Hamburg. Auf dem Platz wartet das Team von Trainer Timo Schultz seit vier Spielen auf einen Sieg. Doch auch innerhalb des Vereins brodelt es.
Am Tag nach dem bitteren 1:2 gegen Darmstadt 98 kehrte beim FC St. Pauli der Alltag ein. Die Stammspieler regenerierten im Niendorfer Gehege, die Profis, die gar nicht oder nur kurz zum Einsatz kamen, absolvierten auf dem Trainingsgelände an der Kollaustraße das übliche Spielersatztraining. Business as usual nach einer Partie, die der Mannschaft von Trainer Timo Schultz Platz drei kostete. Die Hamburger nehmen sich ihre sportliche Ergebniskrise zur Unzeit. Seit vier Spielen wartet St. Pauli auf einen Zweitligasieg, und ist so drauf und dran, die hervorragende Ausgangsposition im Kampf um die Bundesliga zu verspielen.
Tabellenspitze 2. Bundesliga
1. Darmstadt 98 30 / 48:24 / 64
2. Heidenheim 30 / 61:31 / 60
3. HSV 30 / 60:41 / 56
4. SC Paderborn 30 / 61:37 / 50
5. FC St. Pauli 30 / 47:35 / 50
6. Fortuna Düsseldorf 30 / 51:40 / 50
7. Kaiserslautern 30 / 43:38 / 44
Aus eigener Kraft kann der Kiezclub, der nach einer überragenden Hinrunde Herbstmeister war, den Aufstieg drei Spieltage vor Saisonende nicht mehr schaffen. "Wir haben uns definitiv noch nicht aufgegeben. Wir werden uns jetzt einmal schütteln und gegen Nürnberg versuchen, die Ausgangslage direkt wieder zu verbessern. Die verändert sich momentan von Woche zu Woche. Wir haben in den letzten Wochen einige Punkte liegenlassen, und die müssen wir in den nächsten Wochen wieder reinholen", sagte Trainer Schultz trotzig.
FC St. Pauli: Die Leichtigkeit der Hinrunde ist verloren gegangen
Doch auch der 44-Jährige merkt, dass der Motor der Hamburger seit Wochen stottert. Die Leichtigkeit, mit der St. Pauli in der Hinrunde praktisch durch die Liga geflogen ist, scheint gänzlich abhanden gekommen zu sein. In der Offensive muss St. Pauli extrem hart arbeiten, um zu Toren zu kommen, während die Gegner von der alles andere als sattelfesten Defensive der Hamburger profitieren.
Gegen Darmstadt schossen die Hamburger, die vor allem eine sehr gute zweite Halbzeit gespielt haben, insgesamt 23 (!) Mal auf den Kasten, nur der Ball von Lukas Daschner (23) in der Schlussphase fand aber den Weg ins Netz. "Am Ende hat dann auch das Quäntchen Glück gefehlt. Im Großen und Ganzen können wir uns für die zweite Halbzeit nichts vorwerfen. Wir haben am Anfang das Spiel verschlafen, laufen dann einem 0:2-Rückstand hinterher, und dann wird es natürlich schwierig", erklärte Abwehrspieler Philipp Ziereis.
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Diese fehlende Effizienz zieht sich wie ein roter Faden durch die zweite Saisonhälfte. In der Rückrundentabelle rangieren die Hamburger daher mit lediglich 17 Punkten aus 14 Partien nur auf Rang zwölf.
Offene Vertragsgespräche lenken Spieler des FC St. Pauli ab
Doch die Probleme der Hamburger liegen nicht mehr ausschließlich auf dem grünen Rasen. Vor allem im Innenverhältnis Mannschaft und Vereinsführung rumort es offenbar seit Wochen. Im Sommer laufen die Verträge von neun Spielern sowie den Assistenztrainern Loic Favé (29), Fabian Hürzeler (29) und Mathias Hain (49) aus. Auf klare Ansagen, wie es in dem Thema weiter geht, warten alle Beteiligten vergebens.
Selbst Trainer Schultz merkte bereits an, dass diese Ablenkung zur Unzeit kommt. "Es ist schon schade, dass wir da jetzt überhaupt keinen neuen Stand haben seit Dezember. Da hat sich in den letzten drei, vier Monaten eigentlich wenig getan. Ich bin mit den Spielern und Co-Trainern permanent im Austausch. Warten wir mal ab", hatte Schultz vor knapp einer Woche sichtlich enttäuscht erklärt. Und dem Vernehmen nach gibt es weiterhin keinerlei Fortschritte in den Gesprächen.
Doch damit nicht genug. Wie die "Bild"-Zeitung erfuhr, gibt es zwischen den Spielern und der sportlichen Führung um Sportdirektor Andreas Bornemann (50) einen Prämienstreit. Es geht um das DFB-Pokal-Achtelfinale am 18. Januar gegen Borussia Dortmund (2:1). Obwohl die Partie bereits ein Vierteljahr zurückliegt, wurde die Prämie noch immer nicht ausgehandelt, geschweigedenn ausgezahlt. In der Woche vor dem Darmstadt-Spiel suchte der Mannschafsrat des Kiezclubs den Dialog mit Bornemann. Was das Spielergremium später den Mitspielern mitteilen konnte, enttäuschte die Spieler offenbar. Bornemann soll den Mannschaftsrat damit vertröstet haben, dass es noch keine Einigung über die Honorierung geben konnte, weil ein Finanzmitarbeiter von St. Pauli im Urlaub war.
Bei St. Pauli gibt es Streit um die Pokal-und Aufstiegsprämien
Als die Führungsspieler dann auch noch über eine kollektive Aufstiegsprämie für Spieler, Trainer und Betreuer verhandeln wollten, blockte Bornemann dem Vernehmen nach komplett ab. Er hielt die Thematik für aktuell nicht angebracht, schließlich hätten ja einige Spieler ohnehin in ihren Verträgen individuelle Aufstiegsprämien. Bei der Anzahl der Kadermitglieder würde es um Prämien in niedriger siebenstelliger Höhe gehen. Die sportliche Talfahrt einzig mit diesem Theater zu erklären wäre zu einfach, Baustellen wie diese tragen aber nicht dazu bei, dass der Fokus auf dem Fußball liegt.
Und in den kommenden Wochen könnten noch mehr Ablenkungen erfolgen. Der ablösefreie Abgang von Toptalent Finn Ole Becker (21) zu 1899 Hoffenheim steht bereits fest, zudem werden Leistungsträger wie Daniel Kofi Kyereh (26) und Guido Burgstaller (32) mit anderen Vereinen in Verbindung gebracht. Gerade Kyereh dürfte bei einem verpassten Aufstieg für St. Pauli nicht zu halten sein. Der Vertrag des Deutsch-Ghanaers läuft 2023 aus, zuletzt wurde bekannt, dass Union Berlin und vor allem Borussia Mönchengladbach heiß auf den Edeltechniker sind.
In den kommenden drei Wochen müssen sich Spieler, Führung und Trainer zusammenreißen, damit eine über weite Stecken erfolgreiche, teilweise sogar begeisternde Saison nicht in einer Spielzeit voller Enttäuschung und Ärger endet.