Freiburg. Der Kiezclub verpasst die Sensation: Zwei ganz späte Gegentore beim SC Freiburg bedeuten das bittere Aus in der Verlängerung.

Den FC St. Pauli umwehte ein Hauch von Europa. Ganz wie in ihrem Fansong „Ich liebe dich, ich träum von dir, in meinen Träumen bist du Europacupsieger“ versuchten rund 2000 Fans den Kiezclub gegen Europa-League-Teilnehmer SC Freiburg im Europa-Park-Stadion über die schnellste Abkürzung Richtung Europa zu bringen: den DFB-Pokal.

Bis 20.28 Uhr am Mittwochabend lebte der Traum vom Achtelfinale, ehe mit Michael Gregoritsch ausgerechnet ein ehemaliger St. Paulianer und HSV-Profi mit seinem Kopfball zum 2:1 (0:1, 1:1) für den Bundesligisten kurz vor Ende der Verlängerung alles jäh zunichte machte.

Schon in der regulären Spielzeit hatte Weltmeister Matthias Ginter den Braun-Weißen erst in der Nachspielzeit, ebenfalls per Kopf, einen Nackenschlag versetzt. All das war so schrecklich bitter. Und all das war trotzdem so schrecklich beeindruckend.

Der entscheidende Moment: Michael Gregoritsch (2.v.l.) nickt den Ball an St. Paulis Torhüter Nikola Vasilj vorbei ins Netz.
Der entscheidende Moment: Michael Gregoritsch (2.v.l.) nickt den Ball an St. Paulis Torhüter Nikola Vasilj vorbei ins Netz. © Witters

Dramatische Kadersituation beim FC St. Pauli

Allein schon wegen der Welle an Ausfällen. Wie dramatisch die Personalsituation ist, offenbarte ein Blick auf die Ersatzbank, wo mit Sascha Burchert und Dennis Smarsch gleich zwei Torleute Platz nahmen. Trainer Timo Schultz musste seine Defensive massiv umbauen, neben dem Rot-gesperrten Manolis Saliakas auf sein Innenverteidigerduo David Nemeth (Entzündung am Schambein) und Jakov Medic verzichten, das in diesem Kalenderjahr wohl nicht mehr spielen wird.

So stand zwar wie schon beim Derbysieg gegen den HSV defensiv die Fünferkette, allerdings mit den frischen Kräften Betim Fazliji als linker Innenverteidiger und Connor Metcalfe als Rechtsverteidiger. Letztgenannter darf sich nach Einsätzen im offensiven und zentralen Mittelfeld schon auf der dritten Position ausprobieren.

Polyvalenz belebt das Geschäft. Metcalfe belebt das Spiel. Nämlich bereits in der 4. Minute mit einem maßgeschneiderten Pass auf Etienne Amenyido, der wie so häufig in dieser Saison mit seiner Schnelligkeit auf dem Weg zum Abschluss alles richtig machte – nur dann momentan verlässlich das Tor verfehlt. In Freiburg fehlten Zentimeter über dem Gehäuse des Torwarttalents Noah Atubolu.

Amenyido muss die Führung für St. Pauli ausbauen

St. Pauli erschwerte den im Vergleich zum 0:5 am Sonntag bei Bayern München auf sieben Positionen umgestellten Freiburgern den Spielaufbau durch frühes Pressen sichtlich. Schon nach zehn Minuten sah sich der Großteil der 33.500 Zuschauer dazu genötigt, sich von ihren Plätzen zu erheben, um ihr Team aufzuwecken. Doch die Breisgauer drückten die Snooze-Taste.

Eine geschlagene halbe Stunde dauerte es bis zum ersten Torschuss des Favoriten durch Kapitän Christian Günter, den Nikola Vasilj übers Tor lenkte. Den großen Applaus gab es im fremden Stadion für den bosnischen Nationaltorhüter nicht. Der war dem 20 Jahre alten Atubolu vorbehalten, der Europa von der U-17-EM nicht nur per Hauch kennt – und sich mit seiner famosen Fußparade gegen den völlig blanken Amenyido aus nächster Distanz für internationale Weihen bei den Erwachsenen empfahl. Auf der anderen Seite: Meine Güte, den muss Amenyido, von Lukas Daschner herrlich in Szene gesetzt, machen.

St. Pauli war lange die bessere Mannschaft

Aber selbst diese Szene warf die Hamburger nicht um, sie agierten stattdessen wie ein europäisches Spitzenteam mit eiskalter Cleverness. Daschner, der sehr viel Schwung ins Spiel brachte, lief Innenverteidiger Keven Schlotterbeck früh an, luchste ihm den Ball ab und lupfte über den ausnahmsweise machtlosen Atubolu zum 1:0 ins Tor. Ebenso beeindruckend wie die verdiente Halbzeitführung war die Torschussstatistik von 8:5. St. Pauli war ohne Einwände die bessere Mannschaft.

In der 37. Minute hob Lukas Daschner den Ball über Freiburgs etatmäßigen Ersatztorhüter Noah Atubolu hinweg ins Netz.
In der 37. Minute hob Lukas Daschner den Ball über Freiburgs etatmäßigen Ersatztorhüter Noah Atubolu hinweg ins Netz. © Witters

Was ein echtes Europapokalteam von einem, das nicht mal ernsthaft davon träumt, unterscheidet, zeigte sich aber direkt mit Wiederbeginn. Oder besser: Wer es unterscheidet. Daniel-Kofi Kyereh nämlich. Freiburgs Trainer Christian Streich hatte genug von seinem zweiten Anzug gesehen und machte ernst. Er rotierte neben dem Ex-St.-Pauli-Star Kyereh drei weitere Stammspieler in die Partie.

St. Pauli auch in der Verlängerung gleichauf

Und die Neuen ließen den Ball rotieren. Sah mitunter schön aus und führte ins: nichts. Nur einmal musste Abwehrboss Eric Smith in Not glücklich zur Ecke klären. Aber Glück und Tüchtige, da war ja was. Oder war es tüchtiges Glück? Dieses besaß dann Freiburg, das in wirklich allerletzter Sekunde zum Ausgleich kam.

Was es noch schlimmer machte: St. Pauli war in der Verlängerung mindestens gleichauf. Mutig suchte die Schultz-Elf den Weg zum Tor. Weiter, immer weiter. Aber weiter kam Freiburg. Es reichte nicht – ganz wie im Fansong, dessen weiterführende Zeilen Realität wurden: „Doch wenn ich aufwach, fällt es mir wieder ein, spielst ganz wo anders, in Liga Zwei.“

SC Freiburg - St. Pauli

  • SC Freiburg: Atubolu – Kübler, Ginter, K. Schlotterbeck (46. Lienhart), Günter – M. Eggestein (46. Höfler), Keitel – Doan, Jeong (46. Kyereh), Weißhaupt (76. Grifo) – Petersen (46. Gregoritsch).
  • FC St. Pauli: Vasilj – Metcalfe, Dzwigala, Smith, Fazliji (91. Wieckhoff), Paqarada – Irvine, Aremu (96. J. Eggestein), Hartel – Amenyido (57. Matanovic; 90.+2 Beifus), Daschner (88. Otto).
  • Tore: 0:1 Daschner (42.), 1:1 Ginter (90.+3), 2:1 Gregoritsch (119.).
  • Schiedsrichter: Brych (München). Zuschauer: 33.500.
  • Gelb: Kübler – Fazliji, Paqarda, Aremu, Dzwigala.