangenen Saison.

Es gibt nur diesen ganz entscheidenden Unterschied zur Lage vor knapp zwölf Monaten: St. Pauli mangelt es eklatant an der Konsequenz im Abschluss. Diesmal waren es vor allem Irvine, Etienne Amenyido und auch Torschütze Daschner, die hochkarätige Chancen nicht nutzten.

„Wir können mit jeder Mannschaft in dieser Liga mithalten und den Spielen den Stempel aufdrücken. Uns fallen aber die vielen Unentschieden auf die Füße“, befand Trainer Timo Schultz. Die bisher sechs Remis bedeuten zwölf liegengelassene Punkte. Zum Vergleich: In der vergangenen Saison hatte St. Pauli zum gleichen Zeitpunkt nur zweimal Unentschieden gespielt, neun statt drei Partien gewonnen und 31 statt 19 Tore geschossen.

Bornemann räumt Rückschläge auf Transfermarkt ein

„Die Themen liegen auf der Hand“, sagte deshalb Schultz. Dass er damit zumindest einen neuen, torgefährlichen Stürmer meinte, der für die Rückrunde verpflichtet werden soll, steht außer Zweifel.

„Natürlich werden wir auch im Winter in jede Richtung versuchen, der Mannschaft das Bestmögliche hinzuzufügen“, hatte Sportchef Andreas Bornemann direkt vor dem Spiel gegen Darmstadt gesagt. „Wir haben schon einige Gespräche gehabt und sind mit einigen in ganz guten Gesprächen. Am Ende muss man es über die Linie kriegen“, sagte er weiter und deutete an, dass dies im Sommer misslungen war.

St. Paulis Trainer Timo Schultz und Sportchef Andreas Bornemann suchen einen neuen Stürmer, der verlässlich Tore erzielt.
St. Paulis Trainer Timo Schultz und Sportchef Andreas Bornemann suchen einen neuen Stürmer, der verlässlich Tore erzielt. © WITTERS | LeonieHorky

St. Paulis Situation ist brandgefährlich

Die Situation des FC St. Pauli ist jedenfalls brandgefährlich – und das gerade auch deshalb, weil die Mannschaft viel besser und attraktiver spielt, als es zu einem Abstiegskandidaten passt. Doch die gerade einmal zwei Punkte Vorsprung vor den Rängen 16 und 17 sind nur ein marginales Polster. „Ich mache mir auf keinen Fall Sorgen, weil wir Woche für Woche unsere Leistung auf den Platz bringen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der Knoten platzt“, sagte Lukas Daschner.

Tabellenspitze 2. Bundesliga
1. Darmstadt 98 30 / 48:24 / 64
2. Heidenheim 30 / 61:31 / 60
3. HSV 30 / 60:41 / 56
4. SC Paderborn 30 / 61:37 / 50
5. FC St. Pauli 30 / 47:35 / 50
6. Fortuna Düsseldorf 30 / 51:40 / 50
7. Kaiserslautern 30 / 43:38 / 44

„Nach unten schauen wir nicht. Wir haben einfach viel zu viel Qualität und werden definitiv die Schritte nach oben machen“, betont auch Marcel Hartel. Sind diese Sätze noch Ausdruck eines gesunden Selbstvertrauens oder schon einer gefährlichen Naivität? Das Szenario, die elf Wochen lange Winterpause auf einem Abstiegsplatz verbringen zu müssen, ist jedenfalls nicht unrealistisch.

Trainingszoff beim FC St. Pauli

Und so ist trotz aller Beteuerungen längst nicht alles so harmonisch, wie es suggeriert wird. Dies wurde am Sonntag beim Spielersatztraining deutlich, als sich Luca Zander bei Sturmtalent Igor Matanovic nach dessen eigensinniger Offensivaktion beklagte, nicht abgespielt zu haben. Der 19-Jährige gab Widerworte und wurde von Trainer Schultz, der seinen Sohn Paul (14) mit auf den Rasen genommen hatte, in lautem Ton gemaßregelt: „Igor Matanovic, was ist heute morgen mit dir los? Ist das hier ein Diskussions-Kursus? Luca hat recht. Spiel den Ball ab! Oder du machst ihn rein!“

Danach war Ruhe, prompt traf Matanovic und bediente noch einige Male seine Mitspieler.

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