Hamburg/Aue. St. Paulis ehemaliger Kapitän betont vor dem Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften in Aue: „Es gab keine Komfortzone.“
Ein Spiel wie jedes andere ist es für Sören Gonther ganz sicher nicht, wenn er an diesem Freitag (18.30 Uhr) mit dem FC Erzgebirge Aue gegen den FC St. Pauli antritt. Von 2012 bis 2017 stand der Innenverteidiger beim Millerntor-Club unter Vertrag, davon drei Jahre lang als Kapitän. Er wäre gern länger geblieben, doch der damals als Interims-Sportchef agierende Andreas Rettig wollte dem Routinier und unumstrittenen Führungsspieler nur einen Einjahresvertrag geben.
Nach zwei Spielzeiten bei Dynamo Dresden zog es den heute 32-Jährigen ins Erzgebirge. Dort surft er gerade auf einer Erfolgswelle. Nach 13 Spieltagen hat das Team 20 Punkte und ist Tabellenfünfter. „Wir haben keinen einzigen Punkt glücklich geholt, es ist kein Zufall, dass wir auf Platz fünf stehen“, sagt Gonther selbstbewusst. „Wir kommen sehr stark über die mannschaftliche Geschlossenheit, einer arbeitet für den anderen, unser Trainer gibt uns einen klaren Plan. Hinzu kommt, dass wir mit unserer ersten Elf nach Zweitligaspielen die erfahrenste Mannschaft der Liga sind. Diese Erfahrung gemischt mit unserer Qualität macht den Erfolg aus.“ Dennoch werde das Saisonziel, 40 Punkte zu holen, vorerst nicht nach oben korrigiert.
„FC St. Pauli ist eine Art Wundertüte"
Schon an diesem Freitag gegen St. Pauli werde es trotz der eigenen Heimstärke (vier Siege, zwei Unentschieden) nicht leicht. „Mit Jan Hochscheidt ist unser Unterschiedsspieler in der Offensive nach seiner Roten Karte in Karlsruhe gesperrt. Das ist für uns ein herber Verlust, weil wir nicht 30 Mann im Kader haben, von denen jeder auf gleichem Niveau spielen kann“, sagt Gonther.
Und wie schätzt er sein ehemaliges Team ein? „Für mich ist das bisher eine Art Wundertüte. Gute Phasen wechseln sich mit schlechteren regelmäßig ab. Im Derby gegen den HSV hat mir St. Pauli hervorragend gefallen. Auch gegen Karlsruhe haben sie lange gut gespielt und souverän geführt, ehe sie es noch aus der Hand gegeben haben. In Heidenheim dagegen war es weit weniger gut“, sagt Sören Gonther dazu. Noch immer verfolgt er intensiv, was bei St. Pauli vor sich geht, auch wenn seine besten Kumpels aus der gemeinsamen Zeit am Millerntor inzwischen ebenfalls den Club verlassen haben. Namentlich nennt er Lasse Sobiech, Bernd Nehrig und Philipp Heerwagen. „Dennoch habe ich mit vielen anderen auch noch Kontakt“, sagt er.
Gonther sieht Luhukay kritisch
Interessiert betrachtet Gonther auch, wie Cheftrainer Jos Luhukay versucht, die Mannschaft zu formen. Grundsätzlich hat er großen Respekt vor dessen Arbeit. „Er hat eine sehr große Erfahrung, seine Erfolge sprechen für sich. Mit Hertha, Augsburg und Mönchengladbach, gegen die ich alle gespielt habe, war er erfolgreich und hat mit den Mannschaften immer eine klare Philosophie verfolgt. Für St. Pauli ist er sicher eine gute Wahl“, sagt er.
Dabei gefällt ihm aber nicht alles, wie Luhukay arbeitet. „Er ist ein Mann der klaren Worte, sagt auch öffentlich, was er denkt. Er versucht so Reize und Spitzen zu setzen. Ob das für die Spieler immer ganz glücklich ist, wenn das in der Öffentlichkeit passiert, weiß ich nicht. Das sehe ich ein bisschen kritisch, aber es ist nicht mein Job, das zu beurteilen“, stellt Gonther klar. „Auf dem Trainingsplatz weiß er genau, was er machen muss. Er hat mit seinen Mannschaften immer einen guten Fußball gespielt. Es ist zu erkennen, welchen Stil er spielen lassen möchte, wohin er mit den Jungs möchte. Es klappt nur noch nicht so konstant.“
An der Rekord-Halbserie mit 34 Punkten war er beteiligt
In einem Punkt widerspricht Gonther der Einschätzung Luhukays. Dieser hatte einen Tag vor dem ersten Punktspiel eine Brandrede gehalten und dabei die „Komfortzone“ angeprangert, die angeblich seit längerer Zeit bei St. Pauli herrsche. „Ich halte das für einen sehr populistischen Begriff. Zu meiner Zeit beim FC St. Pauli konnte man ganz und gar nicht davon sprechen, dass es für uns Spieler eine Komfortzone gab. Wir hatten immer spannende Jahre, in denen es um viel ging“, betont er und denkt dabei vor allem an die Spielzeiten, als der Abstieg mit gemeinsamer Anstrengung vermieden werden konnte. So war es auch in seiner letzten Saison für St. Pauli, als das Team aus den letzten 16 Spielen 34 Punkte sammelte und vom letzten Platz noch auf Rang sieben kletterte. „Mein letztes halbes Jahr mit den 34 Punkten ist immer noch die Messlatte.“
Wie auch immer das Spiel ausgehen wird, Gonther hat sich fest vorgenommen nach dem Spiel in die St.-Pauli-Kabine zu gehen. „Ich bringe ein paar Flaschen Wernesgrüner mit“, sagt er und erzählt im gleichen Atemzug, dass Aues Zeugwart auch immer ein paar Knollen Astra im Kühlschrank hat. „Er tut eben alles, damit ich mich hier wohlfühle“, sagt er augenzwinkernd.