Rostock. Erschreckend harmlose Hamburger haben Hansa in der ersten Halbzeit nichts entgegenzusetzen und sind mit dem Ergebnis gut bedient.
Die Zuschauer brauchten Geduld. Vier Minuten, um genau zu sein. Die Tornetze im Ostseestadion mussten kurz vor dem Anpfiff noch geflickt werden. Gerade rechtzeitig, denn weitere vier Minuten später zappelte schon der erste Ball im Netz des FC St. Pauli.
Die Defensive der Kiez-Kicker ließ sich im weiteren Verlauf des Spiels indes nicht mal eben so flicken. Vogelwild wurde dem FC Hansa Rostock Chance um Chance ermöglicht, mit dem Resultat der nach einer Niederlage im Stadtderby schlimmstmöglichen Pleite in der Zweiten Liga: einem 0:2 (0:2) gegen den, freundlich ausgedrückt, ungeliebten Rivalen.
FC St. Pauli: „Das war ernüchternd"
Fast noch bitterer als das Ergebnis schien St. Paulis Trainer Timo Schultz die Leistung seiner Mannschaft zu schmecken. Die mit Abstand schwächste dieser Saison. „Das war ernüchternd. Wir haben uns den Schneid abkaufen lassen, das kenne ich so nicht von meiner Mannschaft. Letztlich müssen wir froh sein, nur mit 0:2 verloren zu haben“, kritisierte Schultz mit hochrotem Kopf.
Eine sportliche Erklärung wollte der Coach ohne vorheriges Videostudium nur bedingt liefern („Ballverluste müssen wir mit unserer Art des Offensivspiels zwar einkalkulieren, aber keineswegs solche leichtfertigen.“), eine psychologische hatte er dagegen direkt parat: „Das war viel zu wenig Bereitschaft. Hundertprozentiger Einsatz ist etwas Talentfreies. Das kann und muss ich von jedem Spieler erwarten. Wer das nicht liefert, muss vielleicht mal mit ein paar Maßnahmen rechnen.“ Knallhart.
Amenyido sollte für mehr Tiefgang sorgen
Einer, der das pädagogische Manöver schon über sich ergehen lassen musste, war Igor Matanovic. Der 19-Jährige, zuvor völlig ungefährlich, wurde noch vor der Halbzeit ausgewechselt. Etienne Amenyido sollte stattdessen für mehr Tiefgang sorgen. Doch das Leben ist kein Konjunktiv. Ewiges, leidiges Thema der mangelnden Durchschlagskraft im Sturm. Bis zum Schluss des Transferfensters am 1. September dürfte sich auf dieser Position noch etwas tun. Nach Abendblatt-Informationen sucht Chefscout Jan Sandmann den niederländischen Markt nach einem passenden Angreifer ab. Auch ein defensiver Abräumer soll noch kommen.
Und auch den könnte St. Pauli gebrauchen. Vielleicht sogar noch dringender als einen Torjäger. Denn, wie simpel Rostock in der ersten Halbzeit die weit aufgerückten Viererketten mit langen Bällen überspielte und gleich vier Großchancen erzwang, war aus Gästesicht erschreckend.
Umstellung auf eine Dreierkette nur bedingt erfolgreich
Und auch wunderschön, denn nur weil Flankenverteidigung vermieden wurde wie der Kontakt beider Fanlager, durfte die Vorlage des überragenden Kai Prägers vor dem 2:0 in den Strafraum segeln, wo Ex-St.-Paulianer John Verhoek in bester Klaus-Fischer-Manier – passenderweise in Königsblau – zum Fallrückzieher abhob und traumhaft vollendete. Auch die Umstellung auf eine Dreierkette nach einer guten halben Stunde sorgte nur bedingt für einen Umschwung der Kräfteverhältnisse. Zwar hatte Hansa nun weniger Durchbrüche, doch der zusätzliche Verteidiger fehlte St. Pauli wiederum im Mittelfeld.
Als nach dem Spiel die ersten Kisten Lübzer Pils in die Kabine der Hausherren getragen wurden, war der Skandalsong „Layla“ der ansonsten durchaus schwer erträglichen Musikauswahl, die aus dem Trakt dröhnte, passend gewählt. Hansa spielte einfach „schöner, jünger, geiler“.
Eggestein kann Niederlage nicht begründen
Wenige Meter daneben hatte Stürmer Johannes Eggestein einerseits Mühe, den Schlager zu übertönen, andererseits, eine Niederlage zu begründen, die ähnlich wie das 1:2 vor zwei Wochen beim 1. FC Kaiserslautern zustande gekommen war. „Es hat nicht geholfen, dass wir wieder früh in Rückstand geraten sind, denn so konnte Rostock mit seiner Fünferkette alles dicht machen. Und wir haben es wieder nicht geschafft, mit Seitenwechseln und gegenläufigen Bewegungen für Verlagerungen zu sorgen.“ Und weswegen? „Gute Frage.“
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Nächste Frage. Warum eigentlich hatte der „Hamburger Stadtteilverein“, wie er vom Stadionsprecher durchweg bezeichnet wurde, eigentlich keine Antwort auf die schwache Anfangsphase parat? „Weil wir nicht aggressiv genug waren, die Bälle halbherzig herschenken, wenn wir sie denn überhaupt mal festgemacht haben. Das hatte auch nichts damit zu tun, dass wir auswärts gespielt haben“, sagte Marcel Hartel, einer der Lichtblicke.
FC St. Pauli: Zuschauer berichten von Entgleisungen
Erstaunlicherweise gelang es den Fans der Rostocker sogar, noch weniger lichte Momente zu haben als dem FC St. Pauli in der Spielgestaltung. Hamburger Zuschauer berichteten von üblen, verbalen Entgleisungen, selbst auf den Haupttribünen. Die „Scheiß St. Pauli“-Rufe testeten die Grenzen der Kreativität aus. Dazu hissten die Ultras das noch vergleichsweise harmlose Banner mit der Aufschrift: „Der Verein ohne Titel, das wird sich nie ändern! Statt Stern auf dem Trikot nur Meisterinnen im Gendern!“, das Bezug auf das Sondertrikot St. Paulis mit Gendersternchen nahm.
Das Fünkchen Wahrheit: Wenn St. Pauli weiterhin so auftritt, werden sich die Fans auf den Zweitligameisterster noch gedulden müssen.
Hansa Rostock: Kolke – Malone. Roßbach, Scherff (89. Schumacher) – Neidhart (89. Strauß), Thill (80. Duljevic), Fröde, Rhein, Dressel – Pröger (63. Schröter), Verhoek (63. Hinterseer). FC St. Pauli: Smarsch – Saliakas (71. Zander), Nemeth (71. Fazliji), Medic, Paqarada – Irvine, Smith (77. Boukhalfa) – Daschner, Hartel – Matanovic (40. Amenyido), Eggestein (77. Otto). Tore: 1:0 Pröger (4.), 2:0 Verhoek (17.). Schiedsrichter: Dingert (Gries). Zuschauer: 26.000. Gelbe Karten: Malone (3), Roßbach (3), Fröde (1) – Daschner (2), Paqarada (2). Mannschaftsstatistiken: Torschüsse: 12:14, Ecken: 3:7, Ballbesitz: 39:61 Prozent, Zweikämpfe: 102:97, Laufleistung: 115,7:119,1.