Hamburg. Fans, Vereine und politische Beobachter sind schockiert angesichts des Einsatzes. An Recht- und Verhältnismäßigkeit gibt es Zweifel.
In der Hamburger Polizeigeschichte und in der Auseinandersetzung rivalisierender Fangruppen des FC St. Pauli und des HSV hat es schon eine erschreckende Tradition: Einsätze gegen gewaltbereite Demonstranten oder Hooligans ziehen eine erbitterte Kontroverse um die Mittel nach sich. Das war beim sogenannten Hamburger Kessel 1986 auf dem Heiligengeistfeld so – und nicht anders im Jahr 1994 beim Rücktritt des damaligen Innensenators Werner Hackmann (SPD), der aufgrund von gewaltsamen Übergriffen von Polizeikräften seinen Hut nahm.
Nun sorgt das Stadtderby vom Freitag für eine Debatte zwischen Behörden, Vereinen und Beobachtern. Es waren erschütternde Bilder, die bereits kurz vor dem Spiel am Millerntor im Internet kursierten. Twitter-Nutzer hatten sie veröffentlicht.
Ihre Echtheit wurde bislang nicht ernsthaft angezweifelt. In einem knapp einminütigen Video vor dem Millerntor-Stadion ist zu sehen, wie ein Polizist einen am Boden fixierten Fußballfan des Kiezclubs mehrmals in die Rippen oder in die Seite schlägt. Anschließend versetzt er ihm Schläge mit dem Ellenbogen gegen den Hinterkopf. Im weiteren Verlauf des Videos kniet einer der Polizisten auf dem Nacken eines Mannes.
FC St. Pauli und Fans verurteilen Polizeieinsatz beim Derby
Aufgeregte Fans beider Clubs verurteilten das Verhalten der Polizisten aufs Schärfste, der FC St. Pauli schloss sich der Kritik an. Die Polizei rechtfertigte den Einsatz damit, dass die in Gewahrsam genommenen St.-Pauli-Fans zuvor versucht hatten, den friedlichen Derbymarsch der HSV-Anhänger zu stürmen. Dennoch bestätigte ein Polizeisprecher, dass bei den Ermittlungsbehörden eine Anzeige eingegangen und ein Strafverfahren eröffnet worden sei. Offenbar geht es um einen Bundespolizisten, der beteiligt war.
Der Polizeisprecher sagte: „Wie in solchen Fällen üblich führt nun das Dezernat Interne Ermittlungen, das direkt bei der Staatsanwaltschaft und nicht bei der Polizei angegliedert ist, die Ermittlungen.“ Die nüchterne Bilanz zeigt: 47 Personen sind in Gewahrsam genommen worden. Sie seien nach dem Spiel wieder entlassen worden, sagte der Sprecher. Am Freitagabend hatte die Polizei bereits mitgeteilt, dass fünf Polizisten verletzt worden seien. Insgesamt waren den Angaben zufolge 1445 Polizisten im Einsatz.
Nach Angaben der Polizei waren zuvor etwa 150 maskierte St.-Pauli-Anhänger auf einen Marsch von 3500 Fans des Hamburger SV zugelaufen. „Das war eine gezielte Aktion“, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün am Freitagabend. „Wir sind dazwischengegangen und haben damit verhindert, dass die HSV-Fans massiv angegriffen wurden.“ Es gebe Hinweise dafür, dass Fans des FC St. Pauli auch versucht hätten, Beamte anzugreifen.
Video zeigt Angriffe auf Polizisten
Bei dem Anmarsch der HSV-Fans vom Altonaer Balkon über die Reeperbahn zum Millerntor-Stadion wurde zwar Pyrotechnik abgebrannt. Doch nach Angaben der Polizei war es vergleichsweise friedlich. Unter den schwarz gekleideten Pauli-Fans, die die HSV-Anhänger dann angriffen, waren einige auffällig mit roten Schals ausgestattete Hooligans.
