Hamburg. Der Technische Direktor und Wertebotschafter des FC St. Pauli prangert beim „Inno-Talk“ in Harburg Fehlentwicklungen an.

Rund 170 Gäste waren gekommen, um sich von Ewald Lienen in den Bann ziehen zu lassen. „Was kann Wirtschaft vom Profifußball lernen?“, lautete das Motto des einmal im Jahr stattfindenden „Inno-Talk“ im Hit-Technopark in Harburg. Viele Führungskräfte von den in diesem Technologiezentrum angesiedelten 110 Firmen saßen ebenso im Auditorium wie Geschäftspartner von ihnen.

Nachdem in den vergangenen Jahren auch schon Reinhold Messner und Gregor Gysi bei dieser Veranstaltung als Referenten aufgetreten waren, fiel die Wahl in diesem Jahr auf den Technischen Direktor des FC St. Pauli.

Die leicht übertriebene Ankündigung des Gastgebers, Lienen sei einer der erfolgreichsten deutschen Fußballer und Trainer, war für St. Paulis heutigen Wertebotschafter ein ideales Stichwort, um den Bogen zwischen Sport und Wirtschaft zu schlagen. „Erfolg im Sport sind nicht nur Siege und Meistertitel“, sagte Lienen.

Lienen: Nacktes Profitstreben „armselig“

Ebenso dürfe sich in der Wirtschaft der Erfolg nicht allein über Umsätze und Gewinne definieren. „Das ist armselig“, sagte er. Sowohl Umweltsünden als auch die steigende Zahl an Burnout-Erkrankungen von Mitarbeitern seien das Ergebnis eines ungezügelten Gewinnstrebens. „So sind wir dabei, unseren Planeten unbewohnbar zu machen“, klagte er – mutige Worte vor Führungskräften von Wirtschaftsunternehmen.

Lienen ist nun einmal ein Mensch mit festen Überzeugungen, der keine Rücksicht darauf nimmt, ob seine Thesen den Zuhörern gefallen oder nicht. Es gebe, so Lienen weiter, aber auch positive Entwicklungen. „Ich habe den Eindruck, dass Firmen und auch Politiker vor Ort die Politiker auf der großen Ebene inzwischen überholt haben. Das macht mir Mut“, sagte er.

In der Folge sprach Lienen viel über Werte und Prinzipien, die gleichermaßen für Sportteams und Belegschaften von Unternehmen gelten müssen, um im Wettbewerb erfolgreich zu bestehen. „Vertrauen ist ganz wichtig für Spieler und für Beschäftigte, um auch eine Eigeninitiative zu ergreifen“, sagte er.

Versteckte Lienen eine Kritik an Luhukay?

Fatal sei dagegen, von Angst vor einem Fehler geprägt zu sein. „Es ist auch ein großer Unterschied, ob Mitarbeiter etwas tun, was vorgegeben ist, oder es selbst richtig finden und dementsprechend mit Feuereifer dabei sind.“ Ob Lienen mit diesen Worten zwischen den Zeilen womöglich auch Kritik am Umgang des aktuellen St.-Pauli-Trainers Jos Luhukay mit zumindest einigen der aktuellen Spieler versteckte, blieb offen.

Lienen berichtete in diesem Zusammenhang auch über einen eigenen Lernprozess. „Ein Spieler, der sogar regelmäßig gespielt hat, hat mir einmal gesagt, dass ich ihn wohl nicht möge. Das war gar nicht so, aber er vermisste, dass ich ihn auch mal lobe“, erzählte er. „Ich habe daraus gelernt, dass man als Führungskraft nicht einfach ,Das stimmt nicht‘ sagen darf, wenn mir jemand mitteilt, wie er es empfindet. Vielmehr ist die persönliche Wahrnehmung immer die Wahrheit des Einzelnen.“

Als Lienen rund eineinhalb Stunden referiert hatte, wobei er immer wieder Anekdoten aus seiner Karriere als Spieler und Trainer einstreute, erschrak er ein wenig und sagte: „Na ja, ein Drittel habe ich jetzt geschafft.“ Kurz danach aber kam er dann doch zum Ende und erntete ausgiebigen Beifall.