Hamburg. Die Nummer eins der Kiezkicker ist auch eine Bank im bosnischen Nationalteam – das ausgerechnet in Russland antritt.

Am Mittwochmittag war die Zu-Null-Serie von Nikola Vasilj schon wieder gerissen. Mit untermauernder Gestik – der 26-Jährige sprach gerade über seine Zeit als dritter Torhüter beim ukrainischen Club Sorja Luhansk – wollte der Stammkeeper des FC St. Pauli seinen Worten mehr Bedeutung verleihen, schlug dabei stattdessen aber nur Medienchef Patrick Gensing dessen Smartphone aus der Hand. Der Rettungsversuch, das Telefon vor dem Aufprall zu bewahren, misslang. Klassischer Torwartfehler. Immerhin: Das Gerät blieb intakt, so wie zuletzt die Defensive der kriselnden Kiezkicker.

Grund zur Erleichterung für Vasilj – nicht wegen des Smartphones, sondern des 0:0-Unentschiedens gegen den 1. FC Heidenheim. „Das war sehr wichtig nach so langer Zeit ohne weiße Weste“, so der Bosnier, der häufig der Unschuldigste an den Gegentoren der Hamburger ist. „Wenn wir kompakt stehen, kann es uns weiter gelingen, gegentorfrei zu bleiben. Ab und an fehlt es uns an der Erfahrung, wann wir einen Spielzug per Foul stoppen sollten und wann wir in Ballbesitz nicht sofort riskant nach vorne spielen, sondern geduldig aufbauen sollten“, sagt er weiter.

FC St. Pauli: Vasilj steht als klare Nummer eins im Kasten

Geduld ist ohnehin eines der Stichwörter, das mit Vasilj, der auch auf dem Platz eine große Ruhe ausstrahlt, verbunden ist. Nach seinem Bruch des linken kleinen Fingers direkt vor Saisonstart musste er warten – und befürchten, dass ihm Dennis Smarsch seinen Job als Stammtorwart klaut. Doch Vasilj blieb entspannt. „Ich bin ein positiver Typ und in meinem Kopf immer die Nummer eins geblieben. Die Entscheidung lag nicht in meinen Händen.“ Nur an seinen Händen.

Seit er wieder fit ist, steht er als klare Nummer eins im Kasten, doch seine Rollenbeschreibung hat sich geändert. Vasilj ist zwar kein Daniel-Heuer-Fernandes-Verschnitt, steht nun aber etwas höher und ist für seine Kollegen stets anspielbereit. Ein Verdienst des neuen Torwarttrainers Marco Knoop, dessen Arbeit der dreifache bosnische Meister wertschätzt: „Mit ihm simulieren wir Torleute sehr viele Spielsituationen, müssen schnelle Entscheidungen treffen und sind zu jeder Zeit in die Übungen involviert. Sein Training ist anders als alles, was ich je zuvor gemacht habe, und wirklich interessant.“

FC St. Pauli: Spielt Vasilj im November in Russland?

Interessant war allerdings auch, was Vasilj nicht sagte: Wie er als Nationalspieler zum Testspiel zwischen Bosnien-Herzegowina und Russland steht. Dieses wird auf Einladung des russischen Verbandes – und nach übereinstimmender Informationslage auch einer üppigen Zahlung an Spitzenfunktionäre des bosnischen Verbandes – einen Tag vor Beginn der WM in Katar in St. Petersburg ausgetragen (19. November). St. Pauli bat darum, von Anfragen diesbezüglich abzusehen. Verständlich, da eine Aussage jedweder Art karriereschädigend für Vasilj sein könnte. Nach Abendblatt-Informationen ist dessen Meinung zu einer Partie im Land eines Kriegsaggressors zwar auf einer Linie mit unter anderem der des einstigen bosnischen Stars Edin Dzeko (36/Inter Mailand), der die Ansetzung streng verurteilte. Allerdings erscheint es möglich, dass der bosnische Verband Spielern, die sich kritisch äußern, künftig Einladungen zur Nationalmannschaft verwehrt.

Der sechsfache Nationaltorwart, der zuletzt bei der 1:4-Niederlage in der Nations League in Rumänien zum Einsatz kam, macht sich berechtigte Hoffnungen auf die Teilnahme an einem großen Turnier. Gerade erst ist der Weltranglisten-57. in die A-Division der Nations League aufgestiegen. „Es macht mich wahnsinnig stolz, für mein Land zu spielen“, ließ Vasilj lediglich zu dieser Thematik wissen.

Der FC St. Pauli hat jedoch bereits klargestellt, keine Profis für Länderspiele mit russischer Beteiligung abzustellen. Die Entscheidung darüber, im November in Russland zu spielen, liegt also abermals nicht in Vasiljs Händen.

Beim Training am Mittwoch wirkte Kapitän Leart Paqarada nach überstandener Oberschenkelverletzung wieder nahezu vollständig mit. Co-Kapitän Jackson Irvine setzte dagegen als Vorsichtsmaßnahme aus.