Sie sollen der Fraktion „Rotsport Str. Pauli“ angehören und bereits häufiger durch gewaltsame Aktionen aufgefallen sein. In einem Video ist zu sehen, wie offenbar Mitglieder dieser Bewegung auch Polizisten vor dem Stadion angreifen. Was direkt davor geschah, sieht man nicht.
St.-Pauli-Fans widersprechen Darstellung der Polizei
Der FC St. Pauli hat die Polizei kritisiert. Bei der Ingewahrsamnahme seien Personen geschlagen worden, wie auf Videos zu sehen sei. „Unabhängig davon stellt sich die Frage, wie es verhältnismäßig sein kann, auf den Kopf von einer am Boden liegenden Person zu schlagen“, hieß es in der Stellungnahme. Der Verein stehe im Austausch mit dem Fanprojekt, um weitere Informationen zu den Vorfällen zu sammeln und diese dann zu bewerten.
Fans des FC St. Pauli wiesen zudem die Darstellung der Polizei zurück. So bezeichnete unter anderem der Blog „Millernton“ das Verhalten der Polizei als eine „völlig unverhältnismäßige Eskalation“. Das Auftreten sei äußerst aggressiv gewesen. Die St.-Pauli-Fans hätten sich vom HSV-Marsch wieder zurückgezogen, und die Situation sei beruhigt gewesen, als die Polizei eingriff.
Rat der Fanclubsprecher fordert Stellungname
Der Rat der Fanclubsprecherinnen und -sprecher des Vereins erklärte: „Wir fordern sowohl die Polizeiführung der Freien und Hansestadt Hamburg als auch den Innensenator zur Untersuchung der Vorfälle sowie einer Stellungnahme auf. Insbesondere die Körperverletzungen, auch an unbeteiligten Personen, im Schutzraum in unmittelbarer Nähe des Fanprojektes Fanladen, sowie die Zugriffe vor Fanshop und Geschäftsstelle sind in keiner Weise zu akzeptieren.“
Der Hamburger Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Horst Niens, sagte dem Abendblatt: Er habe den Einsatz nicht verfolgt, Grundsätzlich gelte aber: „Nicht jeder, der zu Boden gebracht wurde, hört auf, Gewalt auszuüben.“ Es sei ein legitimes Mittel für die eingesetzten Beamten, sich zu vergewissern, dass jemand, der seine Hände unter dem Bauch verbirgt, keine Waffen oder spitzen Gegenstände bei sich trägt, die Beamte verletzen könnten.
FC St. Pauli: Deniz Celik sprach von „Polizeigewalt“
Niens sagte, der Hass zwischen den Fanlagern sei unbeschreiblich groß. „Da ist viel Adrenalin im Spiel. Hinzu kommt der Hass auf die Polizei, den die Beamten vor Ort aushalten müssen.“ Das sieht ein Hamburger Fachanwalt für Strafrecht anders. Sascha Böttner sagte: „Selbst wenn man davon ausgeht, die Ingewahrsamnahme basiere auf einem berechtigten Anlass, wären die Schläge mit der Faust in die Rippenregion und mit dem Ellenbogen auf den Hinterkopf dennoch nicht gerechtfertigt.“
Der Linken-Abgeordnete und Vizepräsident der Bürgerschaft, Deniz Celik, sprach von „Polizeigewalt“. Er spricht von BFE-Einheiten (Beweissicherung und Festnahme), die am Werke gewesen seien. Der innenpolitische Sprecher verdächtigt die BFE-Einheit „Blumberg“ der Bundespolizei. „Mehrere Bundesländer mussten sich in der Vergangenheit nach dem Einsatz dieser Einheit vor Gericht verantworten.“ Ein politisches Nachspiel wird dieser Einsatz beim Derby sicher haben. Der für Sport und Polizei zuständige Innensenator Andy Grote (SPD) hat sich trotz Bitten des Abendblatts bislang nicht offiziell geäußert.